Der Podcast «Mord im Männermilieu» beschäftigt sich mit sechs Mordfällen an Schwulen in Zürich zwischen 1957 und 1969 – und führt zurück in eine Zeit, in der Homophobie auch hierzulande noch Alltag war. Alexander Wenger und Michael Rüegg erzählen, wie ihr Werk entstanden ist.

Robert Obussier starb am 9. Juni 1957, ermordet von einem 18-jähriger Ausreisser, der sich Sex mit warmen Mahlzeiten, etwas Geld und einem gelegentlichen Dach über den Kopf bezahlen liess. Obussier war ein gefeierter Komponist, noch wenige Tage vor dem Mord war eines seiner Werke in der Zürcher Tonhalle aufgeführt worden. Doch niemand wusste, dass der 56-Jährige schwul war; er konnte dies – wie alle anderen in jener Zeit – nur heimlich leben. Ansonsten drohte die gesellschaftliche Ächtung.

In der ersten Folge ihres Podcasts «Mord im Männermilieu» rekonstruieren die Zürcher Journalisten Alexander Wenger (35) und Michael Rüegg (45) den Fall im Detail, erzählen die Vorgeschichte des jungen Täters ebenso wie seines schwulen Opfers. Und ordnen den Fall ein in die gesellschaftliche Situation der damaligen Zeit.

Schwulenmord als Kavaliersdelikt

Der Fall Obussier war der Start einer Mordserie an Schwulen, die grosse Aufmerksamkeit erregte und durch die offene Homophobie von Polizei und Medien den im Untergrund lebenden Schwulen das Leben nur noch schwerer machte. Die Zeitungen berichteten reisserisch, oft wurden die Täter zu Opfern gemacht – manchmal schien es gar, als wäre es ein Kavaliersdelikt, einen Schwulen zu töten. Und die Polizei begann, eine «HS-Liste» zu führen, eine Namensliste von Homosexuellen.

«Es war ein fataler Mix aus einer homophoben Gesellschaft, einer übersteuernden, repressiven Polizei und sensationslüsternen Medien», sagt Alexander. «So wurden in den Zeitungen zum Beispiel Opfer und Täter nicht nur mit vollem Namen genannt, sondern gleich auch noch mit ihren Wohnadressen.» Und Sympathien für die schwulen Opfer gab es in der Berichterstattung nie. «Bestenfalls wurden sie wegen ihrer ‘Veranlagung’ als arme, bedauernswerte Wesen dargestellt», ergänzt Michael, «das war das höchste an Empathie, was man damals aufbrachte.» Die Medienberichterstattung wiederum prägte das Bild der Homosexuellen in der Öffentlichkeit – ein äusserst negatives Bild.

Leben in konstanter Angst

Und noch ein anderes Muster sehen die beiden in der Mordserie von damals: «Es ging den Tätern fast immer irgendwie darum, die heimlich schwul lebenden Männer auszunehmen, da diese in konstanter Angst lebten, dass jemand von ihrer Homosexualität erfahren könnte», sagt Michael. In der Geschichte über Robert Obussier kommt einem allerdings der Täter tatsächlich auch wie ein Opfer vor – einerseits vom damaligen gesellschaftlichen Umgang mit schwierigen Jugendlichen, andererseits von Obussier, der eine gewisse Abhängigkeit auszunutzen schien. Die Podcast-Macher geben jedoch zu bedenken, dass die Gerichtsakten zwangsläufig nur die Perspektive des Täters wiedergeben. «Obussiers Version hätte vielleicht ganz anders geklungen.»

Die Podcast-Macher: Michael Rüegg (links) und Alexander Wenger.

Es war Alexander Wenger, der eher zufällig auf das Thema stiess. Er recherchierte 2020 im Schweizerischen Sozialarchiv in Zürich und entdeckte dabei eine Fülle von Medienberichten über Morde und andere Verbrechen an Schwulen von den 1950er- bis in die 1960er-Jahre. «Ich las mich ein und realisierte, wie spannend das alles ist.» Der TV- und Radiomacher fragte dann den eher auf Print fokussierten Michael Rüegg an, ob er sich eine Kooperation vorstellen könnte. Dieser war damals in der Chefredaktion des Online-Magazins «Republik», wo die Podcast-Serie schliesslich Ende Februar dieses Jahres startete.

Zwei der Mörder leben noch

Alexander wühlte sich wochenlang durch Tausende Seiten von Gerichtsakten, die er in diversen Archiven sicherstellte, Michael interviewte Zeitzeugen und Historiker, die zu finden nicht immer ganz leicht war. Sie entschieden sich, auf Mordfälle in Zürich zu fokussieren und rekonstruierten am Ende die sechs prominentesten, welche die gravierendsten Folgen hatten. Die Interviewpartner halfen ihnen, die Ereignisse historisch und sozialpolitisch einzuordnen. Alexander schaffte es sogar, die Wohnadressen von zwei der damaligen Mörder aufzuspüren und schickte ihnen Briefe. «Doch es kam leider keine Antwort.»

Die Arbeit an den Fällen hat sie auch persönlich beschäftigt. «Ich habe mich schon gefragt, wie ich wohl mit meinem Schwulsein umgegangen wäre, wenn ich in dieser Zeit gelebt hätte», sagt Alexander. «Und so lange ist das alles eben gar nicht her», ergänzt Michael. «Ich lief manchmal durch die Stadt, sah mir die Hausmauern an und dachte: Diese Leute damals sahen dieselben Mauern, ein paar der jüngeren Menschen jener Zeit laufen hier möglicherweise noch immer durch die Strassen.»

Spannende Geschichtslektion für jüngere Queers

Die Lage besserte sich ab 1969. «Dazu trugen wohl mehrere Dinge bei. Die 68er-Bewegung brachte eine sexuelle Revolution, die Jungen kämpften für eine andere, freiere, offenere Welt, mehr und mehr schwule und lesbische Organisationen traten an die Öffentlichkeit – und mit ihnen bekamen plötzlich auch Lesben und Schwule ein Gesicht», sagt Alexander. Michael hält die öffentliche Sichtbarkeit sowie Coming-outs von Prominenten bis heute für einen der wichtigsten Faktoren für den enormen gesellschaftlichen Wandel der letzten Jahrzehnte.

Die Folgen des Podcasts sind inzwischen alle veröffentlicht. «Die Resonanz war bisher rundum positiv», erzählt Alexander, «und ich habe gestaunt, für wie viele Leute das alles völlig neu war. Gerade auch jüngere Queers hatten davon noch nie gehört und fanden das dann wohl sehr spannend.»


Den sechsteiligen Podcast «Mord im Männermilieu» gibts auf allen gängigen Podcast-Plattformen, zum Beispiel hier:
https://mord-im-maennermilieu.podigee.io