Wie äussert sich Rassismus innerhalb der Schweizer LGBTI*-Community? Wir haben nachgefragt. 

Die USA sind endlich aufgewacht. Der gewaltsame Tod von George Floyd durch Polizeibrutalität erschütterte die ganze Welt. Seine letzten Worte, «I can’t breath», wurden zum Symbol der globalen «Black Lives Matter»-Bewegung. George Floyd ist kein Einzelfall: Breonna Tayler, Tony McDade, Eric Garner, Tamir Rice und so viele weitere People of Color (PoC) kamen durch Polizeigewalt in den USA ums Leben.

In der Schweiz ist das Problem der Diskriminierung nicht so extrem wie in den USA, trotzdem kommt es auch hier vor, etwa in Form von «racial profiling». Die Demonstrationen in den USA schwappten auf die ganze Welt über, auch in Schweizer Städten wurde demonstriert. In Genf, Basel, Zürich und Lausanne gingen zehntausende Personen auf die Strasse, um Rassismus zu bekämpfen. Dabei wurden Schilder wie «You’ve fucked with the last generation» oder «Switzerland is not innocent» hochgehalten.

 

Schwarze trans Frauen an vorderster Front

Aus der «Black Lives Matter»-Bewegung ist die «Black Trans Lives Matter»-Bewegung entstanden. Ren Mars aus England half, die Proteste in London zu organisieren. Gegenüber BBC sagte Ren: «Wir sind der festen Überzeugung, dass solange schwarze trans Menschen nicht überall eine Rolle spielen, auch schwarze Leben als Ganzes nirgendwo wirklich eine Rolle spielen. Wir sind es leid, um Erlaubnis zu bitten, gesehen und gehört zu werden und so zu leben, wie wir sind.»

Schon bei den Stonewall-Aufständen im Juni 1969 haben PoC wie Marsha P. Johnson und Sylvia Rivera, beide non-binäre trans Frauen, sowie Storm DeLarverie, eine schwarze Butch Lesbe, eine massgebliche Rolle gespielt. Die sechs Tage dauernde, gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Polizei und queeren Menschen gilt heute als Beginn der modernen LGBTI*-Bewegung und wird jährlich mit der Pride gefeiert. Trotz der Bedeutsamkeit von PoC für die LGBTI*-Bewegung wurden schwarze, asiatische und lateinamerikanische Queers sowie Dragqueens von der LGBTI*-Community lange diskriminiert – beispielsweise wurde ihnen der Zutritt zu queeren Bars verweigert. Auch heute noch gibt es Diskriminierung innerhalb der Community.

 

Grindr als Diskriminierungs-Plattform

Das «FS Magazin» hat 850 schwule PoC in Grossbritannien über ihre Erfahrungen innerhalb der LGBTI*-Community befragt – die Mehrheit der Befragten hat bereits Rassismus erfahren: 80% der Schwarzen, 79% der Asiaten, fast alle Araber. Der Artikel greift insbesondere den Rassismus auf Datingplattformen auf und die Stereotypisierung sowie Objektifizierung.

 

Wir haben queere PoC in der Schweiz gebeten, uns über ihre Erfahrungen mit Rassismus innerhalb der LGBTI*-Community zu berichten. Insbesondere Schwule ohne Schweizer Pass haben sich gemeldet. Auffällig viele Vorfälle ereigneten sich auf Datingplattformen, obwohl beispielsweise in den Community-Guidelines von Grindr festgehalten wird: «Sie können sich frei zu ihren Vorlieben äussern, aber wir sind eher daran interessiert, was Sie mögen, und nicht an den Dingen, die Sie ablehnen.» Kurz nach George Floyds Tod entfernte Grindr den kontroversen Ethnien-Filter, der bereits lange kritisiert wurde. Wir haben bei Grindr nach einem Statement gefragt, bisher allerdings keine Antwort erhalten.

 

«Für einen Schwarzen bist du schon ziemlich heiss»

Jazzmin Dian Moore lebt seit über 15 Jahren in der Schweiz, kommt aus Deutschland und den USA, identifiziert sich als non-binär und arbeitet als Dragqueen. Jazz hat – innerhalb und ausserhalb der LGBTI*-Community – Rassismus erfahren, empfindet den Rassismus in der Community allerdings als pointierter. Auf diversen Dating-Plattformen lese man oft «No Blacks, No Asians, No Femmes» (keine Schwarzen, keine Asiaten, keine Effeminierten). «Ich verstehe es sehr gut, wenn jemand eine sexuelle Präferenz hat, aber eine Person kategorisch auszuschliessen, ist Rassismus. Ich hätte mir da gewünscht, dass die Formulierung anders ist.» Diese Art von Diskriminierung ist vorbelastet, da in den 60er- bis 80er-Jahren oft «No Blacks, No Asians, No Femmes»-Schilder vor Bars für weisse homosexuelle Menschen in den USA hingen.

Jazzmin Dian Moore identifiziert sich als non-binär und arbeitet als Dragqueen.

Ebenfalls auf einer Datingapp fragte jemand nach einem Rollenspiel, bei dem jemand ein weisser Master sein wollte und in dem Jazz ein Plantagen-Sklave sein sollte, was Jazz aufgrund der historischen Hintergründe als äusserst unangebracht und verstörend empfand. Eine andere Person, mit der Jazz zum zweiten Mal Kontakt auf einer Datingplattform hatte, reagierte auf die Frage, ob sie sich an Jazz erinnere, mit «Ihr seht doch alle gleich aus.»

Auch im Nachtleben wurde Jazz schon oft mit Rassismus konfrontiert; Jazz wurde auch schon mit den Worten «Für einen Schwarzen bist du schon ziemlich heiss.» angeflirtet. An einem anderen Abend wollte Jazz jemanden mit nach Hause nehmen, da sagte die Person im Taxi: «Ich kann es kaum erwarten, deinen riesengrossen dicken schwarzen Schwanz im Mund zu haben.» Dies empfand Jazz nicht nur als sehr rassistisch, sondern auch als abartig und abstossend. Jazz fühlte sich als Objekt, das lediglich einer Fantasie dieser Person entspricht. In beiden Fällen distanzierte Jazz sich sofort. Bei den meisten Vorfällen wurde Jazz von Freunden unterstützt, nur wenige verhielten sich ruhig, da sie Angst hatten oder perplex waren.

 

Körperliche Gewalt hat Jazz innerhalb der LGBTI*-Community glücklicherweise noch nie erfahren. «Ich habe ein sehr selbstsicheres Auftreten und kann durch Worte sehr gut überzeugen, wenn es drauf ankommt. Gleichzeitig kann man dem aber auch immer aus dem Weg gehen.» Ausserhalb der Community wurde Jazz als Jugendlicher geschubst, bespuckt, gemobbt und als Mohrenkopf beschimpft «weil ich schwarz bin».

Wir fragten, was Jazz sich von der Community in der Zukunft erhofft: «Mein Wunsch ist, dass wir uns alle gegenseitig mehr zuhören, denn Rassismus beginnt nicht nur zwischen Schwarz und Weiss. Nur wenn wir uns zuhören, können wir voneinander lernen.» Sonst stelle sich die Frage, wehalb es überhaupt Prides gebe. «Ich bin schwarz, ich bin non-binär, ich arbeite als Dragqueen und ich liebe meine Diversität – und für all diese Dinge wurde ich schon angefeindet oder intolerant behandelt. Bei den Prides geht es doch nicht nur darum, unsere Kraft nach aussen zu zeigen, sondern auch um den Zusammenhalt innerhalb der Community. Und da muss noch viel passieren bezüglich Toleranz, Diversität und Gleichheit.»

«Weil ich ein Jugo bin»

Es haben sich auch noch einige andere geäussert. Amina etwa war in einer Beziehung mit einer Frau, die beiden waren schon über ein Jahr zusammen. «Da sagte die Schwester meiner Ex-Freundin eines Tages, dass sie den Pin-Code der Kreditkarte nicht vor mir sagen möchte, weil ich ein ‘Jugo’ sei und diese dafür bekannt seien zu stehlen», erzählt sie. Dass man den Kreditkarten-Pin niemand anderem sagt, ist selbstverständlich, das Argument allerdings völlig daneben. Aminas Ex-Freundin zischte ihre Schwester zwar an, verteidigte Amina allerdings nicht wirklich.

 

«Keine exotischen Stereotypen»

Eine schwarze queere Frau, die anonym bleiben möchte, erzählte von einer traumatisierenden Erfahrung. Die Gewalt startete verbal und endete mit körperlicher Gewalt. «Ein Freund von mir geriet in einen physischen Kampf mit meiner damaligen Partnerin, weil er mich davor schützen wollte, von ihr verprügelt zu werden.» Den Vorfall hat sie nie gemeldet, weil sie sich schämte und dachte, sie sei schuld an den Schlägen. Diese hatten zudem weitere Folgen: «Danach suchte ich absichtlich BDSM-Beziehungen mit gefährlichen Körperspielen. Irgendwann landete ich im Krankenhaus und musste feststellen, dass ich eine Therapie brauche.» Sie wünscht sich von der Community, dass schwarze Mitglieder den Mut haben, sich gegenseitig über das Stigma zu informieren, das in der schwarzen Gemeinschaft gegenüber LGBTI* besteht.«Es soll ein sicherer Raum geschaffen werden, wo wir von den weissen Mitgliedern der Community akzeptiert und nicht nur wegen eines exotischen Stereotyps gesucht werden.»

 

Wo kriege ich Hilfe?

Die Zahl der Anlaufstellen für PoC-Mitglieder der Community, die Rassismus erfahren haben, ist überschaubar. Hier einige Seiten, an die man sich auch anonym wenden kann: humanrights.ch, lgbt-helpline.ch, network-racism.ch, opferhilfe-schweiz.ch. Ebenfalls kann eine Email an blmswitzerland@gmail.com gesendet werden. In einem Instagram-Post schreibt die Bewegung, dass sie Rechtsanwälte zur Beratung vermitteln kann.

 

(lk, cm)