Die Schwulenberatung Berlin betreibt seit Februar 2016 in Treptow-Köpenick eine Not- und Gemeinschaftsunterkunft für Lgbti*-Flüchtlinge. 122 queeren Menschen wird so vorübergehend nicht nur eine Bleibe ermöglicht, sondern auch professionelle Betreuung und Schutz vor Anfeindungen gewährt. Die Hauptstadt ist das einzige deutsche Bundesland, das diese Menschen als «besonders schutzbedürftig» einstuft. 

Was in Berlin bezüglich Betreuung von LGBTI*-Flüchtlingen möglich ist, stellt auch die Verhältnisse in der Schweiz in den Schatten. Bis es soweit war, brauchte es allerdings grosses Engagement, wie Stephan Jäkel von der Schwulenberatung Berlin berichtet. Der Senat hatte anfänglich kaum ein Ohr für die besonderenBedürfnisse der LGBTI*- Flüchtlinge. Es brauchte viel Arbeit seitens diverser Organisationen und Aktivist_innen, bis es zur Eröffnung dieser Unterkunft kam – nicht zuletzt auch ein paar Quäntchen Glück.

INFORMATION UND POLITICAL AWARENESS

Den Verantwortlichen gelang es, wichtige Medien auf das Thema aufmerksam zumachen. So berichtete etwa Der Spiegel am 17. September 2015 unter dem Titel «Die schlimmste Zeit meines Lebens» über drastische Übergriffe auf homosexuelle Flüchtlinge in deutschen Asylunterkünften. Ein Monat später, am 9. Oktober 2015, doppelte die Berliner Zeitung nach unter dem Titel «Bespuckt und gedemütigt: Wie homosexuelle Flüchtlinge in Berliner Heimen leiden».

Political Awareness und völlige Überforderung mit der Flüchtlingssituation generell, liessen schliesslich den Senat nicht nur einsichtig werden, er kam nun sogar auf die engagierten Organisationen zu und bat, eine Lösung zu finden. Zudem hielt er in seinem Konzept zur Unterbringung und Integration von Flüchtlingen die besondere Schutzbedürftigkeit von queeren Flüchtlingen fest. Diesen Status erhalten sonst beispielsweise schwangere Frauen, Minderjährige oder stark traumatisierte Flüchtlinge.

DIE UNTERKUNFT

Die Suche nach geeigneten Räumlichkeiten gestaltete sich schwierig. Insbesondere wollte man nicht einfach eine Massenunterkunft, sondern kleinere Wohneinheiten. Und noch einmal stellte sich das notwendige Quäntchen Glück ein: Ein Architekt und Bauherr, selber schwul, kam auf die Verantwortlichen zu und bot ein eben fertiggestelltes Wohn- und Bürogebäude zur Miete an. Das Haus besteht aus 29 Ein- bis Vierzimmerwohnungen und bietet 122 Menschen Platz. Heute dient es als Notunterkunft mit aller nötigen Infrastruktur bis hin zu einer hauseigenen Mensa. Ein Bereich funktioniert als Übergangswohnheim, eingeteilt in WG-Gruppen.

Weil sie besonders schutzbedürftig sind, werden die Menschen hier in einem deutlich höheren Ausmass professionell betreut, als das in regulären Unterkünften der Fall ist. Sieben professionelle Mitarbeiter arbeiten in Teil- und Vollzeitpensen, das Heim ist rund um die Uhr durch Security-Mitarbeiter bewacht.

Rund 150 bis 200 Freiwillige bieten Unterstützung an: Zum Beispiel Deutschkurse, Begleitung bei Behördengängen, diverse Workshops, Information zu HIV und Geschlechtskrankheiten, sowie Zugang zu LGBTI*-Vereinigungen und -Initiativen. Diese Unterstützung erhalten selbstredend nicht nur die Bewohner des Heims in Treptow. Die Schwulenberatung führt auch das Café Kuchus, ein Treffpunkt für LGBTI*-Flüchtlinge mitten in der Stadt Berlin. Mehrere professionelle Mitarbeiter beraten hier beispielsweise zu Asylverfahren und Migrationsrecht in verschiedenen Sprachen, LGBTI*-sensible Übersetzer_innen stehen zur Verfügung, ebenso ein Psychologe. Zudem gibt es viele weitere Organisationen in Berlin, die sich für queere Flüchtlinge einsetzen.

BESONDERS GEFÄHRDET, «BESONDERS SCHUTZBEDÜRFTIG»

Involvierte Kreise schätzen die Zahl von LGBTI*-Flüchtlingen in Berlin auf 3500 bis 5000 Menschen. Diese Menge lässt auch die Zahl der Übergriffe deutlicher erkennen. Weit über hundert gemeldete Attacken auf queere Asylbewerber finden pro Jahr statt, wobei die Dunkelziffer mehrfach höher liegen dürfte, denn die meistenBetroffenen haben Angst, sich überhaupt irgendwo zu melden. Beim schwulen Anti-Gewalt-Projekt MANEO wurden zwischenzeitlich so viele Übergriffe auf queere Flüchtlinge gemeldet, dass vielenFällen gar nicht mehr nachgegangen werden konnte. Verbale Attacken und Ausgrenzung in Unterkünften sind an der Tagesordnung. Nicht selten kommt es aber auch zu physischer Gewalt wie Angriffe mit Fäusten oder Messern.

Was macht queere Flüchtlinge so verletzlich? Grundsätzlich ist es die soziokulturelle und juristische Situation in vielen Herkunftsländern. Homosexualität wird als amoralisch und Sünde gesehen, teils gesetzlich sanktioniert bis hin zur Todesstrafe.

In Flüchtlingsunterkünften aufgenommen, finden sich queere Flüchtlinge meist in Gemeinschaft mit ihren «Peinigern» aus der Heimat wieder oder treffen auf homophob denkende Menschen anderer Kulturen. Anfeindungen, Gewalt und gar Todesdrohungen gibt es dann genauso wie im Ursprungsland. Ungeschulte Betreuer_innen und Sachbearbeiter_innen schätzen die Situation oft falsch ein, Dolmetscher_innen sind durch ihren kulturellen Hintergrund oft selbst homophob. Viele Flüchtlinge haben sogar Angst, durch diese Leute in ihren Heimatländern oder bei ihren Familien geoutet zu werden. Nicht selten sind es auch mitgeflüchtete Familienmitglieder, die zur Bedrohung werden. Oder es herrscht Angst, dass bei einem unfreiwilligen Outing die Familie im Herkunftsland drangsaliert wird.

Die homophobe Situation in vielen Ländern führt auch dazu, dass sich die queere Flüchtlings-Community von ihrer Herkunft her anders zusammensetzt als das Gros geflüchteter Menschen. So ist der Anteil an Queers aus Nichtkriegsländern wie zum Beispiel ehemalige Sowjetstaaten, aus der Türkei, dem Kosovo und Albanien besonders hoch.

LGBTI*-Flüchtlinge haben meist gesellschaftliche Ausgrenzung, Kriminalisierung, Inhaftierung und Folter oder familiäre Gewalt erlebt. Vertrauen zu finden braucht Zeit – selbst in einem Land, in dem Homosexuelle nicht von Staates wegen verfolgt werden. Zudem sind homophobe Übergriffe auch in unserer Gesellschaft an der Tagesordnung, das Wissen um Homosexualität und Queerness auch bei uns mit vielen Klischees behaftet und deshalb eingeschränkt.

Viele dieser queeren Menschen sind noch sehr jung und hatten unter der ständigen Repression in ihrer Heimat keine Gelegenheit, sich mit ihrer eigenen sexuellen Ausrichtung oder ihrer geschlechtlichen Situation auseinanderzusetzten. Die Verwirrung ist oft so gross, dass sich Flüchtlinge heute schwul nennen, nächste Woche fühlen sie sich eher trans, um sich schliesslich als «ganz normaler» Schwuler wahrzunehmen.

Ein «befreiendes» Coming-out ist für viele nur schwer möglich. Zu sehr hat sich ihre Geschichte in Körper und Seele eingeschrieben. Viele leiden unter sogenannten psychotraumatischen Flashbacks: Schwere Krisen können durch Kleinigkeiten wie ein Wort, ein Geruch oder ein Bild ausgelöst werden.

Probleme entstehen auch im Umgang mit Drogen und Alkohol. In der Szene leicht zugänglich, helfen sie vermeintlich zu vergessen. Prävention von Suchterkrankungen ist deshalb ein weiteres wichtiges Thema in der Unterkunft. Genauso wie Aufklärung zu sexuell übertragbaren Erkrankungen.

ALLTAG IN DER UNTERKUNFT

Strukturell läuft alles gut, sagt Stephan Jäkel. Aber im Alltag entstehen natürlich viele Probleme. So viele junge Menschen am gleichen Ort – da wird verliebt und entliebt, mit dem dazugehörigen Seelenschmerz. Da entstehen die gleichen Probleme wie in jeder WG: Wer muss heute putzen, wer hat nicht eingekauft etc.

Eine weitere Herausforderung ist das Zusammenleben so vieler grundlegend unterschiedlicher Kulturen, denn auch queeren Menschen wurde zum Teil mit der Muttermilch eingeimpft, dass andere Menschen schlecht und dreckig sein können oder «falschen» religiösen Gruppen angehören. Politisch-religiöse Gräben wie beispielsweise der Irak-Iran-Konflikt schliessen sich nicht von alleine, und Rassismus ist ein häufiges Problem.

Und wie soll man bloss die WG-Gruppen einteilen? Primär sollten sie geschlechtlich getrennt sein – nicht so einfach bei einer queeren Population. Russische Flüchtlinge ziehen es zum Beispiel vor, geschlechtsunabhängig eigene WGs zu haben. Und was macht man mit einer Transfrau, die bei ihrem heterosexuellen Mann einziehen möchte?

Das kulturelle Verständnis von Homosexualität kann auch zu grotesken Situationen führen. Ein Mitbewohner wurde bei der Heimleitung bezichtigt, gar nicht schwul zu sein. Als man der Sache nachging, stellte es sich heraus, dass er sexuell nur den aktiven Part übernehmen will, was in einigen Kulturen nicht als schwul gilt. Diskussionen über Begehren und Queerness sind dann wichtig.

QUO VADIS?

Das Heim in Treptow ist keine Bleibe für immer. Zudem schien es zu Beginn erst, als ob diese Anlage schnell platzmässig an ihre Grenzen stösst. Schon bald kam der Ruf nach weiteren solchen Häusern. Das Nachlassen des Flüchtlingsstroms hat die Situation nun entschärft, und so halten sich zur Zeit Ein- und Auszüge in etwa die Waage. Allerdings platzt Berlin, was den Wohnraumbedarf anbelangt, generell aus allen Nähten. Da braucht es viele freiwillige Helfer und engagierte Leute, die Möglichkeiten finden, Leute dauerhaft unterzubringen.

Bei weitem nicht alle Angebote aus der Community sind seriös. Gewisse Zeitgenossen bieten Mitwohngelegenheiten an, die mit so vielen Bedingungen und Leistungsanforderungen an die Flüchtlinge verknüpft sind, dass man ihnen gerade so gut einen Sklavenvertrag unterbreiten könnte. Andere geben sich absolut «selbstlos» und sind bereit alles zu teilen, sogar das Bett. Auch in der queeren Community sind kolonialherrschaftliche Bilder nicht verloren gegangen, und es bedarf viel Sorgfalt bei der Auswahl von Helfer_innen. Das Heim in Treptow-Köpenick löst einige akute Probleme, aber damit die Flücht- linge langfristige Perspektiven bekommen, sind noch viele Anstrengungen notwendig.

Dieser Artikel erschient im Queeramnesty-Magazin Nr. 8. Illustrationen von Kasia Jackowska.