Die Lage für die queere Community in Russland verschlechtert sich immer mehr. Die Organisationen arbeiten dennoch weiter – so gut es eben geht. 

 Der Krieg in der Ukraine hat die Repression in Russland verstärkt. Darunter leiden auch die Menschenrechts- und LBGTQI*-Organisationen. Illustriert wird dies etwa durch einen neuen Anlauf, das Gesetz gegen «Homo-Propaganda» zu verschärfen. Dieses hält Jugendlichen Informationen zu queeren Themen und Informationen vor. Der neue Gesetzentwurf soll nun auch für Erwachsene gelten und jeden queeren Aktivismus, jede Form von Unterstützung sowie Coming-outs auf Social Media illegal machen.  

Die Angst in der queeren Community Russlands ist gross. Das sagt auch Menschenrechtsaktivist David Isteev: «Jeden Tag gibt es Verhaftungen von Aktivist*innen, Durchsuchungen von Büros. Der Grad der Homophobie ist sprunghaft angestiegen. In der russischen Gesellschaft wird zunehmend über die Rückkehr zur strafrechtlichen Ahndung homosexueller Beziehungen gesprochen.» 

Viele Aktivist*innen verlassen das Land, auch Mitglieder der LGBTQI*-Gruppen. Doch dies ist nicht immer einfach. Gerade trans Personen, die vor einer Operation stehen oder noch keinen neuen Pass haben, wissen zum Beispiel nicht, was an der Grenze zu Polen mit ihnen passiert. Denn auch das gerade in ländlichen Gebieten tief konservative osteuropäische Land äussert sich regelmässig queer-feindlich. 

Zudem ist der Zugang zu Medikamenten seit Kriegsbeginn stark eingeschränkt, also besorgen die Menschen sie sich auf dem Schwarzmarkt. Doch wer erwischt wird, geht ins Gefängnis. Viele haben allerdings keine andere Wahl. «Für Menschen, die sich einer Gebärmutterentfernung unterzogen haben, ist eine Hormontherapie lebenswichtig. Ohne sie werden sie langsam sterben», erklärt David Isteev.  

Kein Geld wegen westlichen Sanktionen 

Isteev, der im Januar an einer queeren Veranstaltung in Zürich zu Gast war, ist Teil von Sphere, einer russischen Wohltätigkeitsstiftung, die das aktive LGBTQI*-Netzwerk in Russland trägt. Er engagiert sich insbesondere dabei, in Tschetschenien bedrohte Queers aus dem Land zu bringen. Mittlerweile jedoch, seien 90 Prozent aller queeren Organisationen im Land als «ausländische Agenten» eingestuft und würden von den Behörden verfolgt. «Diese Gruppen werden in der Regel von ausländischen Geldgeber*innen finanziert», sagt Isteev. «Auch deshalb betrachtet die russische Regierung das Engagement von Menschenrechtsorganisationen als westliche Einmischung in die Innenpolitik.»  

Aus Sicherheitsgründen wurden deshalb die organisatorischen Teile aus dem Land verlegt. Zudem gibt es keine Offline-Veranstaltungen mehr – alles findet online statt. Auch psychologische Hilfe und Rechtsbeistand für die Community. Gerade letzteres passiert nun oft aus Ländern der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten wie Armenien, Georgien oder Kirgisistan. 

Diese Unterstützung zu finanzieren ist allerdings nicht einfach. Wegen den westlichen Sanktionen gegen Russland ist es schwierig geworden, Geld ins Land zu schicken. Geld, das die LGBTQI*-Organisationen dringend benötigen. 

Hoffen auf Putins Sturz 

Die russischen Aktivist*innen leben nach dem Prinzip, den kommenden Tag zu überstehen und trotzdem irgendwie weiter zu machen. Aber selbst Aktivist*innen, die es geschafft haben, Russland zu verlassen, haben es nicht leicht: Im Ausland können sie keine Wohnung mieten, da ihre russische Bankkarte gesperrt wurde. «Wir versichern uns gegenseitig, dass Putin nicht ewig ist. Denn nur der Sturz des seines Regimes wird die Situation verbessern», sagt Isteev. «Natürlich wissen wir nicht, wer nach Putin kommen wird, wie Russland aussehen wird. Aber jetzt geht es erstmal darum, den Krieg in der Ukraine zu beenden. Dann werden wir dieses Leben von Grund auf neu aufbauen». 

(cm)