Das Zürcher Stadtparlament hat einem von Queeramnesty mitunterstützten Postulat zugestimmt.

Unter den Flüchtlingen in der Schweiz befinden sich auch queere Menschen. Sie mussten ihr Herkunftsland verlassen, weil ihre sexuelle Orientierung und/oder ihre Geschlechtsidentität dort nicht akzeptiert wird, sie deswegen an Leib und Leben gefährdet sind und verfolgt werden. Für viele dieser queeren Menschen ist der Albtraum in der Schweiz aber noch nicht vorbei. Aus Angst vor Diskriminierungen durch Landsleute oder Mitbewohner_ innen sowie wegen fehlendem Vertrauen in Behörden oder Mitarbeitende der Asylunterkünfte geht das Verstecken, die Angst, die Unfreiheit weiter.

Um dies zu entschärfen, haben die Zürcher Gemeinderäte Alan David Sangines und Marco Denoth (beide SP) im Juni 2017 ein Postulat eingereicht. Es verlangt, «dass LGBT Geflüchtete in angezeigten Fällen in separaten Asylunterkünften untergebracht werden können». Queeramnesty hatte sich an der Meinungsbildung im Stadtparlament beteiligt und alle Gemeinderät_innen per E-Mail um Unterstützung des Postulats gebeten. Am 22. November war es dann soweit: Der Gemeinderat hat das Postulat in der Schlussabstimmung mit 67 gegen 20 Stimmen (bei 31 Enthaltungen) angenommen. Die Ja-Stimmen kamen von SP, AL, Grünen und CVP, dagegen wandte sich die SVP, die Enthaltungen gehen auf die Konten von FDP und GLP. Da die Stadt selber keine Asylunterkünfte betreibt, lautet der Auftrag aus dem Postulat an den Stadtrat, bei der AOZ, die in Zürich für die Betreuung und Unterbringung von Asylsuchenden zuständig ist, entsprechend Einfluss zu nehmen. Bis im November dieses Jahres hat der Stadtrat Zeit für die Umsetzung.

Gemäss Alan David Sangines geht es nicht darum, riesige Zentren mit Dutzenden von Plätzen zu schaffen, «sondern separate, diskrete Unterkünfte wie etwa Wohngemeinschaften». Dies wäre ein wichtiger Beitrag zu mehr Sicherheit und persönlicher Freiheit für geflüchtete LGBTI*, da sie somit ein Zuhause hätten, an dem sie sich selbst sein können. «Mit Personen zusammenwohnen zu müssen, die einen mobben oder beschimpfen, […] möchten wir niemandem zumuten. Besonders nicht Menschen, die sich bereits ihr ganzes Leben verstellen und Angst haben mussten.» sagte Sangines bei der Diskussion im Parlament. Ebenso wenig geht es um eine Separation oder eine «Ghettoisierung». Die Unterbringung in einer separaten Unterkunft wird für die betreffende Person freiwillig sein.

Thomas Kunz, Direktor der AOZ, weist auf Nachfrage von Queeramnesty darauf hin, dass geflüchtete Menschen in der Stadt Zürich nicht in grossen Asylunterkünften leben, sondern bereits heute individuell und selbständig in normalen Wohnungen. Eine allfällige Betreuung, Unterstützung und Beratung wird durch entsprechende Sozialhilfestellen zur Verfügung gestellt, es gibt kein betreutes und kollektives Wohnen. Die AOZ ist denn auch der Meinung, dass separate, betreute Unterkünfte für LGBTI* «bezüglich Rückzugsmöglichkeit, Intimsphäre und Selbständigkeit wohl ein Rückschritt» wären, betont jedoch, dass im Einzelfall bereits heute stets eine für die betreffende Person gute Wohnlösung gefunden werden könne. Diesbezüglich sieht die AOZ die_den geflüchtete_n LGBTI* in der Verantwortung, auf die für sie zuständige Person (z.B. Sozialarbeiter_in) zuzugehen und sich zu outen, da nur so eine allenfalls gewünschte andere Wohnform gefunden werden könne. Ausserdem will die AOZ noch dieses Jahr mit LGBTI*-Organisationen den konkreten Handlungsbedarf zur Umsetzung des Postulats eruieren.

Marco Denoth ist einverstanden damit, dass betroffene oder interessierte Personen sich selber melden müssten. Zudem erwartet er jedoch, dass entsprechende Informationen in den Asylunterkünften und bei lokalen Asyl- und LGBTI*-Organisationen zugänglich gemacht werden. «Weiter muss das Personal die Augen offenhalten und direkt auf Betroffene zugehen, falls es einen Verdacht auf Diskriminierung entdeckt.» Dies werde laut Thomas Kunz bereits heute gemacht. Zwar fordert das Postulat weder Schulungen und Weiterbildungen zum Thema LGBTI* für AOZ-Mitarbeitende noch entsprechende Informationen und Kurse für geflüchtete Menschen. Dennoch würden solche Massnahmen bei der Umsetzung helfen und kämen geflüchteten LGBTI* zugute. Laut AOZ ist dies aber nicht vorgesehen.


Anmerkung zur Begrifflichkeit: Das Postulat spricht nur von LGBT, im Text verwenden wir aber, wie auch sonst in unseren Texten, LGBTI*, in der Hoffnung, die geplante Umsetzung werde auch intersexuelle und andere queere Menschen berücksichtigen.