In den USA ergiesst sich seit einigen Monaten eine Flut an LGBTQI*-feindlichen Gesetzen in einzelnen Bundesstaaten. Wir erklären die Hintergründe.

Die politische Landschaft der USA ist seit Jahren ein Schauplatz gesellschaftlicher Risse, populistischer Grabenkämpfe und ideologischer Grundsatzdebatten. Die Jahre vor der Pandemie waren noch vor allem von Xenophobie, Migrant*innenfeindlichkeit und Rassismus geprägt – und es gelingt der republikanischen Partei auch weiterhin, die Biden-Regierung vor sich herzutreiben und sie zu drängen, jüngst wieder verschärfte Asylgesetze zu erlassen.

Aufgrund dieses unbehaglichen Schulterschlusses der beiden Parteien hat sich die gesellschaftliche Debatte um Migration inzwischen etwas beruhigt. Da die Republikaner*innen unter dem Einfluss von Ex-Präsident Donald Trump jedoch immer populistischer und extremer geworden sind, braucht es neuen Zündstoff für die Wähler*innenbasis. So stehen nun seit vergangenem Jahr wieder vermehrt Mitglieder der LGBTQI*-Community im Fadenkreuz der Partei – allen voran trans Menschen und Drag- In Performer*innen.

Erschreckendes Beispiel in Florida

Auf nationaler Ebene sind diese Kämpfe – trotz eines republikanisch dominierten Obersten Gerichts – schwer zu führen, deshalb konzentrieren sich die Versuche, Queerfeindlichkeit in Gesetze zu giessen, vor allem auf die republikanisch regierten Bundesstaaten. Laut der Webseite translegislationbills.com, die von unabhängigen amerikanischen Forschungsinstituten betrieben wird, sind zur Zeit landesweit 566 Gesetzesentwürfe gegen trans Menschen pendent. 80 davon wurden bereits in Kraft gesetzt, 128 sind gescheitert. 

Ein erschreckendes, medienwirksames Beispiel für diskriminierende Gesetzgebung ist das sogenannte «Don’t Say Gay»-Gesetz der DeSantis-Regierung in Florida. Es verbietet die Aufklärung über nicht-heterosexuelles Begehren und nicht-cisgeschlechtliche Identitäten in Schulen – das geht soweit, dass Lehrpersonen rechtlich verfolgt und Bücher aus Schulbibliotheken entfernt werden können. Viele andere Bundesstaaten, darunter auch das demokratisch regierte Michigan, verhandeln momentan ähnliche Gesetze.

Ein schwules Paar aus Florida überlegt sich, den Bundesstaat zu verlassen, weil die antiqueeren Gesetze ihnen das Leben immer schwerer machen.

Sie alle werden von republikanischen Politiker*innen angeblich zum Schutz der Kinder eingebracht und bedienen sich dazu auch Methoden der Zensur. Das ist nicht ohne Ironie: Im Juni 2023 hatte das Oberste Gericht mit den Stimmen der dominierenden Konservativen faktisch die Diskriminierung von LGBTQI*-Personen in bestimmten Fällen erlaubt. Und zwar unter Berufung auf den ersten Verfassungszusatz, der allen Amerikaner*innen das Recht auf «freie Rede» und somit ein Leben ohne Zensur zugesteht. Sie sollen «so denken und sprechen können, wie sie wollen, und nicht, wie es die Regierung verlangt». Und nun verlangt also die Regierung von Lehrpersonen und Bibliotheken, nicht über queeres Leben zu sprechen.

Behandlung für trans Jugendliche verboten

Darüber hinaus erlebten vor allem junge trans Personen und transgeschlechtliche Kinder Rückschläge, wenn es etwa um den Zugang zu teils lebensrettenden Medikamenten und geschlechtsangleichenden Behandlungen geht. Lebensrettend deshalb, weil Hormontherapien und Pubertätsblocker erwiesenermassen Depressions-, Selbstverletzungs- und Suizidraten unter den betroffenen Jugendlichen senken. In Florida können Ärzt*innen queeren Menschen mittlerweile sogar die Behandlung verweigern.

Arkansas preschte mit einem besonders extremen Gesetz voran, das sämtliche affirmative Medizin für trans Jugendliche verbieten und sie faktisch zwingen sollte, die Pubertät gemäss ihrem zugewiesenen Geschlecht zu durchlaufen. Selbst dem republikanischen Gouverneur von Arkansas war der Entwurf «zu extrem» – er legte sein Veto ein, wurde jedoch überstimmt. Erst ein Gerichtsbeschluss konnte das Gesetz letztlich verhindern. Zu diesem Zeitpunkt jedoch hatten die diskriminierenden Gesetze bereits Schule gemacht: In Georgia und Tennessee sind sie inzwischen in Kraft, in Florida, Indiana und Alabama wurden die Beschlüsse vorübergehend ausgesetzt – mit ungewissem Ausgang. Hinzu kommen teils Ergänzungen, die trans Kindern das Sporttreiben oder die Benutzung von Toiletten verbieten, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechen.

Proteste in San Francisco gegen die dragfeindlichen Gesetze in den USA (Bild: Shutterstock)

Eher überraschend ist auch ein weiteres Ziel für Attacken von rechts: Drag. In diversen Kulturen und über Epochen hinweg traten Menschen als hyperfeminine oder hypermaskuline Personas vor Publikum auf. Oft wird Drag heute auf Crossdressing reduziert, also das «Verkleiden» von Männern als Frauen und Frauen als Männern. Dabei geht die Kunstform weit über die binäre Geschlechtsordnung hinaus – gerade indem sie sie mit Schminke überzeichnet, mit Kleidung ästhetisiert und sie oft performativ ad absurdum führt. Eine Dragpersona kann im Gegensatz zum Geschlecht des*der Performer*in stehen, muss es aber nicht: Es gibt sowohl Frauen als auch Männer und nonbinäre oder trans Personen, die als Dragqueens, Dragkings oder Dragquings auftreten.

Alte Mär erfolgreich instrumentalisiert

Ihre Auftritte finden traditionellerweise im Rahmen des queeren Nachtlebens statt, oft als Showeinlagen in Clubs oder Bars. Die erfolgreiche Reality-TV-Show «RuPaul’s Drag Race» hat Drag in den vergangenen Jahren weltweit bekannt und beliebt gemacht. Dragqueens sind in der Werbung zu sehen, leiten Modelabels, touren mit aufwendigen Bühnenshows, verkaufen Makeup-Paletten, lip-synchen bei sonntäglichen Brunches und lesen Kindern bei speziellen Veranstaltungen aus Büchern vor, welche die Vielfalt von sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten kinderfreundlich thematisieren.

Und hier hakt nun die rechte Empörungsmaschinerie der Republikaner ein: Kinder mit Dragperformer*innen, das geht zu weit! In Tennessee sollte ein Gesetz Dragshows stark regulieren – an vorderster Front kämpfte dafür ein Gouverneur, der in seinen Collegejahren selbst einmal im Cheerleader-Kostüm fotografiert wurde. Derzeit wird vor Gericht um eine abgeschwächtere Version gestritten.

Ähnlich den «Don’t Say Gay»-Gesetzen oder den russischen Gesetzen gegen die «Propaganda» von Homosexualität setzt hier ein uralter Reflex ein, der scheinbar einfach nicht totzukriegen ist: Die Angst, dass Kinder selbst queer werden, wenn sie mit diesem Thema auch nur in Berührung kommen. Dahinter wiederum steckt die Vorstellung, dass sexuelle Orientierung und Geschlechtsausdruck eine bewusste Entscheidung seien, die beeinflusst werden kann – beziehungsweise zur Konformität hin beeinflusst werden muss. Die Mär ist längst als Unsinn entlarvt, hält sich aber hartnäckig – oder wird zumindest sehr erfolgreich politisch instrumentalisiert.

Was ist das Ziel?

Auch in Zürich wurde eine Drag-Lesung im Tanzhaus von einer rechtsextremen Gruppierung attackiert. Die SVP in der Schweiz und die AfD in Deutschland verbreiten Schreckenserzählungen über diese vermeintliche «Beeinflussung» oder «Agenda» oder «Propaganda» durch Dragqueens. In den USA ist von «grooming» die Rede, ein Begriff, der Drag auf perfide Weise in die Nähe von Pädophilie rückt und die Vorstellung verbreitet, die Performer*innen würden sich gewissermassen gefügige junge queere Menschen «heranzüchten», um… ja wozu eigentlich? Um sie zu missbrauchen? Um ihre vermeintliche Agenda voranzutreiben, deren Ziel es laut der verschwörungsgläubigen republikanischen Abgeordneten Marjorie Taylor Greene ist, dass «in vier oder fünf Generationen niemand mehr heterosexuell sein» werde? Wirklich?

Proteste für queere Anliegen in Florida. (Bild: Shutterstock)

Was also ist das Ziel hinter all diesen diskriminierenden Gesetzen? Wer soll genau wovor geschützt werden? Geht es wirklich um die Kinder? Oder vielmehr um den Versuch, ein konservatives Weltbild zu erhalten, das eine Mehrheit der Bevölkerung mittlerweile nicht mehr zeitgemäss findet? Oder vielleicht auch nur um die Emotionalisierung und Mobilisierung der republikanischen Wählerbasis im Hinblick auf die nächsten Wahlen im Herbst 2024?

Viele rechte und rechtsextreme Politiker*innen in den USA (und weltweit) reden mittlerweile offen von einem «Kulturkampf». Sie stellen sich wahlweise gegen die «Dekadenz», die «Indoktrinierung», die «Verweichlichung» oder wollen eben einfach Kinder oder die traditionelle Familie «schützen». Oder den «American Way of Life». Und dieser Kulturkampf folgt ganz klassisch den manipulativen Sündenbock-Mechanismen, die sich historisch jede faschistische Bewegung zu Nutzen gemacht hat: Marginalisierte Gruppen innerhalb der Gesellschaft als Feindbilder definieren und durch Unterstellungen, Hetze und in letzter Instanz sogar diskriminierende Gesetze deren Existenz bekämpfen.

Letztlich ein Machtkampf

Es lenkt auch sehr effektiv ab von all den unsozialen republikanischen Gesetzesvorhaben, der Aushebelung des ohnehin schon verschwindend kleinen Sozialstaats der USA, dem Öl-Lobbyismus, einer landesweiten Opioidkrise, die eng mit einem korrupten Gesundheitssystem in Zusammenhang steht, einer immer weiter wachsenden sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheit sowie der allmählichen Abschaffung von Grundrechten wie dem Recht auf körperliche Selbstbestimmung und dem Zugang zu Abtreibungen.

Die Strategie der republikanischen Partei auf den Punkt gebracht.

Dass es diesmal unsere Community trifft, und dass sich der Kampf speziell gegen queere Kinder und Jugendliche richtet, schmerzt dabei besonders. Man kann nur hoffen, dass es sich lediglich um einen vorübergehenden Backlash handelt, der gewissermassen eine erwartbare Reaktion auf die immensen Fortschritte ist, welche die LGBTQI*-Bewegung in den letzten Jahrzehnten errungen hat.

Wir befinden uns gesellschaftlich auf Messers Schneide: Es macht Hoffnung, dass grosse Teile der Bevölkerung inzwischen akzeptieren, dass die binäre Geschlechtsordnung mindestens diskutabel ist. In der Schweiz identifizieren sich atemberaubende 13 Prozent der Bevölkerung selbst als genderfluid, nonbinär oder trans. Umso stärker ist auf konservativer und reaktionärer Seite die Angst vor der ungewissen Zukunft, die uns erwartet, wenn wir das strenge, biologistisch-patriarchal-heteronormative Mann-Frau-Schema hinter uns lassen. Immerhin sind damit immense Privilegien, Machtansprüche und Ausbeutungsverhältnisse verbunden. Es handelt sich also im Kern nicht um einen Kulturkampf, sondern um einen Machtkampf. Und das sollte mindestens ein Weckruf an uns sein, weiter für unsere Rechte zu kämpfen.

Ein Sketch der legendären amerikanischen Show „Saturday Night Live“, der das „Don’t Say Gay“ Gesetz in Florida aufs Korn nimmt.