Queeramnesty betreut aktuell 63 Geflüchtete aus 31 Ländern. Rund die Hälfte stammt aus afrikanischen Ländern, die meisten aus Nigeria, Uganda und Algerien. Aber einige kommen auch aus Russland, der Türkei und Mexiko zu uns.
Zum Einsatzgebiet von Queeramnesty gehört auch die Betreuung von queeren Geflüchteten. Das Team Focus Refugees kümmert sich derzeit um 63 Menschen, die in der Schweiz auf Asyl und ein besseres Leben hoffen. Die Weltkarte illustriert, wo sie herkommen. Etwas mehr als die Hälfte (34) stammt aus 16 Ländern in Afrika – ein Kontinent, der leider für seine LGBTI*-Feindlichkeit bekannt ist (trotz des fortschrittlichen Beispiels Südafrikas, wo Queers seit 1996 von der Verfassung geschützt sind). 20 Prozent unserer Geflüchteten kommen aus nur drei Ländern: Nigeria, Uganda und Algerien. Weitere 20 Prozent kommen aus Iran, Russland und der Türkei. 3 Prozent stammen aus den zentralamerikanischen Staaten Mexiko, Jamaika und Kolumbien.
Schwierige Lage in den Herkunftsländern
In den meisten dieser Länder droht Homosexuellen entweder die Todesstrafe oder Haft (Details siehe Tabelle). Oft herrscht in Europa der Eindruck, diese drakonischen Strafen beträfen nur muslimische Länder, aber in einigen ist der Bevölkerungsanteil von Christen recht hoch.
Wir betreuen aber auch Asylsuchende aus Ländern, in denen homosexuelle Handlungen nicht explizit gesetzlich verboten sind – zum Beispiel aus der Türkei, Irak oder Georgien. In diesem Land spielt die orthodoxe Kirche gesellschaftlich eine sehr starke Rolle und beeinflusst das Verhalten der Bürger. Zwar schützt Georgien seine LGBTI-Bürger*innen schon seit 2012 gesetzlich, aber Diskussionen über Sexualität werden im Land negativ bewertet, weil dies von den traditionellen orthodoxen Werten abweicht. Homosexuelle sind von Missbrauch und körperlicher Gewalt bedroht, was zudem häufig von religiösen Führern aktiv gefördert wird.
Im Libanon derweil ist die rechtliche Lage zweideutig: Bis 2014 konnten homosexuelle Handlungen mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft werden, dann entschied ein Richter in einem Fall, Homosexualität sei eine Wahl und keine strafbare Handlung. Ein wichtiger Präzedenzfall, aber es gab bis heute kein neues Gesetz; gelegentlich wird die Haftstrafe tatsächlich noch durchgesetzt.
In diversen Ländern wurden solche queerfeindlichen Gesetze erstmals mit der Ankunft europäischer Kolonialmächte eingeführt. Das britische Empire etwa verfolgte damit die Absicht, die lokalen Bräuche zu korrigieren, und die christliche Bevölkerung vor «moralischer Korruption» zu schützen. Von den 72 Ländern, in denen solche Gesetze 2018 noch in Kraft waren, standen mindestens 38 einst unter britischer Kolonialherrschaft – darunter auch der Irak. Hier scheinen einvernehmliche, nicht-kommerzielle homosexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen ab 18 Jahren laut einem Gesetz von 1988 legal zu sein. Prostitution jedoch kann mit lebenslänglich bestraft werden, und Ehrenmorde an einem homosexuellen Familienmitglied sind nicht unüblich, sie geniessen sogar einen gewissen rechtlichen Schutz.
Alle 63 von uns betreuten Personen haben eine eigene Geschichte wie es dazu kam, dass sie in der Schweiz gelandet sind. Gründe für die Flucht gibt es Dutzende – und der Weg aus dem Heimatland ist selten einfach. Hier geben T.L. und K.P. einen Einblick in ihre Geschichten.
Asyl statt Studium
T.L. wuchs in Ostafrika in einem kleinen Dorf in einer gut gebildeten bürgerlichen Familie auf. Er hatte die Möglichkeit, für das Studium ein Auslandssemester zu machen. Kurz bevor er fliegen sollte, erfuhr sein strenger Vater, dass er schwul ist – was für die angesehene Familie im Dorf problematisch ist. Obendrein wurde er von der Familie seines Freundes bei der Polizei angezeigt, als sie von seiner Homosexualität erfuhren. Nur durch Kontakte am Flughafen konnte er sich durchschleichen und mit seinem gebuchten Flugticket nach Europa fliegen.
Nachdem seine Eltern umgehend jegliche finanzielle Unterstützung einstellten, scheiterten seine Pläne für das angestrebte Auslandssemester, auch das Zimmer im Studentenwohnheim konnte er sich nicht mehr leisten. Nach Hause konnte T.L. nicht – da würde er umgehend verhaftet und müsste mehrere Jahre im Gefängnis verbringen, möglicherweise gar lebenslänglich. Da er gleichzeitig seine Aufenthaltsbewilligung als Studierender verlor, sah er sich gezwungen, Asyl zu beantragen – in der Hoffnung auf eine Zukunft ohne Lebensgefahr.
Schreckliche Reise durch die Wüste und übers Meer
K.P. hat eine eher unstabile Kindheit in Westafrika: Seine Eltern sterben früh, er wird von Tante zu Tante geschickt und verbringt bei jeder nur wenige Monate oder Jahre. Als 19-Jähriger zieht er in eine grosse Stadt, um Arbeit zu finden und für sich selbst zu sorgen. Er findet ein Zimmer zur Untermiete – die Wohnung teilt er sich mit fünf Hetero-Männern.
Mit der Zeit findet er einen Freund – doch sie müssen vorsichtig sein, wann und wo sie Zeit miteinander verbringen. Würden sie erwischt, droht ihnen eine mehrjährige Gefängnisstrafe.
Genau das jedoch passiert, als seine Mitbewohner eines Tages unerwartet in sein Zimmer kommen und die beiden beim Küssen finden. K.P. flüchtet aus dem Fenster, durch die Stadt und landet schliesslich bei einer vertrauten Kundin, die viel Zeit in Europa verbringt und offener zu sein scheint als andere in seinem Heimatsland.
Sie bietet ihm tatsächlich Hilfe an. Er kann bei ihr wohnen bis zum Aufbruch nach Europa – eine schreckliche Reise durch die Sahara, gefolgt von einer Mittelmeerüberquerung in einem undichten Schlauchboot. Mehrere seiner Mitflüchtenden überleben die Reise nicht.
In Europa angekommen, findet er seine «Retterin» schon vor Ort – diesmal mit einer Rechnung in der Hand in Höhe von 80´000 Euro, die er für die Fluchthilfe begleichen soll. Das ist natürlich unmöglich. K.P. wird in die Prostitution gezwungen und später an Menschenhändler verkauft. Nach einigen Monaten kann er fliehen und bittet in der Schweiz um Asyl. Aber immer bleibt die Angst, dass er von den Menschenhändlern wieder gefunden wird – denn das haben sie ihm angedroht für den Fall einer Flucht.
Die Unzulänglichkeiten des Asylsystems
Das sind nur zwei der vielen Schicksale queerer Asylsuchender in der Schweiz. Und sie alle müssen ihre Geschichten dem Staatssekretariat für Migration (SEM) im Detail erzählen und offenlegen. Denn leider gilt in der Schweiz keine «Kollektivverfolgung» für LGBTI*-Personen – sie sind also nicht automatisch asylberechtigt, wenn sie aus Ländern kommen, deren Gesetze für queere Menschen lebensbedrohlich sind. Jede*r Geflüchtete muss stattdessen beweisen – am besten mit Fotos oder Dokumenten von einem Angriff –, dass sein/ihr Leben im Herkunftsland konkret bedroht ist.
Laut dem Bundesamt für Migration basieren nur gerade fünf Prozent der Asylgesuche in der Schweiz auf der Gefährdung im Herkunftsland wegen sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität. Und dies obwohl Homosexualität in rund 70 Ländern der Welt noch immer strafbar ist, oft begleitet von homo-, bi- und transphober Gewalt.
Queeramnesty will sich künftig verstärkt dafür einsetzen, dass in der Schweiz für LGBTI* die Kollektivverfolgung zur Anwendung kommt. In der aktuellen Situation ist die Unterstützung durch Focus Refugees eine wichtige Hilfe für den nächsten Lebensabschnitt nach der oft schwierigen Flucht. Ziel ist zudem, die Öffentlichkeit und Behörden stärker für die Situation von LGBTI*-Asylsuchenden zu sensibilisieren. Queeramnesty vernetzt die Geflüchteten untereinander, mit Asylberatungsstellen und anderen Organisationen, bietet Begleitung für Behördengänge oder kulturelle Anlässe an und gibt Ideen für Freizeitbeschäftigungen. Ausserdem werden regelmässig Weiterbildungen organisiert und Informationen zur Verfügung gestellt.
Der erste Kontakt zu anderen queeren Asylsuchenden ist für viele eine enorme Erleichterung. Denn das Leben in den Asylheimen ist oft einsam, vor allem ausserhalb der grösseren Städte. Da es in der Schweiz keine Asylunterkunft nur für LGBTI*-Asylsuchende gibt, bleiben diese in ihren Unterkünften aus Angst vor Repressalien durch andere Asylsuchende oft ungeoutet. Einige haben dort Bedrohung und Gewalt erlebt, nachdem ihre Homosexualität entdeckt wurde. Nicht mal in der vermeintlich sicheren Schweiz waren sie sicher.