ENDE 2018 HAT DAS SCHWEIZER PARLAMENT BESCHLOSSEN, DISKRIMINIERUNG AUFGRUND VON SEXUELLER ORIENTIERUNG UNTER STRAFE ZU STELLEN. TRANS UND INTER MENSCHEN HINGEGEN WURDEN VON DIESEM SCHUTZ BEWUSST AUSGENOMMEN. ZUDEM WURDE DAS REFERENDUM ERGRIFFEN.

Vieles dauert in der Schweiz länger als in anderen Ländern – aber am 14. Dezember letzten Jahres hat das Parlament der bisexuellen-lesbisch-schwulen Community doch noch ein Weihnachtsgeschenk gemacht: den Diskriminierungsschutz. Nicht nur dauern solche Entwicklungen hierzulande länger, sie erfolgen auch stets in winzigen Schritten. Der Flickenteppich sieht diesmal so aus, dass der Gesetzgeber kurzerhand trans und inter Menschen bewusst ignoriert und ihnen nicht denselben Schutz zukommen lassen will wie bisexuellen, lesbischen und schwulen.

Aber der Reihe nach: 2013 reichte der Walliser SP-Nationalrat Mathias Reynard die Parlamentarische Initiative «Kampf gegen die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung» ein. Er verlangte darin, dass der als «Anti-Rassismus-Strafnorm» bekannte Artikel 261bis des Strafgesetzbuches um das Merkmal der sexuellen Orientierung ergänzt wird. Somit würde Diskriminierung und öffentlicher Aufruf zu Hass nicht nur wegen Rasse, Ethnie und Religion, sondern auch aufgrund der sexuellen Orientierung unter Strafe gestellt. Im Februar 2017 befasste sich die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates mit der Vorlage und schlug vor, das Kriterium der Geschlechtsidentität zu ergänzen, um trans und inter Menschen denselben Schutz zu gewähren – dank tatkräftiger Aufklärung und Information der queeren Dachverbände. Dem folgte der gesamte Nationalrat im September 2018, doch der Ständerat verweigerte sich der Ergänzung um die Geschlechtsidentität, worauf auch der Nationalrat einknickte. So rang sich das Parlament schliesslich nur zur Erweiterung um die sexuelle Orientierung durch. Die Parlamentarier_innen, die sich zunächst trans- und interfreundlich gaben, in der Schlussabstimmung aber doch nicht den Mut hatten, für einen umfassenden Diskriminierungsschutz einzustehen, stammen aus den Fraktionen von CVP und FDP. Die SVP stimmte geschlossen für die Streichung von Geschlechtsidentität, Grüne, SP, GLP und BDP (mit einer Enthaltung) geschlossen dagegen. Im Ständerat sah es ähnlich aus.  Diskriminierung und Hassreden aufgrund der Geschlechtsidentität sollen somit auch künftig strafrechtlich nicht verfolgt werden können – die Parlamentarier_innen bezeichneten den Begriff als «zu schwammig für das Strafrecht», entgegen international anerkannten, auch von Gerichten verwendeten Definitionen, entgegen auch dem Wissen von trans und inter Menschen über ihre Geschlechtsidentität. Die queeren Dachorganisationen haben angekündigt, sich weiterhin für einen umfassenden Diskriminierungsschutz auch für trans und inter Menschen einzusetzen.

NOCH NICHT IM TROCKENEN

Doch auch der Diskriminierungsschutz aufgrund der sexuellen Orientierung ist noch nicht im Trockenen: Die beiden Rechtsaussenparteien EDU und Junge SVP haben zusammen mit weiteren reaktionären, christlich-fundamentalistischen Gruppen das Referendum gegen die Erweiterung der Strafnorm ergriffen. Die SVP unterstützt das Referendum nicht offiziell, ist «aber froh, dass die Junge SVP das übernimmt», so Parteipräsident Albert Rösti, denn man sei wie sie der Ansicht, dass mit der geplanten Erweiterung dem «Gesinnungsterror Tür und Tor geöffnet» werde. Das Referendumskomitee sieht also die Meinungsäusserungsfreiheit in Gefahr und ist der Auffassung, queere Menschen bräuchten keinen besonderen Schutz. Denn entweder sei dieser ausreichend oder es gebe gar keine Diskriminierung. Oder wird Homo- und Bisexuellenfeindlichkeit als Strafe Gottes angesehen, wie eine Äusserung des EDU-Politikers Marc Früh nahelegt? «Seine sexuelle Orientierung zu wählen heisst, für diese Wahl verantwortlich zu sein.»

Der Initiant der Gesetzesänderung, Mathias Reynard, findet für derartige Argumente klare Worte: «Es ist schwierig zu verstehen, wie man so viel Zeit und Ressourcen aufwenden kann, um das Recht auf Beleidigung von Homosexuellen beizubehalten.» Auch die queeren Dachverbände äussern sich klar, beispielsweise LOS-Geschäftsleiterin Anna Rosenwasser: «Diskriminierung ist keine Meinungsfreiheit, sondern ein Verbrechen.»

KEINE «SPEZIALGESETZE» FÜR BESTIMMTE LEBENSFORMEN

Anfang April läuft die Referendumsfrist ab. Als dieselben Kreise im Spätsommer 2016 bereits das Referendum gegen die Stiefkindadoption ergriffen, scheiterten sie daran, die nötigen 50‘000 Unterschriften zusammenzubringen. Interessant dabei: Beide Gesetzesänderungen sind nicht Vorlagen, die speziell für queere Menschen ausgearbeitet wurden und nur sie schützen würden. Es sind keine «Spezialgesetze» für bestimmte Lebensformen (wie beispielsweise die Ehe, die nur für heterosexuelle Menschen gilt), sondern sowohl die Stiefkindadoption wie auch der Diskriminierungsschutz gelten für alle gleichermassen. Unverheiratete heterosexuelle Konkubinatspaare profitieren von der Stiefkindadoption ebenso wie heterosexuelle Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung auch von Hassrede betroffen sein könnten, von der Erweiterung des Diskriminierungsschutzes.

WAS ÄNDERT SICH?

Die Enttäuschung, dass trans und inter Menschen der Diskriminierungsschutz vorerst verwehrt bleibt, ist begleitet von Erleichterung über den besseren rechtlichen Schutz von bisexuellen, lesbischen und schwulen Menschen (und aller anderen sexuellen Orientierungen). Dieser Diskriminierungsschutz ist wichtig, denn bisher war bei homo- und bisexuellenfeindlichen Beleidigungen nur eine individuelle Ehrverletzungsklage möglich – das heisst, nur wenn die Person als Einzelne in ihrer Ehre verletzt wurde und persönlich gemeint war. Wenn die beleidigenden Äusserungen an die homo- oder bisexuelle Gemeinschaft als ganze gerichtet waren, griff dieser zivilrechtliche Weg nicht. Ein aktuelles Beispiel verdeutlicht dies sehr anschaulich.

Im August letzten Jahres hat der Vorsitzende der Sektion Appenzell der rechtsextremen Partei PNOS, Florian Signer, einen Artikel mit dem Titel «Warme Warnung – Kritik an der Homosexualität» veröffentlicht. Dieser strotzt vor diffamierenden, beleidigenden und die Menschenwürde verletzenden Aussagen, wie etwa dass homosexueller Aktivismus «Pionierarbeit für Pädophile» sei oder Kinder aus Regenbogenfamilien «seelische Zeitbomben» seien. Als Lösung schlägt Signer vor, nach russischem Vorbild «Homosexualität in der Öffentlichkeit sowie homosexuelle Propaganda unter Strafe» zu stellen, die «Heilung» von Homosexualität zu fördern und zu «erforschen» oder eine von Homosexuellen zu entrichtende Steuer einzuführen, mit der tradierte Familienmodelle gefördert werden sollen.

Um dieser menschenverachtenden Polemik entgegenzutreten, hat Pink Cross eine Sammelstrafanzeige organisiert, der sich über 200 Einzelpersonen angeschlossen haben – mit ihr wurde Florian Signer wegen Ehrverletzung angezeigt. Zwar hat die Staatsanwaltschaft Appenzell das Verfahren eröffnet, umfangreiche Ermittlungen getätigt und den Autor des Hassartikels zu einer Einvernahme vorgeladen. Ob er angeklagt werden kann, ist jedoch noch unklar. Die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichts zeigt: Wenn sich die Hetze nicht an die Kläger_innen direkt richtet, sondern an die gesamte Gruppe der Homosexuellen, gilt sie nicht als Ehrverletzung. «Momentan haben wir noch eine absurde Situation», empört sich Roman Heggli, Geschäftsleiter von Pink Cross. «Wenn eine Einzelperson beleidigt wird, ist das strafbar – wenn es aber sehr viele Personen betrifft, kann man gegen sie hetzen und Hass verbreiten, ohne eine Verurteilung fürchten zu müssen.»

Genau für solche Fälle braucht es den neuen Diskriminierungsschutz: Die systematische Herabsetzung und Verleumdung sowie die Verbreitung von Hass gegenüber homosexuellen Menschen, wie sie im PNOS-Artikel vorkommen, wären neu strafbar. Florian Signer würde nach der Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm wohl eher verurteilt.

Illustration: Kasia Jachowska