MIT DEM NEUEN ASYLGESETZ WURDE DAS ASYLVERFAHREN ZWAR VERKÜRZT, DOCH BESCHRÄNKT SICH DAS ZERMÜRBENDE WARTEN NICHT NUR AUF DEN BEHÖRDENENTSCHEID. SELBST WENN DIESER POSITIV AUSFÄLLT, GEHT ES WEITER, SEI ES AUF EINE EIGENE WOHNUNG ODER EINE ARBEIT. AUS DEM ALLTAG EINES GEFLÜCHTETEN IM KANTON ZÜRICH, DESSEN LEBENSBEDINGUNGEN SICH DURCH CORONA VERSCHÄRFT HABEN.

Anfang Sommer wird Danilo (Name geändert) ein Jahr in der Schweiz sein – eine intensive Zeit. Vor elf Monaten begann das grosse Warten des 25-jährigen lateinamerikanischen Geflüchteten, um nach der Ankunft zunächst einmal in eines der Bundeszentren verteilt zu werden. Als dann nach kurzer Zeit die Zürcher Kollektivunterkunft Juch wegen unzumutbarer Zustände geschlossen werden musste, kam er in eine gemeindeeigene Asylunterkunft im Kanton Zürich. Hier wartete er zuerst bangend auf seinen Asylentscheid, später auf seinen B-Ausweis und dann auf die Genesung nach der Corona-Erkrankung. Sein nächstes Ziel ist das Finden einer eigenen Wohnung.

UNTERKUNFT MIT HOHEM STRESSPEGEL

Im Januar 2020 erhielt er den positiven Asylentscheid – an sich ein Meilenstein. Nur war die Freude darüber stark getrübt durch sein alltägliches Unwohlsein in der Unterkunft im Kanton Zürich. Diese ist für neun Personen konzipiert und wird von der ORS im Leistungsauftrag für den Kanton betreut. Die Behörden teilen die Geflüchteten den Unterkünften zu, vom Sozialamt des Wohnortes erhalten sie Sozialhilfe. Doch Danilo fühlte sich nie wohl in seiner Unterkunft, der hohe Lärmpegel und die Konflikte stressten ihn zunehmend. Kein eigenes Zimmer zu haben, in das er sich bei Bedarf zurückziehen kann, zermürbte den jungen Mann, der in seiner Heimat einen Uniabschluss in der Tasche hat und aus politischen Gründen flüchten musste. Und das grosse Warten ging auch nach dem Asylentscheid weiter: erst auf den physischen Ausweis, den er im Februar erhielt, nun auf das Finden einer eigenen Wohnung. Denn erst dann sei es ihm möglich, sich auf die Arbeitssuche zu konzentrieren, sagt Danilo. Ursprünglich war es sein Plan gewesen, nach Schweden zu flüchten; nur kam er fälschlicherweise in der Schweiz an und musste auch hier um Asyl anfragen. Ebenfalls nicht leicht ist das weitere Zusammenleben mit den anderen acht Geflüchteten ohne Entscheid – oder gar mit einem negativen. Letzteres erhält die Mehrheit der Asylsuchenden. Was zu einer Prekarisierung der ohnehin schwierigen Situation führt und die Menschen in einen Alltag ohne Geld oder Tagesstruktur und mit wenig Perspektiven und Hilfe katapultiert. Meist zwingt sie dies in die Illegalität oder zur Rückkehr in die Heimat. Aktuell erhalten Geflüchtete mit einem Negativentscheid nur noch Nothilfe. Und sie müssen in eine Unterkunft, in der sich bis zu sieben Menschen ein Zimmer teilen. Die Situation in der Asylunterkunft ist von einem hohen Grad an Stress geprägt. «Wir leben hier unter schlechten Bedingungen», sagt Danilo. «Im Januar waren wir sogar 14 statt neun Menschen, auf kleinstem Raum mit einem einzigen Kühlschrank». Er beschwerte sich in einem Brief beim Staatssekretariat für Migration (SEM), bekam jedoch bis heute keine Antwort. Auch die Lage verbesserte sich seither nicht. «Da mir mein Essen im Kühlschrank oft gestohlen wurde, habe ich es im Winter auf mein Fensterbrett gestellt.» Auch sonst sind die Geflüchteten auf sich gestellt, müssen aus ihrem Grundbedarf sogar die Putzmaterialien selbst finanzieren. Danilo sieht darin einen Grund, weshalb das Haus so dreckig ist. «Von uns fühlt sich niemand verantwortlich, wir können uns das Putzmaterial auch nicht vom Essen absparen.» Zudem seien alle Türen kaputt, niemand schaue zur Infrastruktur, auch die ORS nicht. «Was kaputt ist, wird nicht ersetzt oder repariert.» Nicht mal die Heizung. Auch im Frühling fror Danilo nachts. Der Medienverantwortliche der ORS AG verwies auf Nachfrage des Queeramnesty-Magazins auf die Verantwortung der Gemeinde und die Selbstverantwortung der Geflüchteten. Das Putzmaterial werde jedoch tatsächlich vom Grundbedarf der Geflüchteten abgezogen, dies sei so von der SKOS (Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe) empfohlen.

KAMPF UMS ÜBERLEBEN

«Die ORS gab mir ein Bett, das von Anfang an kaputt war – als ich dies beanstandete, hiess es, sie könnten mir nicht helfen.» Wochen später konnte er sich mit Hilfe der Kirche ein neues Bett organisieren. «Meine Lektion nach fünf Monaten Schweiz war: Wenn du dir nicht selbst zu helfen weisst, dann endest du in der Welt der Drogen, wie viele andere hier.» Dennoch bleibt der junge Mann ungebrochen kämpferisch. Pointiert beschreibt er die schwierigen Lebensbedingungen in der Unterkunft: Nach Erhalt eines Negativentscheides werde der Zugang zur Schule verweigert, das Geld gekürzt und eine legale Arbeit sei unmöglich. «Du hast also weniger Geld und mehr freie Zeit.» Viele füllen diese mit Alkohol oder Drogen und geraten in eine Negativspirale. «Warum die Menschen nach einem Negativentscheid keinerlei Hilfe mehr bekommen, leuchtet mir nicht ein. Die Schweiz ist das einzige Land, wo du dann nicht einmal mehr zur Schule gehen darfst.» Für ihn selbst bot der tägliche Besuch einer Schule viele Monate lang eine sinnstiftende Tagesstruktur. Weiterhin lernen zu können, bedeute auch, an einer eigenen Lebensperspektive festhalten und dem Warten aktiv etwas entgegen setzen zu können. Schwierig ist für Danilo ausserdem, dass er sich in der Unterkunft unsicher fühlt, zuweilen sogar bedroht von den anderen. Er teilt sein Zimmer mit einem manisch- depressiven Mann. Und auch nach acht Monaten getraut er sich aus Angst vor homophoben Reaktionen nicht, sich als queer outen. Überhaupt fühlt er sich sehr isoliert – ihm fehlt der Kontakt zu Menschen aus seiner Heimat.

GESUNDHEITLICHE UND PSYCHOSOZIALE VERSORGUNG

Sogar die gesundheitliche Versorgung lässt zu wünschen übrig: Danilo benötigt laut einem Optiker dringend eine Brille. Dies meldete er bereits im Zentrum Juch an, dort jedoch wurde der Besuch eines Augenarztes verweigert. Eine Brille sei zu teuer, habe man ihm beschieden – und schickte ihn nochmals zum Optiker. Dieser, so erzählt Danilo, habe dann plötzlich seine Meinung geändert und entschieden, dass er nun doch keine Brille mehr benötige. Später hörte er von anderen Geflüchteten, dass es in diesem System grundsätzlich für niemanden eine Brille gebe. «Aus meiner Sicht sind die Mitarbeitenden von ORS nicht immer professionell.» Sie leisteten keine sozialarbeiterische Betreuung, weder gebe es beratende Gespräche, noch Vermittlung bei Konflikten im engen Wohn- und Lebensraum der gestressten, verletzlichen Menschen aus verschiedenen Kulturen. Auch Integrationsarbeit mit den Geflüchteten finde nicht statt, obwohl dies Teil einer professionellen Betreuung sein sollte, findet Danilo. Er möchte sich integrieren und bräuchte zum Beispiel Hilfe bei der Wohnungssuche, denn ihm fehlen Informationen zu verschiedenen Abläufen. Also suchte er sich Unterstützung und baute sich ein eigenes Netzwerk ausserhalb des Asylsystems auf. Durch den Kontakt zu einem italienischen Kloster etwa wurde ihm ein ÖV-Abonnement finanziert.

CORONA VERSCHÄRFT BEDINGUNGEN

Die Ausnahmesituation durch den Coronavirus wirkte sich auch ganz direkt auf Danilo aus. Am 13. März entschied die Schweiz, sämtliche Schulen zu schliessen, einen Tag später wurde Danilo positiv auf COVID-19 getestet. Da er als erster in der Kollektivunterkunft erkrankte, gab es sofort eine Medienmitteilung, in der die zuständige Gemeinde die getroffenen Massnahmen beschrieb. Aufgrund seines stabilen Gesundheitszustands wurde entschieden, ihn nicht zu hospitalisieren, sondern innerhalb der Unterkunft zu isolieren. Doch die anderen dort fühlten sich durch Danilos Krankheit bedroht; er wiederum fürchtete sich vor den Reaktionen dieser Menschen. Zur Sicherstellung der Versorgung bot die Gemeinde gar den Zivilschutz auf, und es hiess, dass für die ORS die Einhaltung der Quarantäne-Vorschriften im Mittelpunkt stehe. Danilo erlebte das jedoch anders. Niemand von der ORS habe nachgefragt, wie es ihm gehe, niemand habe sich um seinen Schutz gekümmert. Die Menschen in der Unterkunft seien hingegen zunehmend panisch geworden und hätten ihn am liebsten aus dem Haus gejagt. Schliesslich habe er einen Tag später die Polizei angerufen und um Schutz gebeten, worauf die Unterkunft eine Woche lang bewacht worden sei. Die ORS hingegen habe nichts unternommen, als die Situation unter den Bewohnenden eskaliert sei. Den Vorwurf mangelnder Betreuung und Fürsorge für Danilo wies die ORS entschieden zurück. Nach ihren Angaben habe sich ein Betreuer regelmässig um Danilo gekümmert, dieser sei auch mit Lebensmitteln versorgt worden. Mediensprecher Lutz Hahn bezeichnet Danilos Vorwürfe als «haltlos» und fordert gar den Verzicht der Publikation – andernfalls werde er rechtliche Schritte gegen das Queeramnesty-Magazin einleiten. Als Danilo nach seiner Genesung wieder im Dorf spazieren ging, erlebte er als Geflüchteter mit Corona eine doppelte Stigmatisierung. Und ein bisschen angeschlagen ist er weiterhin. «Beim Arzt hiess es, dass ich noch vier Monate mit einer eingeschränkten Lungenkapazität leben muss.» Nun will er seine ganze Kraft auf die Wohnungssuche verwenden, für den Deutschkurs reiche es im Moment nicht mehr. Die Schule ist derzeit allerdings ohnehin geschlossen. Danilo ist bewusst, dass er weiterhin viel Geduld brauchen wird, um in kleinen Schritten seiner Zukunft entgegen zu gehen. Dabei sind seine Wünsche bescheiden: «Ich möchte mich integrieren, eine Wohnung finden, dann eine Arbeit und schliesslich ein ganz normales Leben führen.» Er hofft, dass er bei dieser Suche Unterstützung erhalten wird.