DIE SCHWEIZ HAT WOHL NOCH NIE SO VIELE PRIDES UND QUEERE DEMONSTRATIONEN ERLEBT WIE DIESEN SOMMER. AKTIVIST_INNEN VON QUEERAMNESTY WAREN AN DEN GROSSEN UMZÜGEN IN ZÜRICH, BASEL UND GENF DABEI.

ZÜRICH: UMSTRITTENE POLIZEIEINSÄTZE

Unter dem Motto «Strong in Diversity» feierte die Zürich Pride Mitte Juni nicht nur 50 Jahre Stonewall, sondern auch ihr eigenes 25-jähriges Bestehen. Die Stadt machte mit und gewährte dem Festival eine Ausnahmebewilligung, sodass es zentral am Seebecken stattfinden konnte. Ausserdem wurde die Umgebung geschmückt wie nie zuvor: Auf einen Vorstoss der SP-Gemeinderät_innen Simone Brander und Alan David Sangines hin waren regenbogenfarbene Zebrastreifen, trans Flaggen auf Strassenschildern und die «Gaybrücke» zu bestaunen. Die Organisator_innen versuchten, ihrem Motto nachzukommen und die vielen trans Aktivist_innen von Stonewall zu ehren, indem sie TGNS (Transgender Network Switzerland) den Demonstrationsumzug anführen liessen. Zudem versuchten sie sich in der Bereitstellung von All-Gender-Toiletten, wobei die diesbezügliche Kommunikation, die fehlende entsprechende Kennzeichnung sowie die Schulung der Mitarbeitenden vor Ort deutlich zu wünschen übrigliess. Auch sonst riss die seit Jahren an die Zürich Pride herangetragene Kritik nicht ab – im Gegenteil: das Motto scheint die Erwartungen in die Höhe getrieben zu haben.

Nachdem in den letzten Jahren kritische Stimmen den Umzug zumindest noch kurze Zeit stören konnten und beispielsweise mit Sitzblockaden vor den Trucks der Grossbanken gegen deren Pinkwashing und die Vereinnahmung der politischen Demonstration durch kommerzielle Interessen demonstrierten (bevor sie dann verhaftet wurden), belegte die Polizei dieses Jahr Aktivist_innen mit einem Rayonverbot. Das heisst, sie wurden weggewiesen und konnten somit ihr Recht auf Versammlungsfreiheit nicht ausüben. Anderen wurde von der Polizei das Flyerverteilen verboten und damit ihre Meinungsäusserungsfreiheit beschnitten. Gleichzeitig gaben sich Polizei und Armee queer-freundlich und deren LGBT- respektive cis-schwule Gruppen marschierten am Umzug mit. Kritische Aktivist_innen wandten dagegen ein, dass sich die Stonewall-Aufstände in New York Ende Juni 1969 gegen Polizeigewalt richteten und stehen der Teilnahme von Polizei und Armee an Prides daher ablehnend gegenüber.

BASEL: GELEBTE ERINNERUNG

Was bei der Zürich Pride jeweils besonders kritisiert wird – die Zurückhaltung beim politischen Kampf, die Angepasstheit und die Kommerzialisierung – haben die Organisator_innen der Demonstration in Basel Ende Juni besser machen wollen. In seiner Rede vor dem Marsch knüpfte Flo Vock an eben diese Kritik an, plädierte jedoch dafür, Mitarbeitende von Unternehmen nicht zu verurteilen, wenn sie an der Pride für ihren Arbeitgeber mitlaufen. Denn für sie sei es wichtig, dass ihr Arbeitsplatz ein sicherer Ort ist. Das solle uns jedoch nicht daran hindern, jene Unternehmen zu kritisieren, die sich an der Pride mit einem Regenbogen schmücken, aber gleichzeitig unsere Freund_innen mies bezahlen, Steuern hinterziehen, die Umwelt zerstören und die Länder des globalen Südens ausbeuten. Die queere Community sei eine widersprüchliche Gemeinschaft, die sich aber nicht auseinanderdividieren lassen dürfe, sondern wissen soll, dass sie nur gemeinsam stark ist. Das brauche Toleranz, die Bereitschaft, einander zu verzeihen und Solidarität – untereinander, aber eben auch gruppenübergreifend.

Die Verknüpfung der verschiedensten Kämpfe gegen Ungerechtigkeitsverhältnisse und Unterdrückung war denn auch deutlich spür- und sichtbar: Am Marsch waren neben queeren viele antikapitalistische, antinationalistische und antirassistische Parolen zu hören. Die Verbindung der Kämpfe von verschiedenen unterdrückten Gruppen, auch als Intersektionalität bezeichnet, war bereits ein Merkmal der Stonewall-Aufstände vor 50 Jahren – und möglicherweise ein Faktor, der sie so bedeutsam gemacht hat. Die ausdrückliche Anlehnung des Basler Marschs an diese Aufstände hat diesen Anspruch also durchaus erfüllt. Die Erinnerung an die Aktivist_innen von Stonewall war denn auch nicht nur der Claim einer Pride, sondern wurde in den Reden, auf vielen Transparenten und mit einer Gedenkminute auf der Mittleren Brücke tatsächlich gelebt. Abgesehen von rund einem Dutzend Polizist_innen am Startplatz kam der Basler Stonewall-Marsch sogar ohne Polizei aus – selbst an der inoffiziellen Nachdemonstration, an der sich rund ein Viertel der Teilnehmenden beteiligte. Sie führte zum Dreirosenpark, um den Aktivist_innen, die dort für eine menschlichere Migrations- und Asylpolitik kämpften, eine Solidaritätsbekundung zu überbringen. Denn viele queere Menschen, die in der Schweiz um Asyl ersuchen, leben unter besonders prekären Bedingungen, und ihr Asylgesuch wird oftmals abgelehnt.

Basel zeigte: In Allianzen mit anderen Gruppen und Kämpfen, wie jene gegen Rassismus, Armut, Behindertenfeindlichkeit, Patriarchat oder Umweltzerstörung, läge ein grosses Potenzial – «gemeinsam sind wir stark» könnte mehr sein als ein Motto. Doch das eckt auch an. In Basel war im Übrigen kein einziges Unternehmen präsent, auch keine Gruppe, die Unterdrückung symbolisiert. Dafür konnten sich viele ansonsten unsichtbare queere Menschen wohlfühlen: der armutsbetroffene trans Mann, der nonbinäre junge Mensch, der in der Klimabewegung aktiv ist, die Lesbe mit einer Beeinträchtigung, der bisexuelle Sans-Papier.

GENF: BALANCEAKT GUT GEMEISTERT

Auch am letzten Pride-Event dieser Saison Anfang Juli in Genf wurde an die Stonewall-Aufstände vor 50 Jahren erinnert und daran, dass die Geschichte des Kampfs für gleiche Rechte noch immer weitergeschrieben werden muss. #makehistory, also «Geschichte schreiben», war das Motto der diesjährigen Romandie Pride, die zum ersten Mal seit 2011 wieder in Genf stattfand. Die Rhonestadt hat die Gelegenheit genutzt, sich als queer-freundliche Metropole zu präsentieren: Die Stadt war in Regenbogenfarben dekoriert, und der prachtvolle Quai du Mont-Blanc am Seeufer wurde für den Pride-Umzug freigegeben. Die Genfer Bürgermeisterin Sandrine Salerno würdigte jene Menschen, die seit 50 Jahren mutig für Gleichberechtigung kämpfen: «Es wird weitere Kämpfe geben, aber wir werden uns darauf einlassen – mit der Gewissheit, zu siegen.»

Ungefähr 35’000 Menschen feierten in einem fröhlichen und bunten Marsch die Vielfalt des Lebens und des Liebens und bereiteten damit auch den politischen Forderungen nach gleichen Rechten eine prominente Bühne. Organisationen und politische Gruppen der queeren Community hatten ihren Raum, ohne von kommerziellen Trucks grosser Unternehmen erdrückt zu werden. Auch die gelben T-Shirts und Banner von Queeramnesty haben viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Wir waren zusammen mit der Amnesty-Lokalgruppe Genf und der «Groupe LGBT», welche auch den Infostand von Amnesty International betreuten, mit rund 20 Aktivist_innen und geflüchteten queeren Menschen dabei. Bei der abschliessenden Party im schönen Parc des Bastions fristeten die Infostände ebenfalls kein Schattendasein, sondern waren direkt um die Bühne herum angeordnet, sodass sie regen Zulauf hatten. Die Organisator_innen der Genfer Pride haben den Balanceakt zwischen politischer Demonstration und fröhlicher Party gut gemeistert.

(tk, jp)