Russland: Dringender Aufruf an St. Petersburg das drakonische Anti-Homosexuellen-Gesetz zu stoppen

update 09.02.2012: Homophobie wird zum Gesetz.
Sofort unterschreiben: URGENT ACTION UA 46/2012 (9. Feb. 2012)

update 29.11.2011, Russland Aktuell: Behandlung bis nach den Wahlen verschoben (Englisch; da es nicht genügend Mehrstimmen bringt)

update 23.11.2011, Russland Aktuell: Zweite Lesung verschoben (Medienbericht, Quelle)

Gesetz will jede öffentliche Sichtbarkeit von Homosexualität verbieten (©: Charles Meacham/Demotix)

Amnesty International forderte heute die Behörden Russlands zweitgrösster Stadt auf, das eben beschlossene homophobe und transphobe Gesetz nicht umzusetzen. Dieses würde in schwerer Weise die Meinungsfreiheit verletzten und Öl ins Feuer der Diskriminierung gegen die Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen und Intersex (LGBTI) der Stadt giessen.

Das Gesetz würde jede Sichtbarkeit von LGBTI Personen (offensichtlicher Kuss) und Organisationen (Standaktion, Kulturanlass, Demonstration, Internet, Regenbogenfahne) unter dem Vorwand des Jugendschutzes aus dem öffentlichen Raume verbannen. Die erste Lesung passierte am Mittwoch (16.11.2011) im städtischen Parlament fast einstimmig.

Amnesty News: St. Petersburg urged to halt draconian anti-gay bill (Englisch)

Südostschweiz, 16.11.2011: Homosexuelle unter Druck in St. Petersburg (PDF, Quelle)
DieStandard, 26.11.2011: Homosexuelle unsichtbar machen.
Mannschaft, 02.01.2012: Russland: Gesetze gegen LGBT verschärfen sich.

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Mehr Infos

< ! -----------------------------------------------------------------------------------> Inhalt des vorgesehenen Gesetzes:

Es soll „jede öffentliche Aktion mit dem Ziel Propaganda zu machen für Sodomie, ‚Lesbianismus‘, Bisexualität, Transsexualität vor Minderjährigen verboten werden und mit Bussen von 1000 bis 50.000 Rubel (30 bis 1500 Franken) bestraft werden“.
Dies würde die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit von LGBT – oder Personen die dafür gehalten werden oder so empfinden – ebenso einschränken wie Personen und Organisationen, die sich für LGBT-Rechte einsetzen.

Direkte Folgen des vorgesehenen Gesetzes:

Es würde die

  • das Recht auf Meinungsfreiheit und Meinungsäusserungsfreiheit,
  • das Recht auf Versammlungsfreiheit und Vereinsfreiheit,
  • das Recht auf Nicht-Diskriminierung und Gleichheit vor dem Gesetz – wie dies in vielen von Russland mitunterzeichneten, internationalen Übereinkommen festgehalten ist – erheblich verletzen
  • und letztlich gegen das Diskriminierungsverbot der russischen Verfassung verstossen.

Ganz besonders würden junge LGBTI des Zugangs zu Informationen beraubt, der für ihre Gesundheit und ihre persönliche Entwicklung lebensnotwendig ist. Dazu gehören (künftig verbotene) Informationen über soziale Gruppen, Unterstützungsnetzwerke, sexuelle und reproduktive Rechte.
Es hätte schwer wiegende Folgen für körperliche und psychische Gesundheit, für Entwicklung und Wohlbefinden von jungen Menschen, welche lesbische, schwule, transsexuelle oder intersexuelle Empfindungen verspüren.

Im weiterem:

Das vorgeschlagene Gesetz würde zur weiteren systematischen Diskriminierung gegen LGBTI Personen beitragen, welche schon heute in Russland vorherrscht.
Öffentliche Diskussionen über LGBT-Themen würden verunmöglicht, LGBTI ins Verborgene abgedrängt und verbaler wie physischer Gewalt gegen LGBT Vorschub leisten und dies legitimieren.

Wie geht es weiter?

Ablauf:

  • Die zweite Lesung war für den 23. November vorgesehen, wurde aber verschoben.
  • Wenn das Gesetz auch die dritte Lesung schafft, ist es im Prinzip gütig.
  • Es tritt jedoch erst in Kraft, wenn und falls der Stadtpräsident Georgy Poltavchenko dieses auch unterzeichnet. Er kann – etwa mit der Begründung höherer Rechtsgüter – die Unterzeichnung verweigern.
  • Ein Engagement gegen das Gesetz richtet sich also zuerst an die Mitglieder des Stadtparlaments, evtl. später an den Stadtpräsidenten.

Vergleichbare Gesetze gibt es bereits:

  • Seit 2006 im Oblast Rjasan (auch Region Ryazan) an der Oka, 200 km SW von Moskau mit 1.2 Mio Einwohnern (Stadt: 600.000),
    (bekanntes Urteil gegen Nikolai Bajew und Irina Fet, Geldstrafe von je 1.500 Rubel, aus dem Jahre 2009)
  • sowie erst jüngst im Oblast Archangelsk, am Dwinabusen, der Mündung der Nördlichen Dwina ins Weisse Meer, 1200 km NW von St. Petersburg mit 1.2 Mio Einwohnern (Stadt: 355.000).
    Im September 2011 verboten: Arkhangelsk bans gay parades.
    Vom Männerpuff vor 1917 über Straflager unter Stalin zu LGBT-Gruppen 1998 – Bei RFSL auf Englisch.
  • Diskutiert oder erwogen werden solche Gesetze aber auch in andern Städten, einschliesslich Moskau, sowie auf nationaler Ebene.

Die Inkraftsetzung – oder hoffentlich der Verzicht darauf – eines solches Gesetzes in St. Petersburg wird jedenfalls Signalwirkung für die jetzt schon arg diskriminierte LGBT-Gemeinschaft in Russland haben.

LGBT-Rechte als Spielball politischer Interessen?

Die Deutschsprachige Netzzeitung Russland Aktuell vermutet (23.11.2011):
Die Initiative für das Gesetz dürfte vorrangig mit den Anfang Dezember anstehenden Wahlen zur Staatsduma und auch dem Petersburger Stadtparlament zusammenhängen: Vor Wahlterminen werden oft noch unausgegorene, aber populistische verwertbare Gesetzentwürfe in den Ring geworfen. (Quelle).

Diskriminierung zementieren, Feindseligkeit legitimieren und Gewalt fördern

Das angegebene Ziel der Änderung sei, Kinder vor Schaden und vor Verletzungen ihrer Menschenrechte zu schützen. Allerdings glaubt Amnesty International, dass das Gesetz, in seiner jetzigen Formulierung, keine Kinder schützen wird sondern in Wirklichkeit eine Verletzung der Menschenrechte von vielen, inklusive von Kindern und jungen Menschen in St. Petersburg, begründen wird. Diese Änderung, falls angenommen, wird zudem Diskriminierung zementieren und Feindseligkeit legitimieren, sowie Gewalt gegenüber LGBTI Individuen fördern. < ! in einigen Fällen (und wie von Amnesty International dokumentiert)>