Focus Refugees hat seit kurzem ein neues Leitungsteam. Wir haben mit Ambra, Susanne und Elisha über ihre Aufgaben, Herausforderungen und Hoffnungen gesprochen.

 

Seit wann und weshalb engagiert ihr euch bei Queeramnesty?

Elisha: Ich bin seit eineinhalb Jahren dabei. Mir war die Gruppe an einer früheren Pride aufgefallen, die gelben Ballons, die Musik, die fröhlichen, tanzenden Leute aus vielen Kulturen. Das hat mich animiert, mich für sie einzusetzen. Zudem habe ich schon zuvor in einem Asylheim ehrenamtlich Deutsch unterrichtet. Dieses Engagement wollte ich ausbauen.

Susanne: Ich bin kurz vor Elisha eingestiegen. Mich hat der Queeramnesty-Jubiläumsanlass im Zürcher Provi-Treff beeindruckt; er war so lebendig und divers, das hat mir gefallen. Und ich wollte neben meiner Arbeit noch eine weitere Herausforderung. Ich lebe in einer privilegierten Situation und möchte ein wenig davon zurückgeben. Es ist zudem eine sehr dankbare Arbeit, weil sie so geschätzt wird.

Ambra: Ich habe selbst einen Migrationshintergrund, diese Themen haben mich deshalb mein ganzes Leben beschäftigt. Schon früher habe ich Flüchtlinge begleitet, habe einige Zeit in Kairo gelebt und kam 2016 in Athen mit einer Organisation in Kontakt, die LGBTI*-Geflüchtete betreute. Sie haben es noch schwieriger und sind noch verletzlicher als viele andere Menschen auf der Flucht. So bin ich vor einem knappen Jahr bei Queeramnesty eingestiegen. Ich möchte den Asylsuchenden das Gefühl geben, dass sie willkommen sind.

 

Weshalb seid ihr gerade bei Focus Refugees (FR) im Einsatz?

Susanne: Mir ist die Begegnung mit den Menschen wichtig, und hier kann ich am Unmittelbarsten unterstützen. Für die Geflüchteten ist es wichtig, jemanden zu haben, der ihnen zuhört.

Elisha: Mir geht es ähnlich. Aber was wir tun, hilft nicht nur ihnen – ich bekomme dabei auch wahnsinnig viel zurück. Ich versuche immer, nicht «nur» Mentor zu sein. Mir tut es gut, den Menschen auch ausserhalb des Mentorats beizustehen und ihnen freundschaftlich zu begegnen.

Ambra: Mich interessieren die Einzelschicksale, und ich möchte ihnen vermitteln: Ich bin da. Wenn etwas ist, versuche ich zu helfen und Schutz zu bieten.

 

Was hat euch motiviert, die Leitung des Teams zu übernehmen?

Ambra: Mir ist die Arbeit als Mentorin wichtig, aber ich möchte auch wissen, was sonst alles noch läuft in der Gruppe, was wir als Queeramnesty für Einflussmöglichkeiten haben.

Susanne: Ich möchte mich auf einer anderen Ebene engagieren, mehr Verantwortung übernehmen. Und ich denke, dass ich dabei noch viel werde lernen können. Unsere Vorgänger_innen waren hier jahrelang sehr engagiert und verfügen über enormes Wissen, das ich anzapfen möchte.

Elisha: Mich interessiert der politische Teil sehr, das ganze System, der Asylprozess – ich will mehr darüber wissen und konkrete Erfahrungen sammeln. Mit dem Ziel, dass Queeramnesty als Organisation darin auch wirklich etwas bewirken kann.

 

Susanne Inderbitzin aus Zürich, Sozialarbeiterin Arbeitsintegration; Elisha Jay Fringer aus Zürich, Sekundarlehrer und Leiter einer Nachhilfeschule; Ambra Barboni aus Bern, engagiert sich neben Queeramnesty auch bei der Schreibstube Bern und gibt Deutschunterricht (von links nach rechts)

 

Was läuft gut bei FR, was wollt ihr künftig anders machen?

Ambra: Vieles läuft gut. Wir werden uns um einen engeren Kontakt zu den Rechtsberater_innen bemühen, weil sie durch das neue Asylverfahren, das seit 1. März gilt, zentraler geworden sind. Ausserdem bekommen wir immer wieder Mailanfragen von LGBTI* aus Ländern wie dem Iran oder Somalia, die uns ihre Not schildern und sich Hilfe erhoffen. Wir können aber erst helfen, wenn sie in der Schweiz sind, und das ist unbefriedigend. Wir wollen versuchen, uns mit anderen vertrauenswürdigen Organisationen oder Personen in den Herkunfts- oder deren Nachbarländern zu vernetzen, auf die wir bei solchen Anfragen verweisen können. Auch solche, an die sie sich auf ihrem Fluchtweg in die Schweiz wenden könnten. Dafür möchten wir auch das Netzwerk von Amnesty International nutzen.

Susanne: Versuchen wollen wir auch, unser Netzwerk zu LGBTI*-Geflüchteten in der Schweiz auszubauen – auch zu solchen, die inzwischen Asyl bekommen haben. Sie könnten jenen, die noch nicht so weit sind, wertvolle Tipps und Unterstützung bieten.

Ambra: Und wir überlegen uns, ob wir eine Art Einführungskurs für Mentor_innen durchführen wollen, damit alle von Anfang an auf dem gleichen Informationsstand sind.

 

Welches sind die grössten Herausforderungen für FR?

Ambra: Wir wissen noch nicht genau, wie sich das neue Asylverfahren auswirkt. Aber es gibt Hinweise, dass es sich für einige Geflüchtete derart beschleunigen wird, dass es für unser Mentoring kaum noch Spielraum gibt. Ausser sie kommen ins erweiterte Verfahren, in dem mehr Zeit zur Verfügung steht.

Susanne: Unsere Arbeit wird sich dadurch auf jeden Fall verändern, wir wissen nur noch nicht wie genau.

Ambra: Wir müssen auch immer aufpassen, dass wir von Anfragen und Geflüchteten nicht überrollt werden. Als Freiwilligenorganisation sind unsere Kapazitäten nun mal begrenzt.

Elisha: Wobei wir im Moment mehr Mentor_innen haben als wir für die Betreuung brauchen. Aber das kann sich natürlich ändern, wenn sich unsere Bekanntheit etwa durch die neue Fluchtbroschüre weiter verbreitet. Falls es soweit käme, würden wir uns Hilfe suchen.

 

Finden sich immer genügend Freiwillige für die Arbeiten, die anstehen?

Susanne: Bisher schon. Es gibt ja durch unseren Stand bei der Pride in Zürich auch immer Neuinteressent_innen, letztes Mal waren es gleich sechs Leute. Das ist natürlich schön.

 

Auf welchen Kanälen melden sich die Geflüchteten bei euch?

Elisha: Meist über unsere Website per Mail. Manchmal werden sie von anderen Organisationen oder Expert_innen auf uns hingewiesen. Und bisher kontaktierten sie uns in den meisten Fällen frühestens drei, vier Monate nach ihrer Ankunft.

 

Plaudern und beraten im Welcome Café Zürich.

 

Melden sich in letzter Zeit eher weniger als auch schon? Macht sich die stärkere Abschottung Europas bemerkbar?

Elisha: Ja, die Meldungen haben laut unseren Vorgänger_innen sehr stark abgenommen. Ehrlich gesagt habe ich auch den Eindruck, dass die Offenheit von LGBTI*-Leuten gegenüber Geflüchteten abgenommen hat, gerade in Zürich im Ausgang.

 

Nehmt ihr alle auf, die sich melden?

Elisha: Vorausgesetzt, das Bleiberecht oder die Grundversorgung der Geflüchteten sind in naher Zukunft noch unsicher. Dies beinhaltet sowohl Asylsuchende als auch wenige andere verletztliche Gruppen von LGBTI*-Geflüchteten.Es gibt jeweils ein Erstgespräch, bei dem wir unser Angebot erklären, aber auch, was wir nicht tun können. Da kommt es manchmal vor, dass jemand sich dann gegen unsere Unterstützung entscheidet. Oder Forderungen stellt, die wir nicht erfüllen können.

 

Wie erlebt ihr generell die Arbeit mit den Geflüchteten?

Susanne: Ich finde sie deshalb so bereichernd, weil ich durch die kulturellen Differenzen immer wieder andere Perspektiven und Gedankengänge kennenlerne, die mich selbst anregen. Und es gibt immer wieder schöne Erlebnisse von Solidarität, über Grenzen und Kulturen hinweg, weil die Geflüchteten hier alle in der gleichen Situation sind.

 

Gibts auch schwierige Erlebnisse, die zu Frust bei den Mentor_innen führen?

Elisha: Klar. Man kann noch so empathisch sein, es gibt immer wieder Situationen, in denen man an seine Grenzen stösst, wo man mit allen Erklärungen nicht weiter kommt. Zum Beispiel ist jemand meiner Betreuten mit leerem Handy-Akku in den Zug gestiegen und ging dann halt in die 1. Klasse, weil es dort Steckdosen zum Aufladen hat. Genau dann kam ein Kontrolleur und hat der Person eine Busse gegeben, obwohl sie sich bewusst nicht hingesetzt hat, sondern mit dem Handy stehen geblieben ist. Darüber hat sie sich danach geärgert und wollte das einfach nicht verstehen, trotz aller meiner Erklärungen dazu. Da frage ich mich dann: Hätte ich diese Busse irgendwie verhindern können? Ich glaube nicht. Manchmal gibt es auch Abgrenzungsversuche untereinander. Nur weil sie alle LGBTI* sind, heisst das nicht, dass sie einander deswegen besser verstehen als andere Leute. Beispielsweise bilden sich im Welcome Café auch Grüppchen, weil manche die gleiche Sprache sprechen oder aus dem gleichen Kulturkreis kommen. Aber ich habe auch schon erlebt, dass eine Person fand, einer schwarzen Person gebe sie die Hand nicht. Oder jemand anders sei «schwuler» als man selbst, deswegen wolle man mit ihm nichts zu tun haben.

 

Wie geht man mit so was um?

Elisha: Man muss durchgreifen, auch wenn das nicht so leicht ist. Es gibt dann meist persönliche Gespräche mit den Betreuten über die Befindlichkeiten, die verschiedenen Weltanschauungen und Werte. Das wird nicht immer akzeptiert, manchmal finden Leute, dass sie dann eben nicht mehr an solche Anlässe kommen. Und das ist dann halt so.

 

Plaudern und Beraten im Welcome Café Zürich.

 

Ihr bekommt bei eurer Arbeit oft Einblicke in dramatische Schicksale. Wie schafft man es da, die notwendige professionelle Distanz zu wahren?

Susanne: Wichtig ist, dass man sich bei Anderen Rat holen kann, wenn es mal sehr intensiv wird, und das kann man in der Gruppe. Aber manchmal ist es eine Herausforderung, die richtige Balance zu finden. Wenn Geflüchtete eine Krise haben, etwa weil sie einen negativen Asylentscheid bekommen haben, ist man schon sehr gefordert.

Ambra: Ich war lange beruflich in der humanitären Hilfe und der internationalen Zusammenarbeit tätig, und ich weiss, dass ich die Welt nicht retten kann. Aber es gab schon Zeiten, wo mir solche Schicksale unruhige Nächte bereitet haben. Heute versuche ich, mein Möglichstes zu geben, aber es gibt nun mal Grenzen. Die sind bei jedem_jeder woanders, und es ist wichtig sie zu kennen.

Elisha: Schlimme Schicksale beschäftigen mich sehr. Ich versuche dann stets, mich möglichst darauf zu konzentrieren, da zu sein und mich selbst zurückzunehmen. Ich höre zu, gebe zurück, was ich kann, auch wenn ich nicht immer alles nachvollziehen kann. Aber es ist wichtig, dann mit anderen darüber reden zu können, privat oder hier in der Gruppe.

 

Gibts Entwicklungen, die euch Hoffnung und Mut machen?

Ambra: Ob das neue Asylverfahren eine positive Entwicklung auslöst, können wir nur hoffen, aber noch nicht beurteilen.

Elisha: Schöne Momente sind immer, wenn jemand von unseren Geflüchteten tatsächlich Asyl erhält. Und in letzter Zeit haben gleich drei einen B-Ausweis bekommen.

Susanne: Ich habe den Eindruck, dass die Behörden gegenüber LGBTI* sensibler werden, dass das Verständnis wächst. Auch scheint mir, dass die Offenheit der jungen Generation zunimmt.

 

Focus Refugees (FR) ist eine Untergruppe von Queeramnesty, die LGBTI*-Geflüchtete in der Schweiz begleitet, emotional unterstützt und sozial vernetzt. Rechtsberatung leistet FR nicht, kann aber Spezialist_innen vermitteln. Derzeit kümmert sich die Gruppe mit 22 Freiwilligen um 27 Geflüchtete. Für jede_n Asylsuchende_n stehen pro Monat 140 Franken zur Verfügung, hinzu kommen Extras für den Besuch von Prides oder anderen queeren Veranstaltungen, für die teilweise aber von den Organisator_innen auch Gratistickets zur Verfügung gestellt werden. Das Gesamtbudget für FR beträgt pro Jahr rund 42’000 Franken.