Ende Januar veröffentlichte die NZZ einen extrem transfeindlichen Gastbeitrag. Die Autorin Sibel Schick und Transgender Network Switzerland (TGNS) reichten daraufhin Beschwerden beim Presserat ein, die noch hängig sind. Wir haben uns mit Janna Kraus von TGNS über die Hintergründe unterhalten.

Janna, was erhofft ihr euch von der Beschwerde gegen den Beitrag von Birgit Kelle?

Bezüglich tatsächlicher Konsequenzen für Kelle und die NZZ sind unsere Hoffnungen gering. Es wird wohl auch kein grundsätzliches Umdenken geben. Wenn es wenigstens den Effekt hat, dass sie womöglich künftig vorsichtiger sind, um solche Umstände wie die Beantwortung einer Presseratsbeschwerde zu vermeiden, wäre das bereits ein gewisser Erfolg. Dennoch ist es wichtig, dass sie wie auch die Leser*innen sehen, dass Transfeindlichkeit sich nicht auf breite Zustimmung abstützt, dass sie nicht von einer stillen Duldung ausgehen können. Es ist uns besonders wichtig für alle trans Menschen, damit sie sehen, dass sie nicht alleine sind.

Im Artikel von Kelle werden Mädchen in den Vordergrund gestellt. Gibt es dafür einen Grund?

Grosse kulturelle Konflikte verstecken sich oft hinter dem Argument, dem Schutz von Mädchen und Frauen zu dienen – siehe etwas die Diskurse um Einwanderung und vermeintliche Islamisierung. Der Fokus auf trans Frauen in der transfeindlichen Szene ist entsprechend enorm, was nicht heisst, dass es trans Männer leicht hätten. Transfeindliche Argumente bespielen zwei widersprüchliche Thesen zugleich; zum einen geht es um die «Mädchen», die angeblich in die Transidentität flüchten, um Sexismus zu entgehen, zum anderen werden trans Mädchen und Frauen verteufelt, da sie als «männliche» Eindringlinge in die sichere Welt von cis Frauen inszeniert werden.
Misogynie spielt ebenfalls eine Rolle: Transfeindliche Frauen und Frauenorganisationen machen beinahe die gesamten Schlagzeilen im TERF-Diskurs aus (Trans-Exclusionary Radical Feminism, also trans Menschen ausschliessender radikaler Feminismus), als wären sie die einzigen Quellen von Transfeindlichkeit. Während lesbische Gruppierungen oder berühmte Autorinnen scheinbar ständig für ihre Hassrede Aufmerksamkeit erhalten und auch viel kritisiert werden, gelingt es den transfeindlichen Männern oder Männerorganisationen, unterm Radar zu fliegen, obwohl sie keinen Deut transfreundlicher sind.

Im Artikel schreibt Kelle: «Vierzehnjährige dürfen also nicht wählen, nicht rauchen, keinen Alkohol trinken, müssen abends nach 22 Uhr nach Hause, sie dürfen sich ohne Mutti nicht einmal ein Tattoo stechen lassen. Aber nach dem Wunsch der Transverbände und der Grünen sollen sie ihren Körper, ihr Geschlecht und ihren Namen ohne Eltern ändern können.» Wie entgegnest du diesen Behauptungen?
Minderjährige haben ein Anrecht auf therapeutische und medizinische Betreuung, die nicht von der Zustimmung der Eltern abhängig ist und es auch nicht sein sollte. Kaum jemand würde einem 14-jährigen Kind verdenken, sich impfen zu lassen, wenn die Eltern dagegen wären, oder therapeutische Betreuung in Anspruch zu nehmen, wenn die Erziehungsberechtigten es nicht gestatten. Politische Mündigkeit ist keine Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben und trans Sein wartet nicht bis zur Volljährigkeit. Wir können als Gesellschaft weiterhin versuchen, Minderjährigen Unterstützung zu verweigern, aber das hat fatale Effekte. Genauso wie viele Kinder und Jugendliche schwul, lesbisch, bi etc. sind, sind sie mitunter eben trans – und auch sie verdienen Anerkennung und kein Aufwachsen in Angst und ständiger Konfrontation.
Ausserdem ist die Gleichsetzung mit kosmetischen Eingriffen oder dem Konsum von Tabak und Alkohol unsinnig und absichtlich irreführend. Teenagern zu erlauben, einen eigenen Namen zu wählen und dafür zu sorgen, dass sie Papiere und Unterlagen haben, die nicht das falsche Geschlecht aufführen, hat absolut nichts mit Frivolität oder dem Konsum von reglementierten Substanzen zu tun. Es geht darum, Heranwachsenden ein normales Leben zu ermöglichen und ihnen keine Steine in den Weg zu legen.
Im Hinblick auf körperliche Massnahmen ist genau der Sinn von Pubertätsblockern, jungen trans Menschen Zeit zu verschaffen, ihnen Freiraum zu geben ohne Deadline, damit sie in einem geeigneten Alter diese Schritte tun können. Der Wechsel vom Namen und Geschlechtsmarker hat überhaupt nichts mit operativen Eingriffen zu tun, die übrigens bei cis Jugendlichen aus kosmetischen Gründen bei weitem nicht so reglementiert sind wie bei trans Jugendlichen.
Diese Schlagzeilen sind Teil einer unverantwortlichen Berichterstattung, die Talking Points von transfeindlichen Organisationen unkritisch verstärkt. Man kann es also sehr wohl den Medienschaffenden und den Organisationen, die diese Gruselgeschichten pushen, verübeln, dass sie Eltern Angst machen und damit Jugendlichen und Kindern das Leben schwerer machen.

Kelle bezieht sich in dem Kommentar auch auf einen Gerichtsfall in den UK, wo eine ehemalige Patientin eine Gender Klinik verklagt, da sie mittlerweile ihre Transition bereut und findet, die Klinik hätte ihren Transitions-Wunsch zu wenig hinterfragt. Solche Fälle von «Transition regret» werden immer wieder als Argumente angeführt (und von besorgten Eltern aufgegriffen), warum mehr Vorsicht im Umgang mit Pubertätsblockern und anderen Massnahmen angebracht sei. Wie siehst du die Diskussion um solche Fälle?
Erstens gibt es keine systematischen Studien darüber, zweitens werden dieselbe Handvoll von Anekdoten immer wieder gebracht und drittens geht es selbst bei diesen anekdotischen Einblicken in den allermeisten Fällen darum, diese Personen mehrheitlich aufgrund von Transphobie, sozialer Ablehnung oder Angst vor Gewalt, nur vorrübergehend im Zusammenhang mit Fruchtbarkeitsbehandlungen oder auch missglückten Eingriffen detransitionieren und nicht etwa, weil es falsch gewesen ist, sie in ihrem Weg zu unterstützen. Viele Fälle beschreiben auch nonbinäre Personen, die eine binäre Transition angestrebt haben, bevor ihnen klar war, dass dies für sie nicht nötig ist. Entscheidet sich eine Person zur Detransition aus welchen Gründen auch immer, ist es für sie umso wichtiger, auf ein aufgeklärtes Umfeld und qualifiziertes medizinisches Personal zu treffen.

«Es geht darum, Heranwachsenden ein normales Leben zu ermöglichen und ihnen keine Steine in den Weg zu legen.» JANNA KRAUS

Das eigene Kind bei der sozialen wie medizinischen Transition nicht zu unterstützen ist ganz sicher nicht der richtige Weg. Eine Transition mit psychologischer, sozialer und medizinscher Begleitung mit der aktiven Unterstützung des Umfelds ist kein Fall von Laissez-Faire, sondern von verantwortungsvollem Umgang.

Kelle bezeichnet sich selbst als Feministin und Gender-Expertin. Was hältst du davon?
Wenn eine Person für sich sagt, Feminismus ist allein der Kampf dafür, dass Frauen bessergestellt werden und sie darunter nur cis Frauen versteht, dann wäre das wohl ihrem Verständnis nach so. Es passt allerdings weder zu meiner Definition noch zu den Diskussionen und Rechtfertigungen der vergangenen Jahrzehnte, die Feminismus als ein aktives Bemühen um Gleichberechtigung und Befreiung aller Geschlechter sieht und in diesem Zusammenhang immer wieder betont, dass etwa auch Männer enorm von der Auflösung patriarchaler Altlasten profitieren.

Für transfeindliche Feminist*innen gibt es einen Begriff: TERF. Ist dieser problematisch?
Transfeindliche Personen bezeichnen TERF als Verunglimpfung, obwohl dies an und für sich eine sehr harmlose und auch zutreffende Bezeichnung dafür ist, trans Personen aus feministischen Diskursen auszuschliessen. Allerdings wird der Begriff häufig falsch verwendet, indem er als Bezeichnung für alle transfeindlichen Personen genutzt wird und denen damit quasi noch gratis das Label «feministisch» zuschreibt, was niemandem hilft.

Woher genau kommt diese aggressive Transfeindlichkeit in diesem Teil des Feminismus? Und gibt es einen Weg, auch diese Frauen zu erreichen, damit sie ihre Positionen hinterfragen?
Feministisches Engagement macht nicht immun gegenüber Rassismus, Transfeindlichkeit, Diskriminierung von Menschen mit Behinderung etc. Es gibt und gab immer Gruppen und Menschen, die vom Mainstreamfeminismus bewusst oder unbewusst ausgeschlossen wurden und sich Gehör verschaffen mussten, und ich hoffe sehr, dass wir grundsätzlich auf dem Weg dahin sind, diese Hürden und Ausschlussmechanismen abzuschaffen. Wer Feminismus als die Befreiung und Gleichberechtigung aller Geschlechter versteht und darauf hinarbeiten möchte, kann dies nicht mit geschlechtsbasierter Gewalt erreichen, denn das ist letztlich Transfeindlichkeit. Es ist weniger wichtig, sich an einzelnen transfeindlichen Frauen abzuarbeiten und diese bekehren zu wollen, als sich mit trans Menschen, besonders Frauen, solidarisch zu zeigen, sie zu unterstützen, von ihnen zu lernen und ihre Sicherheit höher zu gewichten als die Beschwichtigung derer, die ihnen all das verwehren wollen. Zudem braucht es ein historisches Bewusstsein dafür, dass trans Menschen bereits seit Beginn ein Teil feministischer Bewegungen sind und keine Erlaubnis brauchen, um weiterhin Teil feministischer Räume und Diskussionen zu sein.

Weshalb werden trans Männer in TERF-Kreisen eher akzeptiert als trans Frauen?
Dahinter steckt neben einem fehlgeleiteten Biologismus auch noch das Argument der Sozialisierung, wonach trans Frauen «männlich sozialisiert» wurden und daher keine Frauen sein können und vice versa für trans Männer. Trans Männer werden in diesem Kontext oft infantilisiert und als verwirrte Frauen gesehen, die wieder auf den rechten Weg gebracht werden können.

«Der Begriff TERF wird häufig falsch verwendet, indem er als Bezeichnung für alle transfeindlichen Personen genutzt wird und denen damit quasi noch gratis das Label ‹feministisch› zuschreibt, was niemandem hilft.» JANNA KRAUS

In den Medien wird immer wieder über Unisex-Klos diskutiert. Wie erlebst du das?
Die Medienbeiträge und auch die Diskussionen darüber haben verschiedene Effekte: Sie verfestigen die Behauptung, dass der Zugang zu sanitären Anlagen vom Goodwill der Öffentlichkeit abhängt und kein Recht sein sollte. Sie unterstützen die zahlreichen gesundheitlichen Probleme, die trans Menschen wegen des fehlenden Zugangs häufig haben. Sie kreieren Ängste und Probleme, wo eigentlich keine sind – und sie reduzieren die Anliegen von trans Menschen auf ein Thema, ungeachtet der tatsächlichen Probleme. Damit sorgen sie für Überdruss beim lesenden Publikum, das keine Lust mehr hat auf diese nervigen Anliegen einer kleinen Gruppe.

Was müsste sich in der öffentlichen Diskussion um trans Personen ändern, um mehr Akzeptanz zu schaffen?
Ein Fortschritt wäre es, aus vergangenen Situationen zu lernen, anstatt diese unreflektiert zu wiederholen. Viele der «Sorgen», die medial regelmässig bespielt werden, wurden bereits so oder ähnlich im Zusammenhang mit Homosexualität, Religionsfreiheit, Migration etc. geführt und haben auch dort weder Hand noch Fuss gehabt. Vor allem aber müssten sich nicht einfach die Diskussion ändern, sondern die Taten; es geht nicht darum, das Richtige zu sagen, sondern das Richtige zu tun. Solidarisch zu sein, Aufwiegelung keinen Platz zu geben, Intoleranz keinen Platz zu geben. Unfundierte Hetze ist nicht dasselbe wie eine persönliche Meinung. Es ist auch nicht nötig, transfeindliche Argumente dauernd zu wiederholen, mit transfeindlichen Menschen zu sprechen und ihnen überall Platz zu geben, um dann gnädigerweise trans Menschen die Möglichkeit zur Selbstverteidigung zu überlassen.

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