Die Mentor*innen von Focus Refugees begleiten und unterstützen queere Geflüchtete in der Schweiz, teils auch beim Asylverfahren. Anne Bütikofer betreut derzeit drei Paare und eine Einzelperson – und findet das auch persönlich sehr bereichernd.

Auf den ersten Blick klingt die Betreuung von gleich sieben Geflüchteten nach echter Arbeit, aber Anne Bütikofer schüttelt lächelnd den Kopf. «Weil darunter drei Paare sind und ich in zwei Fällen von Co-Mentor*innen unterstützt werde, hält sich der Aufwand in Grenzen», erklärt die 50-jährige aus Zürich. «Das schaffe ich problemlos. Zudem hat ein Paar aus der Ukraine jetzt gerade Visa für Kanada bekommen, sie reisen also demnächst weiter.» Die beiden anderen Paare stammen aus Kolumbien, die Einzelperson aus der Türkei.

Anne ist seit Mitte 2022 für Queeramnesty aktiv. Auslöser war der Angriff Russlands auf die Ukraine. «Ich spreche Russisch und habe viele russischsprachige Freund*innen. Vor dem Krieg machte man auch keinen Unterschied, ob jemand ursprünglich aus Russland, Weissrussland, oder der Ukraine kam, verständigen konnte man sich mit allen gleich. Es ist wirklich tragisch, was da gerade passiert.»

Der Krieg löste bei ihr den Impuls aus, sich zu engagieren. Und als sie sah, dass Queeramnesty Leute mit unterschiedlichen Sprachkenntnissen suchte, meldete sie sich. «Ich übersetzte dann gleich mal bei einem Erstgespräch mit einem Geflüchteten aus Usbekistan und rutschte so in die Arbeit bei Focus Refugees.»

Das schöne Gefühl, etwas zu bewirken

Dabei half, dass Anne zuvor schon einige Jahre etwas Ähnliches gemacht hatte. Sie lebte mit ihrer Partnerin in New York, als 2013 wegen neuer repressiver Gesetze in Russland gegenüber queeren Menschen die erste Fluchtwelle einsetze. «Damals war ich in einer Art amerikanisch-russischsprachigem Freundschaftsverein, der dann immer politischer wurde und damit begann, queere Geflüchtete aktiv zu unterstützen. Mein Engagement hier ist quasi die Fortsetzung.»

Besonders befriedigend findet sie, wenn sie jemandem ganz konkret helfen kann. «Zum Beispiel ist es mir mal gelungen, durch Gespräche mit der Gemeinde und einer Immobilienverwaltung einem Paar eine eigene Wohnung zu vermitteln, viel früher als das üblicherweise möglich ist.» Nur schon einer Person ein Fahrrad zu organisieren und ihr so das Leben zu erleichtern, sei ein sehr schönes Gefühl. «Und oft ist es für Menschen wie mich, die sich hier auskennen und wissen, wie sie mit den Leuten reden müssen, ein kleiner Aufwand. Aber für die Geflüchteten ist es eine enorme Hilfe.»

Einführung und Unterstützung durch Focus Refugees

Wie viele Geflüchtete man als Mentor*in unterstützt, ist einem selbst überlassen. Die Betreuung kann auch mit jemandem zusammen erfolgen. «Am besten fängt man mal mit einer Person an, dann kann man einschätzen, wie viel Aufwand damit verbunden ist.» Dieser schwanke und komme in Wellen. «In der Regel sind es nicht mehr als ein paar Stunden pro Woche. Es gibt jedoch manchmal Phasen, in denen die Geflüchteten mehr Unterstützung brauchen, besonders, wenn wir sie auf die Anhörung beim SEM vorbereiten können.» Wer sich neu meldet, bekommt von Focus Refugees eine ausführliche Einführung in die Aufgabe. Zudem gibt es regelmässige Treffen zum Erfahrungsaustausch innerhalb der Gruppe. «Und man kann jederzeit nach Unterstützung fragen, wenn es doch mal schwierig wird», betont Anne.

Die Anfragen von queeren Geflüchteten werden vom Koordinationsteam gesichtet, dieses übernimmt dann auch das Matching mit Mentor*innen, je nach Sprachkenntnissen und Wohnregion. In einem Erstgespräch werden die Bedürfnisse abgeklärt und die Erwartungen gedämpft. «Viele haben grosse Hoffnungen, nur schon wegen unserem Namen und der Verbindung zu Amnesty International», sagt Anne.

«Wir müssen ihnen dann erst mal klarmachen, dass wir alle ehrenamtlich arbeiten und auch keinen Einfluss auf die Schweizer Asylverfahren haben, sie also nur sozial begleiten und vernetzen können.» Hingegen habe der Name Queeramnesty bei Sozialarbeiter*innen oder Betreuenden von Asylunterkünften durchaus eine Wirkung. «Man wird eher ernst genommen und kann so auch mal eine Verbesserung für Geflüchtete erreichen.»

2023 so viele Anfragen wie noch nie

Von den Geflüchteten, die Anne bisher betreut hat, hat erst einer in der Schweiz Asyl erhalten. Die anderen stecken alle noch im Verfahren. «Es ist sicher hart, wenn man Menschen so lange begleitet hat, und dann bekommen sie einen negativen Entscheid. Aber bisher habe ich das noch nicht erlebt.» Und insgesamt empfindet sie ihren Einsatz auch persönlich als sehr bereichernd.

Klar ist allerdings auch, dass Focus Refugees die Arbeit so schnell nicht ausgehen wird. «2023 hatten wir so viele Anfragen wie noch nie», sagt Anne. «Und so wie sich die geopolitische Lage entwickelt, werden es wohl eher noch mehr werden.» Auch deshalb ist die Untergruppe von Queeramnesty immer auf der Suche nach weiteren Mentor*innen, insbesondere ausserhalb der grossen Städte.

 

Mentor*innen für Focus Refugees gesucht

Queeramnesty ist dringend auf der Suche nach neuen Mentor*innen, also nach Menschen, die bereit sind, im Rahmen einer Freiwilligenarbeit LGBTQI*-Asylsuchende in der Schweiz sozial zu begleiten. Solche ehrenamtliche Unterstützung suchen wir insbesondere in den Städten/Regionen Bern, Biel, Freiburg, Giffers, Basel(-Stadt), Aarau, Luzern, Schwyz, Lugano, Chiasso, St. Gallen und Chur. Bist du interessiert oder willst Genaueres wissen? Dann melde dich unter: refugees@queeramnesty.ch

 

Umso wertvoller ist es, wenn ehemalige Geflüchtete, die Queeramnesty begleitet hat und die in der Schweiz Asyl erhalten haben, sich dann selbst bei Focus Refugees engagieren. «Inzwischen gibt es ein paar, die das tun», erklärt Anne. «Sie sind nicht nur als Mentor*innen eine wertvolle Hilfe, sondern bereichern auch die Organisation, weil sie aus eigener Erfahrung sagen können, welche Unterstützung für sie besonders nützlich war.»

Möglichst viel Alltag und Normalität vermitteln

Natürlich hört Anne bei ihren Einsätzen manchmal auch schwierige und belastende Geschichten. «Viele Geflüchtete haben Schlimmes erlebt und sind traumatisiert. Das kann ganz plötzlich durchbrechen – wichtig ist, sowas dann nicht persönlich zu nehmen.» Viele erleben auch in der Schweiz Diskriminierungen, etwa von Landsleuten in Asylunterkünften, und sie stecken endlos lange in bürokratischen Verfahren fest, während sie nur untätig rumsitzen können.

«Aber unsere Aufgabe ist es ja genau, ihnen dennoch ein wenig Alltag und Normalität zu vermitteln. Sie mit anderen queeren Menschen und Geflüchteten zu vernetzen, ihnen zu etwas Freizeitgestaltung zu verhelfen.» Die belastenden Geschichten spielten deshalb in der Arbeit als Mentor*in keine so grosse Rolle. «Aber ich kann mich ohnehin recht gut abgrenzen und lasse das nicht zu nahe an mich ran. Oft reicht es nur schon, ihnen zuzuhören, einfach für sie da zu sein.»