Seit der Rechtspopulist Viktor Orbán Ungarn führt, hat sich die Lage für queere Menschen verschlechtert.

 

Das osteuropäische Ungarn hat knapp 10 Millionen Einwohner*innen und ist seit 2004 Mitglied der Europäischen Union. Ungarn war eines der ersten europäischen Länder, das Homosexualität in den 1960er-Jahren entkriminalisierte – wenn auch nur für über 20 Jahre alte Menschen. 2002 wurde das Schutzalter dann auf 14 Jahre gesenkt und somit jenem für Heterosexuelle gleichgestellt. Seit 2009 gibt es in Ungarn die eingetragene Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare. Die Ehe für alle ist jedoch nicht in Sicht, da die im Jahr 2012 überarbeitete Verfassung die Ehe nur zwischen Mann und Frau zulässt. Gleichgeschlechtliche Paare haben auch keinen Zugang zu Adoption, und die Stiefkindadoption steht nur verheirateten Paaren offen. Alleinstehende können grundsätzlich keine Kinder adoptieren. Allerdings haben alleinstehende Frauen, unabhängig von der Sexualität, Zugang zur künstlichen Befruchtung, während dies Frauen in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung verwehrt ist.

Russlands Propaganda als Vorbild

Der Rechtspopulist Viktor Orbán war von 1998bis 2002 Ministerpräsident Ungarns und ist seit 2010 wieder im Amt. Seither nehmen Menschenrechtsverletzungen und Korruption zu. Insbesondere die LGBTQI*-Community scheint ihm ein Dorn im Auge zu sein. Orbán hat sich die homophobe Propaganda Russlands und Polens zum Vorbild genommen. Damit schafft er es, die Opposition zu spalten und von anderen Themen abzulenken. Erstmals leitete die EU-Kommission ein Rechtsverfahren gegen einen Mitgliedsstaat ein – und sprach Ungarn sogar die Demokratie ab. Das Europaparlament bezeichnet Ungarn als Wahlautokratie.

Nicht nur Orbán hetzt

Nebst der rechtspopulistischen Partei Fidesz hetzt auch die zweitstärkste rechtsextreme Partei Jobbik gegen LGBTQI*-Menschen. 2012 reichte Jobbik eine Gesetzesvorlage ein, die öffentliche homosexuelle Handlungen mit bis zu acht Jahren Haft bestrafen sowie queere Bars, Partys und CSDs verbieten wollte. Im Juni 2021 beschloss das ungarische Parlament schliesslich ein Gesetz, das die Darstellung von Homosexualität gegenüber Minderjährigen verbietet. Man wolle damit verhindern, «dass Kinder diese Darstellungen fehlinterpretieren und dies einen nachteiligen Einfluss auf ihre Entwicklung hat». Konkret bedeutet dies, dass etwa Filme oder Serien, die homosexuelle Handlungen zeigen, eine Altersbeschränkung haben.  David Vig von Amnesty International Ungarn vergleicht die Gesetze mit den homophoben Bestimmungen in Russland und verurteilt die Stigmatisierung von queeren Menschen. Der ungarische Politologe Bozóki wirft Orbán vor, mit dem neuen Gesetz von innenpolitischen Problemen abzulenken, da sich andere Themen wie beispielsweise die Angst vor Migration inzwischen weniger gut nutzen lassen.

Immerhin: Trotz der homophoben Politik Orbáns steigt die Akzeptanz für die Ehe für alle in Ungarn. 2006 befürworteten lediglich 18% der Bevölkerung die Gleichstellung im Eherecht, 2015 waren es bereits 39%.

Vertrauter von Orbán auf Sexparty erwischt

Im November 2020 löste die Polizei in Belgien eine private Party aufgrund des Verstosses gegen die damaligen Corona-Regeln auf. Laut belgischen Medien handelte es sich um eine homosexuelle Sex- und Drogenparty. József Szájer, Vertrauter und Parteigenosse von Orbán, wurde bei seiner Flucht von der Party erwischt und entschuldigte sich später für den Verstoss gegen die Corona-Regeln. Szájer, der mit der Präsidentin des ungarischen Landesgerichtsamts verheiratet ist und eine Tochter hat, prägte die Politik der rechtspopulistischen Partei jahrelang mit – inklusive jene Passage der ungarischen Verfassung, welche die Ehe exklusiv auf Heterosexuelle beschränkt. Kurz nach dem Vorfall trat er zurück. Orbán verurteilte das Verhalten Szájers, da es nicht mit den Werten der Partei kompatibel sei.

 

Text: Lena Keller, Laura Imhof

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