Schule und Bildung sind ein wesentlicher Teil von Kindheit und Jugend. Sie prägen unsere Werte und Ansichten und sollen uns auf das spätere Leben vorbereiten. Immer mehr wird nun gefordert, dass auch LGBTI*-Themen einen Platz in der Schule bekommen. Wir haben Lehr- und Fachpersonen gefragt, wie sie die Lage in der Schweiz beurteilen.
Alle Interviewten waren sich einig: Akzeptanz, Toleranz und Gleichberechtigung sind zentrale Aspekte, die von der Schule gefördert werden sollten. Und zwar durch erhöhte Sichtbarkeit, durch Vorbilder und durch Auseinandersetzungen mit dem Thema. LGBTI*-Themen werden in der Gesellschaft zudem immer relevanter, wie es Franziska Zeller sagte, Dozentin für Fachdidaktik Englisch an der Universität Zürich und Englischlehrerin an der Kantonsschule Hohe Promenade: «Wenn ich sehe, wie offen meine Schüler über diese Themen reden, wie viele entweder schon ihr Coming-out hatten oder sonst mit einer Selbstverständlichkeit darüber sprechen, zeigt mir das: Dieses Thema ist ein Thema.»
Die Fragen sollte also nicht sein, ob sondern wie häufig und auf welche Art diese Themen in die Bildung eingebracht werden.
Momentan sieht es in der Schweiz sehr unterschiedlich aus. In der Volksschule gibt es jetzt den Lehrplan 21, der einige Vorgaben bezüglich LGBTI* macht. Das scheint auf den ersten Blick sehr fortschrittlich, doch der sexualkundliche Unterricht, in dem diese Themen eingebettet sind, erhält nur wenige Stunden. Ausserdem gibt es erhebliche Unterschiede bei der Implementierung des Lehrplans je nach Region, Schule oder Lehrperson.
«Ich würde mir viel mehr Zeit wünschen für den sexualkundlichen Unterricht», sagt Sozialwissenschaftlerin Irene Müller, Dozentin an der Hochschule Luzern (HSLU) für soziale Arbeit und an der Pädagogischen Hochschule. «Nicht zuletzt, weil das ein wichtiger Teil für die Lebensphase ist, in der die Jugendlichen gerade stecken. 12 Stunden pro Jahr für dieses Thema ist sehr wenig, umso mehr als nicht mal die ganzen 12 Stunden dafür zur Verfügung stehen. Es bräuchte ganz klar mehr Zeit, um der Wichtigkeit und der Relevanz gerecht zu werden.»
Auf höheren Bildungsstufen sind Schulen und Lehrpersonen meist sehr frei. Das kann etwas Positives sein, denn es schränkt die Behandlung von LGBTI*-Themen nicht ein. Aber es kommt dann sehr auf die Schule und die Lehrpersonen an, ob die Schüler_innen mit diesen Themen überhaupt in Kontakt kommen.
Die Frage der Methode
Intensiv diskutiert wird auch die Art und Weise, wie man LGBTI*-Themen am besten angeht. Sollen sie durch Lehrpersonen oder besser durch externe Fachpersonen vermittelt werden? Und in welchen Gruppen? Ein Ansatz ist die Öffnung des Unterrichts im engeren Sinne auf fächerübergreifende Projekte.
Schulprojekte wie ABQ oder GLL, bei denen LGBTI*-Menschen Schulen besuchen, seien ein guter Weg, die Themen zu den Schüler_innen zu bringen, finden die Befragten. Externe Personen stünden in einem anderen Bezug zu den Schüler_innen und können diese Themen dadurch manchmal besser behandeln, vor allem wenn es Fachleute seien. Doch auch hier gilt: Nicht alle Kinder und Jugendlichen haben Zugang zu solchen Projekten. Deswegen ist eine gewisse Thematisierung im «normalen» Unterricht nichtsdestotrotz wichtig.
Auch ausserhalb der Schule sind diese Themen wichtig, um Akzeptanz zu fördern. Was im Unterricht an Toleranz und Gleichberechtigung zur Sprache kommt, muss im Alltag gelebt werden, um etwas zu bewirken. Dies kann ganz verschieden aussehen, beispielsweise durch Sensibilisierung im Sprachgebrauch, Tage der Aufmerksamkeit oder Schulsozialarbeit. Im Grunde genommen gehe es darum, ein positives Schulklima zu schaffen, in dem sich alle willkommen fühlen und sich niemand vor Diskriminierung fürchten muss, sagt Konrad Zollinger, Rektor und Geschichtslehrer an der Kantonsschule Hohen Promenade in Zürich: «Wir leben in einer Gesellschaft mit vielen unterschiedlichen Haltungen, Lebensformen und Denkweisen. Entscheidend ist, dass wir gemeinsam Wege finden, einander mit Respekt zu begegnen.»
Zukunftsausblicke
Immerhin: Alle sind zuversichtlich, dass LGBTI*-Themen zukünftig mehr Raum in der Schule bekommen. Denn sie widerspiegelten den Wandel der Gesellschaft, und deren zunehmende Diversität werde sich auch im Unterricht zeigen. Doch sie sehen auch Herausforderungen, etwa bei den Unterschieden zwischen einzelnen Regionen und Schulen, bei der Sprachsensibilisierung, bei Möglichkeiten für Lehrpersonen, sich outen zu können und bei der vermehrten Aufnahme von LGBTI*-Themen in der Lehrerausbildung. Gerade auch die Unterstützung von trans Personen sollte noch gestärkt werden. Trotzdem sehen sie die Schule auf einem guten Weg.
Die Frage ist letztlich immer, wie die Schule mit Änderungen in der Gesellschaft umgehen soll. Neutral zuschauen oder den sozialen Wandel aktiv begleiten und fördern?
«Wir versuchen, mehr Akzeptanz und Toleranz für andere zu schaffen», sagt Mirco Droz, Präsident des Schulprojekts ABQ. «Nur weil jemand nicht der Mehrheit entspricht, muss man diese Person nicht diskriminieren.» Eine weitere gute Aussicht: Fortschritte in einem Bereich können in andere übergreifen. «Ich sehe in unserer Arbeit mehr als nur das Behandeln der Geschlechteridentitäten und sexuellen Orientierung, denn Akzeptanz und Toleranz gegenüber anderen ziehen keine Grenzen, sondern heben diese auf und führen zu gegenseitigem Verständnis.»
Hintergrund: Die Schulprojekte ABQ und GLL
Das ABQ Schulprojekt (Verbindung von ABC und queer) führt seit 20 Jahren vor allem in den Kantonen Bern, Jura und Fribourg jährlich ca. 40 Schulbesuche durch. Die Kinder und Jugendlichen lernen verschiedene Identitäten kennen und hören persönliche Erfahrungen von queeren Personen. Ziel ist es, Verständnis, Akzeptanz und Gleichberechtigung zu fördern. Genauso alt ist GLL (Gleichgeschlechtliche Liebe leben) von Pink Cross, LOS und fels, wo Klassen in der gesamten Deutschschweiz zu dritt besucht werden. Dabei sind jeweils eine Lesbe, ein Schwuler und ein Elternteil eines gleichgeschlechtlich liebenden Kindes; Ziel ist es, direkte Begegnungen zu ermöglichen, Fakten zu vermitteln und Verständnis zu fördern.
Weitere Infos: abq.ch, gll.ch