An der Jahresretraite wurde beschlossen, dass sich Queeramnesty für 2016 kein Schwerpunktland, sondern ein Schwerpunktthema setzt: Hassverbrechen.

#hatecrimes CC BY-NC 2.0 FlickrAuch in der Schweiz geschehen noch immer Hassverbrechen an LGBTI-Menschen. Im Oktober wurden das Zürcher Szene-Lokal Les Garçons und seine Gäste gewalttätig angegriffen – begleitet von Hasssprüchen wie „verdammte Schwule“. Zu einer Anzeige bei der Polizei hat sich niemand durchgerungen. So wie es die meisten nicht tun, die im Alltag homo-, bi-, inter- oder transphobe Gewalt erleben. Denn die Gesetzeslage in der Schweiz bietet keinen expliziten Schutz bei dieser Form der Gewalt.

80% DER OPFER ERSTATTEN KEINE ANZEIGE

Das ist nur ein Beispiel, das die Aktualität dieses Themas in unmittelbarer Umgebung aufzeigt. In anderen Weltregionen sieht es für LGBTI-Menschen jedoch noch schlimmer aus: In der Türkei wurden dieses Jahr mehrere Trans*-Menschen ermordet, bei der Jerusalem Pride hat ein extremistischer Jude bei einer Messerattacke fünf Menschen verletzt und eine Jugendliche ermordet, die Vergewaltigung einer lesbischen Frau in Südafrika vor vier Jahren ist bis heute nicht aufgeklärt, schwule Männer wurden in Italien in einem Tram und in der Ukraine auf offener Strasse zusammengeschlagen. Eine europäische Umfrage hat ergeben, dass über 1⁄4 aller LGBTI- Menschen Gewalt oder Gewaltandrohung erlebt hat, bei Trans*-Menschen ist der Anteil noch höher. Rund 80% aller Opfer erstatten aber keine Anzeige – häufig aus Angst vor weiterer Diskriminierung durch Polizei und Strafverfolgungsbehörden.

Die Auswirkungen von Hate Crimes auf die Opfer sind wegen des diskriminierenden Vorurteilsmotivs der Tat oft umso nachhaltiger und schwerwie- gender. Es ist deshalb äusserst wichtig, dass die Motive einer Tat sowohl bei den polizeilichen Ermittlungen wie auch bei einem Strafprozess ans Licht kommen. Wenn Hate Crimes nicht als solche behandelt werden, sondern, wenn überhaupt, als „normale“ Straftaten, sendet dies ein Signal aus: Die Strafe fällt verhältnismässig mild aus, das Tatmotiv Homo-, Bi-, Inter- oder Transphobie wird nicht berücksichtigt und damit nicht verurteilt – die Ver- brechen werden indirekt legitimiert.

Was sind Hassverbrechen?

Hassverbrechen (engl. Hate Crime) sind kriminelle Handlungen motiviert durch Voreingenommenheit oder Vorurteile gegenüber bestimmten Gruppen von Menschen. Das Opfer wird ausgewählt, weil der_die Täter_in einen Hass auf Personen mit bestimmten Eigenschaften hat – in diesem Fall auf Menschen, die inter*, trans*, bi* oder homo* sind.

GESETZE UNGENÜGEND

Die Bekämpfung von Diskriminierung ist eine völkerrechtliche Pflicht aller Staaten. Dazu gehört auch, wirksame Massnahmen gegen Gewalt aus homo*-, bi*-, inter*- oder trans*phoben Motiven zu ergreifen. Die heutige Gesetzeslage in vielen Ländern erweckt aber den Eindruck, dass gewisse Gewaltverbrechen weniger ernst genommen werden als andere.

Hate Crimes müssen darum statistisch als solche erfasst werden, um das Ausmass des Problems zu erkennen. Die Strafgesetze sollten so angepasst werden, dass Verbrechen, die mit einem Vorurteilsmotiv aus Hass begangen wurden, härter bestraft und konsequent verfolgt werden.

Die Staaten müssen die Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit von LGBTI-Menschen schützen und durchsetzen. Mindestens ebenso wichtig ist es allerdings, durch öffentliche Bildungs- und Informationskampagnen positive Veränderungen im Denken der Menschen anzustossen. Wenn LGBTI-Menschen sichtbar werden, in Schulen, auf der Strasse, in der Politik, am Arbeitsplatz, werden Berührungsängste und Vorurteile abgebaut.

Queeramnesty will das Thema 2016 besonders in das öffentliche Bewusstsein rücken, Missstände und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen und sich so mit euch gegen Hate Crimes engagieren. (tk)

Dieser Artikel erschient im Queeramnesty Magazin Nr. 1.