2020 hatten wir Fachpersonen befragt, die für die verstärkte Aufnahme von LGBTI*-Themen in den Lehrplan plädierten. Doch was sagen eigentlich queere Schüler_innen dazu? Was erleben sie im Unterricht?

Die sieben befragten Gymi-Schüler_innen haben in ihrer Schulzeit sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht: Manchmal kamen LGBTI*-Themen im Unterricht lediglich in einem Nebensatz vor, manchmal wurden sie gleich in mehreren Fächern behandelt. Teilweise jedoch habe dabei in den Klassen eine unangenehme Atmosphäre geherrscht – wohl auch durch die Absonderung der LGBTI*-Themen in ein eigenes Kapitel. «Aber es wird wirklich nur erwähnt, wenn es unbedingt notwendig ist. Ich glaube, es ist sehr unangenehm für die Schule, darüber zu sprechen», meint Petri (17). «Es wird in der Klasse dann auch oft gekichert, insbesondere in den jüngeren Jahrgängen.» Alle Befragten wünschten sich, dass solche Themen öfter aufgenommen und als normaler Bestandteil des Schulunterrichts angesehen werden.

«Es wird wirklich nur erwähnt, wenn es unbedingt notwendig ist. Ich glaube, es ist sehr unangenehm für die Schule, darüber zu sprechen.» (Petri)

«Die Bildung plädiert ja so für Bildung. Bei diesem Thema schafft sie bis jetzt aber eigentlich nur Ignoranz.» (Michelle)

Normalisierung und Identitätsfindung

 Den grössten Nutzen der Einbindung queerer Themen im Unterricht sehen sie in der Normalisierung von LGBTI*-Identitäten. Dadurch werde die Existenz dieser Menschen anerkannt und das Verständnis für ihre Situation gefördert. Für viele in diesem Alter ist die Schule ein wesentlicher Teil der Meinungsbildung – und oft haben sie nur dort Gelegenheit, mit diesen Themen in Kontakt zu kommen und sich davon ein Bild zu machen. «Die Bildung plädiert ja so für Bildung», sagt Michelle (18). «Bei diesem Thema schafft sie bis jetzt aber eigentlich nur Ignoranz. Und auch wenn man sich jetzt gar nicht damit identifiziert, ist es doch wichtig, gegenüber einem relativ grossen Teil der Gesellschaft nicht ignorant zu sein.»

Viele realisierten lange nicht, dass es eine Möglichkeit sein könnte, selbst zur LGBTI*-Community zu gehören. Die meisten hatten dann das Glück, zufälligerweise auf andere queere Menschen oder Informationen im Internet zu stossen. Es hätte ihnen für die eigene Selbstfindung sehr geholfen – gerade in jüngeren Jahren –, schon in der Schule etwas über diese Themen und Begriffe zu erfahren. Sie betonten zudem, dass das gesamte Spektrum an queeren Identitäten vorkommen sollte. «Als ich jünger war, dachte ich, es gäbe wie nur die Optionen heterosexuell und homosexuell», erzählt Davina (17), die selber bi ist: «Und weil ich nicht wusste, in welche Kategorie ich falle, habe ich mich extrem schwergetan, als ich das erste Mal merkte, dass ich mich in ein Mädchen verliebt habe.»

Auch deswegen, finden die Befragten, sollten LGBTI*-Themen immer wieder in den Unterricht einfliessen und nicht als etwas «Exotisches» angeschaut werden. Umso mehr als ja immer ein Teil der Schülerschaft zur Community gehöre – da sei es doch fundamental, dass diese Themen ihren nötigen Platz im Unterricht finden.

«Als ich jünger war, dachte ich, es gebe nur die Optionen heterosexuell und homosexuell.» (Davina)

«Das, was du über deine Identität herausgefunden hast, darfst du jetzt einfach mal ignorieren und musst dich trotzdem dem fügen, was heteronormativ ist.» (Helene)

Offenheit der Schulen

 Die Schüler_innen beschreiben die momentane Atmosphäre in der Schule zwar nicht als feindlich, aber auch nicht als besonders einladend. Zwar akzeptierten Schülerschaft und Lehrpersonen bis auf wenige Ausnahmen queere Identitäten, doch mangele es an offiziellen Zeichen der Akzeptanz. Das könne es für Menschen der Community schwierig machen, so richtig offen zu sein, findet Helene (18): «Es heisst nicht unbedingt, dass du nicht willkommen bist. Aber das, was du über deine Identität herausgefunden hast, darfst du jetzt einfach mal ignorieren und musst dich trotzdem dem fügen, was heteronormativ ist.»

Dabei sollte das Ziel doch Inklusion sein. Dafür sei aber eine erhöhte Sichtbarkeit der LGBTI*-Community notwendig, etwa durch Poster, Pride-Symbole oder mehr Menschen, die ihre Identität offen leben. Vermisst werden auch Orte des Austauschs, an denen alle willkommen sind und mehr über queere Themen lernen und diskutieren können. Auch dies würde weiter zur Normalisierung und Akzeptanz beitragen und jenen Schüler_innen einen Zufluchtsort bieten, die sich in ihrer Identität noch unsicher sind. «Das ist etwas, das ich früher sehr gern gehabt hätte», sagt Viviane (17). «Denn du wirst automatisch dorthin driften, ob du es schon weisst oder nicht, seien wir mal ehrlich, so läuft das einfach.»

«Ein Zufluchtsort – das ist etwas, das ich früher sehr gern gehabt hätte.» (Viviane)

«Ich wünsche mir, dass sich keine Person mehr fragen muss: Bin ich da willkommen? Dass sich niemand fragen muss: Ist meine Identität da erwünscht? Ich denke, darum geht es.» (Lara)

Bewegung Richtung Zukunft

Normalisierung und Inklusion brauche ein Zusammenwirken aller Beteiligten in der Schule, finden die Befragten. So könnte sie als Institution eine Basis der Akzeptanz bilden und durch LGBTI*-Themen im Lehrplan garantieren, dass es nicht willkürlich ist, ob Schüler_innen etwas über diese Themen erfahren. Zudem seien Lehrer_innen in gewissem Sinne Vertrauenspersonen für Schüler_innen, dies ermögliche ihnen, einen offenen und akzeptierenden Raum für LGBTI*-Themen im Unterricht, aber auch im ganzen Schulklima zu schaffen.

Sie sollten allerdings auch sicherstellen, dass sich Schüler_innen nicht gegen ihren Willen outen müssen, wenn LGBTI*-Themen im Unterricht angesprochen werden. Auch wenn die Schüler_innen selbst diese Prozesse persönlicher und zugänglicher machen könnten, da sie ihre Anliegen am besten kennen und das Streben nach Akzeptanz so auf einer persönlichen Ebene geschehe. Durch eine solche Zusammenarbeit könnte nicht nur eine Änderung in der Schule, sondern auch ein gesellschaftliches Umdenken erreicht werden, glauben die Befragten. Gleichzeitig werde durch die Verankerung dieser Themen im Unterricht gewährleistet, dass diese Bewegung nicht schon nach kurzer Zeit auseinanderfällt, da sie so nicht an einzelne Lehrer_innen oder Schüler_innen gekoppelt ist.

Die meisten befragten Schüler_innen waren insgesamt optimistisch. Ihre Wünsche für die Zukunft unterscheiden sich zwar, doch vor allem hoffen sie, dass künftige Generationen mehr Akzeptanz erleben und alle Schüler_innen Zugang zu richtigen und relevanten Informationen haben. Und auch, dass irgendwann mal eine Pride-Flagge in den Gängen hängt. Lara (18) fasst es so zusammen: «Ich wünsche mir, dass sich keine Person mehr fragen muss: Bin ich da willkommen? Dass sich niemand fragen muss: Ist meine Identität da erwünscht? Ich denke das ist es. Dass jeder sich in dieser Schulumgebung wohl fühlen kann, während er oder sie oder they sich selber sind.»