2025 wird in Zürich eine Alterssiedlung eröffnet, in der erstmals ein ganzes Gebäude für die LGBTI*-Community vorgesehen ist – dank jahrelanger Arbeit des Vereins queerAltern. Dass das Projekt sinnvoll ist, zeigen sowohl Umfragen als auch die steigende Nachfrage in der ganzen Schweiz.

 

 «I’ve been fabulous throughout my life and I want to be fabulous till the very end of my life.» («Ich war mein ganzes Leben lang umwerfend und ich möchte bis zum Ende meines Lebens umwerfend sein.») So die Worte von David, einem amerikanisch-irischen Doppelbürger, der speziell wegen der geplanten Gründung eines neuen LGBTI*-Altersheims in Madrid nach Spanien gezogen ist.

David ist nur ein Beispiel der steigenden Nachfrage für queer-gerechte Alterseinrichtungen – und die wächst auch in der Schweiz.

 

Wer kümmert sich um die Alten?

Lange Zeit war es die Aufgabe der jüngeren Generationen, sich um die Alten zu kümmern. In Indien ist es sogar die gesetzliche Pflicht der Kinder, für ihre Eltern zu sorgen. In vielen Teilen der Welt ist oder war diese Form der Altersvorsorge auch ein zentraler Grund für grosse Familien mit vielen Kindern.

Und während es in der Schweiz und in Deutschland schon seit dem 16. Jahrhundert Altersheime gibt, war das erste «Old Age Home» in einem schwarzen Township bei Kapstadt in Südafrika vor nur wenigen Jahren etwas ganz Neues und Aussergewöhnliches – und ein Zeichen dafür, wie sich die Welt mit der Urbanisierung ändert.

In Europa ist es mittlerweile üblich, dass alte Menschen ihre letzten Lebensjahre in einem Alters- oder Pflegeheim verbringen oder von Anbietern wie der Spitex betreut werden. In der Schweiz gab es Ende 2019 1’565 Alters- und Pflegeheime, die etwa 158’000 Kund*innen beherbergten. Zur gleichen Zeit betreute die Spitex knapp 395’000 Personen.

 

Im Alter zurück «into the closet»?

Rein statistisch dürften 5 bis 10 Prozent dieser Betreuten queer sein, auf jeden Fall mehrere Zehntausend. Und da stellt sich natürlich die Frage, wie es denen denn so geht in den heutigen Altersheimen und bei der mobilen Betreuung zu Hause. Müssen viele Senior*innen zurück «into the closet»? Oder sind heutige Heime offener und flexibler als man auf den ersten Blick denken würde?

Es gibt zum queeren Altern in der Schweiz inzwischen auch ein paar Umfrageergebnisse. Aus der jährlichen Online-Befragung von Léïla Eisner und Tabea Hässler für ihr Forschungsprojekt über die Situation von LGBTI*-Menschen in der Schweiz geht etwa hervor, dass in der Altersgruppe 50+ mehr als 30% der Homosexuellen Diskriminierung im Alltag erleben: Witze über sie, nicht ernst genommen werden, sozialer Ausschluss, oder angestarrt werden. Bei Angehörigen geschlechtlicher Minderheiten (z.B. Trans) ist dies noch deutlich häufiger der Fall.

2016 führten die Fachhochschulen St. Gallen, Luzern und Bern im Auftrag der «Fachgruppe Alter» von Pink Cross, LOS und TGNS eine Studie durch, um herauszufinden, wie Alters- und Pflegeeinrichtungen, Spitex und Pflegeberufsschulen die Sensibilisierung für die Belange von queeren Menschen einschätzen. Die Fachgruppe, zu der auch queerAltern gehört, hat zudem im August 2019 eine weitere Umfrage durchgeführt, diesmal zu den Erwartungen der LGBTI*-Menschen.

Dabei herrschte die Einschätzung vor, dass diese Einrichtungen und Dienstleister nur wenig auf queere Kundschaft vorbereitet sind – und vielen noch nicht mal der Begriff «LGBTI*» bekannt ist. Deswegen gibt es bisher auch kaum Informationen oder Angebote für die Community.

 

Was wünscht sich die Community?

Eine grosse Mehrheit der Befragten wünscht sich, dass eine Alters- oder Pflegeeinrichtung oder eine Spitex über ein Leitbild verfügt, das explizit klarstellt, dass sie LGBTI*-Menschen akzeptiert. Je etwa ein Drittel wünscht sich spezifische LGBTI*-Einrichtungen oder -Spitexanbieter. Die «Fachgruppe Alter» ist aktuell dran, einen Leitfaden für Schweizer Heime und Dienstleister*innen zu erstellen. Max Krieg von der Fachgruppe betont im Gespräch mit Queeramnesty: «Wir sind der Auffassung, dass es beides braucht: sowohl spezifische LGBTI*-Einrichtungen als auch die allgemeine Sensibilisierung – das steht zueinander nicht in Widerspruch.»

 

Wie sieht es in der Pflegeausbildung aus?

In vielen Fachhochschulen, die Pflegepersonal ausbilden, sind queere Kund*innen kein Thema. Eine befand auf Anfrage, dass sie «anderes, wichtigeres» zu tun und zu wenig Zeit hätten. Wenig Resonanz fand z. B. auch die Idee, dass es in der Ausbildung wenigstens einen Tag lang um das Pflegen von trans Personen gehen sollte, damit dies respektvoll stattfinden kann. Immerhin: Die Berner Fachhochschule hat sich inzwischen bei der Fachgruppe gemeldet, um gemeinsam einen Weiterbildungstag zu organisieren.

 

Ein «Queeres Haus» für Zürich

Doch Pflege ist natürlich nur ein Aspekt von vielen, wenn man älter wird. Ganz grundsätzlich stellen sich viele LGBTI+Personen die Frage, in welchem Umfeld sie im Alter leben wollen. In Zürich gibt es bald eine neue mögliche Antwort darauf: Vincenzo Paolino hat 2014 den Verein queerAltern mitgegründet, Barbara Bosshard präsidiert ihn seit 2019. «Es geht uns darum, eine Lebenswelt zu schaffen, die es ermöglicht, auch im Alter so zu sein, wie man ist», sagt Vincenzo. Dank viel Arbeit und Leidenschaft kann der Verein nun auch einen grossen Erfolg feiern: 2025 soll in der Alterssiedlung Espenhof in Zürich-Albisrieden eines der vier Gebäude als ein «Queeres Haus» einzugsbereit sein.

Laut Barbara und Vincenzo war es ein langer Weg bis hierhin. In den ersten Jahren suchte der Verein auf dem öffentlichen Markt und mit Genossenschaften zusammen nach geeigneten Mietobjekten, in Kooperation mit anderen queeren Organisationen. Doch da queerAltern nicht nur ein Angebot für Wohlbetuchte wollte, kamen sie auf diesem Weg nicht weiter.

Der Verein organisierte Veranstaltungen, erweiterte sein Netzwerk, suchte Gespräche, auch mit dem für Alterswohnungen zuständigen Departement. Bei einer Aktion vor dem Zürcher Rathaus, als es drinnen um die Alterstrategie ging, drückten sie jedem Gemeinderat und jeder Gemeinderätin einen Flyer in die Hand. So konnte queerAltern über die Jahre nicht nur insgesamt 360 Mitglieder (und 800 Newsletter-Abonnent*innen) gewinnen, sondern auch institutionell Vertrauen und Glaubwürdigkeit aufbauen. Das führte zum entscheidenden Schritt: dem Beginn einer engen Zusammenarbeit mit der Stadt Zürich, mit dem Departement Umwelt und Gesundheit unter der Leitung von Stadtrat Andreas Hauri.

Für das vierstöckige «Queere Haus» in der Alterssiedlung Espenhof sind bis zu 26 Wohnungen plus 23 Pflegeplätze geplant. Die Mieten sollen bezahlbar sein, daher werden sie von der Stadt teilsubventioniert. In der ganzen Siedlung soll es 150 Wohnungen geben, ein Gemeinschaftsraum und eine Gästewohnung. Das «Queere Haus» wird zusätzlich ein Gartenzimmer haben, das als Gemeinschaftszimmer für die dort wohnende LGBTI*- Community dienen soll. Angedacht ist, dass die Bewohner*innen dort mehrere Jahre selbstständig wohnen können und ihr bekanntes Umfeld nicht verlassen müssen, falls sie pflegebedürftig werden.

 

Ein queeres Ghetto?

Barbara wird immer mal gefragt, ob es denn überhaupt Bedarf für so ein «queeres Ghetto» gebe – auch LGBTI*-Menschen hätten schon Zweifel signalisiert, ob sie so wohnen wollten. «Klar, so eine Wohngemeinde ist nicht für jeden», sagt sie. «Aber wenn du mit anderen Bewohner*innen in einem Heteroheim zusammensitzt, und sie das Fotoalbum mit Bildern ihrer Enkel vorzeigen, was machst du dann? Deine Fotos zeigen von dir, oben ohne im Lederoutfit von den letzten Pride? Wir haben halt unsere eigene Biografie», sagt Barbara. «Und das Angebot im Espenhof soll es unserer bunten und vielfältigen Community ermöglichen, dort zu leben, wo wir uns wohlfühlen.»

Die Wohnsiedlung in Espenhof wird von der «Stiftung Alterswohnungen der Stadt Zürich» (SAW) verwaltet. Auch involviert sind die PZZ, die «Pflegezentren der Stadt Zürich». Barbara ist stolz darauf, dass queerAltern im Vertragsregelwerk für Espenhof eingebunden ist, ja der Verein darin sogar gleichgestellt ist mit SAW und PZZ. Somit hat queerAltern volles Mitspracherecht bei der Auswahl der Bewohner*innen und des Personals sowie beim Input zur Aus- und Weiterbildung der Arbeitskolleg*innen.

 

Projekte müssen lokal verankert sein

Die Pläne für das «Queere Haus» strahlen bereits weit über Zürich hinaus: Diverse Queere Altersaktivist*innen wünschen sich, dass es einst in jeder Stadt und jeder Gemeinde der Welt ein solches Angebot für die LGBTI*-Community gibt. Der Bedarf ist da, das ist klar. So wurde auch aus Bern und Basel bereits Interesse bekundet.

Doch das Zürcher Projekt lässt sich nicht so einfach duplizieren, meint Barbara Bosshard: «Ein solches Angebot muss aus der eigenen Community heraus aufgebaut werden. Es braucht zwingend Personen mit Kontakten in der eigenen Gemeinde und der lokalen Politik. Das Erfolgsrezept ist Leidenschaft, verbunden mit politischer Zusammenarbeit mit der Stadt oder Gemeinde sowie vertrauenswürdigen Interessensgruppen.» Barbara und ihr Team sind gerne bereit, Interessierte zu unterstützen, damit sie von ihren Erfahrungen profitieren können.

 

Was machen andere Länder?

  • In Wien gibt es seit 2017 den «Que[e]rbau Seestadt», das «Que[e]rbeet im Wildgarten» ist in Planung. In beiden Häusern können Queers aus allen Altersgruppen zusammenwohnen.
  • In Australien befinden sich in Sydney, Melbourne und der Gold Coast
    häusliche Pflegeeinrichtungen und Altersheime mit Unterstützung vom Staat.
  • In Spanien ist ein LGBTI*-Altersheim in Madrid im Aufbau.
  • In London steht ein Angebot für betreutes Wohnen in Vauxhall kurz vor der Eröffnung, das die Unterstützung des Bürgermeisters hat. Die 19 Wohnungen sollen diesen Sommer bezogen werden.
  • München plant ab 2023 ein Senioren- und Pflegeheim für Queers; das Projekt «Wohnen unterm Regenbogen» wird von der Stadt finanziell unterstützt.
  • In Boston in den USA sind gleich zwei Projekte in Umsetzung:
    «The Pryde» soll 2023 öffnen und Wohnungen an Senior*innen ab 62 Jahren mit niedrigerem Einkommen vermieten. Die Stadt hat das Land für das Projekt gespendet und wird es mitfinanzieren. Dabei dürfen Hetero-Senior*innen nicht diskriminiert werden, die Bewohner*innen werden in einer Art Lotterie ausgesucht.

«Project Q» ist eine Mischung aus gekauften Apartments für betreute Senior*innen, Mietwohnungen für Medizinsstudent*innen, Büroräumen, Läden und Kultur

 

Kann ich mich schon im Espenhof anmelden?

Laut Barbara Bosshard, «Ja, man kann sich bei der SAW anmelden und dort sagen, dass Queer und deshalb unbedingt ein Plätzli im Espenhof gewünscht wird. Wenn die noch keine Anmeldeliste haben, dann darauf beharren, dass der Wunsch notiert wird.»

(at)