Die deutsche Sprache drehte sich lange genug nur um männliche Formen. Zeit, der geschlechtergerechten Sprache eine Chance zu geben.

«Denkt jetzt bitte kurz an drei Schauspieler», fordere ich die zwei Dutzend Menschen auf, die vor mir in ihren Stühlen sitzen. Sie kneifen konzentriert die Augen zusammen, nicken dann aber meist nach wenigen Sekunden. Es sind Teilnehmende des Workshops zu geschlechtergerechter Sprache. Als ich freundlich frage, wer von ihnen bei den Schauspielern an drei Männer gedacht hat, hebt mehr als die Hälfte die Hand. Einige dachten an Männer wie auch Frauen, aber niemand dachte an drei Frauen. «Hätte ich Schauspielerinnen und Schauspieler gesagt, hätte das Resultat anders ausgesehen», sage ich – da schnellt auch schon die erste Hand hoch: «Das ist nicht fair, es gibt mehr berühmte Schauspieler als Schauspielerinnen!»

Gendergerechte Sprache ist ein Thema, über das oft (wenngleich nicht immer gerne) diskutiert wird. Völlig unnötig, finden nicht nur Konservative, sondern auch Feministinnen und Feministen. Eine unbedingte Pflicht, finden hingegen andere – zum Beispiel ich, wenn ich an Workshops zum Thema geschlechtergerechte Sprache immer und immer wieder den Grossteil des Raumes an drei Schauspieler und null Schauspielerinnen denken sehe.

SIND FRAUEN MITGEMEINT?

Eine komplett neue Idee ist die geschlechtergerechte Sprache nicht. Im deutschen Sprachraum entwickelte sich die Diskussion in den Siebzigern und Achtzigern. Damals begannen auch einige (vorwiegend linke) Medien wie die Schweizer WOZ, das so genannte Binnen-I zu verwenden: LeserInnen, ZuhörerInnen.

Warum aber kritisierte und kritisiert man überhaupt unsere Sprache? – Weil sie auf Männer fokussiert, lautet das Argument. Das Patriarchat lauere zwischen Buchstaben, mache Frauen unsichtbar und Männer noch sichtbarer. Über solche Sprachkritik lachen viele: Die Frauen sind doch einfach mitgemeint! Zahlreiche Studien bestätigen allerdings immer wieder, dass die Sprache sehr wohl mit Geschlechterdiskriminierung zu tun hat. Beispiele wie das oben erwähnte Schauspieler-Experiment funktionieren auch noch heute. Wenn die deutsche Sprache so belassen wird, wie sie ist, besteht sie quasi nur aus Männern: aus Arbeitern, Teilnehmern, Lesern. Wer diese Wörter liest oder hört, denkt dabei selten Frauen mit – geschweige denn weitere Gender. Deshalb braucht es die geschlechtergerechte Sprache.

Um in unserer Sprache mehr als ein Geschlecht einzubinden, gibt es zwei Wege. Wir können entweder weitere Geschlechter sichtbar machen («Teilnehmerinnen und Teilnehmer») oder unsere Ausdrücke neutralisieren («Teilnehmende»).

Im Geschriebenen gibt es ganz viele wunderbare Ideen, das «generische Maskulinum» – so heisst es, wenn immer nur die männliche Form verwendet wird – zu umgehen. Für viele Wörter gibt es die oben erwähnte Möglichkeit, die weibliche Form sichtbar zu machen oder einen neutraleren Begriff zu verwenden. Die Sprachwissenschaft hat zusätzliche Vorschläge erarbeitet, wie wir mehrere Geschlechter in unsere Wörter reinbringen: LeserInnen, Leser*innen, Leser_innen. Das Sternchen und der Unterstrich symbolisieren die Tatsache, dass es zwischen und ausserhalb von männlich und weiblich noch weitere Geschlechter gibt. So können wir nicht-binäre und agender-Menschen in unsere Sprache miteinbeziehen.

EXPERIMENTE BEIM SPRECHEN

Wenn wir reden, gibt es aber keine Sternchen und Unterstriche. Wieder haben wir die Möglichkeit, zusätzlich die weibliche Form oder neutralisierende Ausdrücke zu verwenden. Was bei Aufzählungen auch prima geht, ist Abwechslung: «An der Berufsmesse erzählten Ingenieurinnen, Polymechaniker, Krankenpflegerinnen und Gärtner von ihrem Job.» Natürlich gibt’s auch im Mündlichen Experimente für Mutige: Manche machen eine kurze Pause im Wort, dort, wo das Sternchen stehen würde: «Ingenieur-innen». Andere verwenden einfach das generische Femininum, also einfach durchgehend die weibliche Form. Denn in «Ingenieur» ist die «Ingenieurin» nicht drin, aber in der «Ingenieurin» steckt der «Ingenieur».

Letztlich ist es auch eine Frage des Geschmacks und des persönlichen Stils, welche dieser vielen Vorschläge man verwenden will. Wer den Gender-Gap hässlich, aber das Sternchen herzig findet, kann sich danach richten. Über das Argument «Das stört den Rede- und Lesefluss» kann und soll aber diskutiert werden: Ist es nicht wünschenswert, die Mitmenschen etwas wachzurütteln? Wenn ein Mann sich ausgeschlossen fühlt, wenn wir «Ingenieurinnen» sagen, überlegt er sich vielleicht auch, ob es für die Frauen umgekehrt nicht genauso ist. Und wenn wir bedenken, dass Wörter wie «Selfie», «Blog» oder «googeln» vor nicht allzu vielen Jahren noch total absurd klangen, merken wir, dass Sprache lebendig ist und wir uns an neue Wörter gewöhnen können – und müssen.

Nicht zuletzt gibt es auch viele geschlechtergerechte Ausdrücke, die gar nicht so sehr irritieren. Oder hat es dich gestört, dass ich am Anfang des Artikels «Teilnehmende» und «Feministinnen und Feministen» geschrieben habe, statt wie üblich nur die männliche Form zu verwenden?

GESCHLECHTERGERECHTE SPRACHE? 

Die geschlechtergerechte Sprache ist nicht nur ein feministisches Anliegen, sondern betrifft auch Menschen aus dem LGBTI-Spektrum. Einerseits, weil wir mit dem, was wir schreiben und sagen, zeigen können, dass es nicht nur Männer und Frauen gibt. Andererseits, weil unsere Sprache auch demonstrieren kann, dass wir nicht nur von einer heteronormativen Welt ausgehen. «Hast du eine Freundin?» bei Männern und «Hast du einen Freund?» bei Frauen zu fragen, schliesst alle aus, die nicht hetero sind, aus. «Bist du in einer Beziehung?» lautet eine der möglichen Alternativen. Und wer nicht nur private Texte schreibt, sondern auch mal eine Umfrage oder ein Formular texten muss, kann den beiden anzukreuzenden Kästchen «Mann» und «Frau» auch noch «andere» hinzufügen.

Keiner dieser Liste an Vorschlägen ist vollständig, und keine Option wird von allen gleichermassen akzeptiert. Reisst man das Thema der geschlechtergerechten Sprache in einer Gruppe von Mitmenschen an, lässt man sich meist auf Diskussionen ein. Genau das soll geschlechtergerechte Sprache aber auch auslösen: Gespräche darüber, wo sich die Gender und Identitäten in unserer Sprache verstecken – und wie wir sie alle willkommen heissen können.

Dieser Artikel erschien in unserem Magazin Nr. 5. Illustrationen von Kasia Jackowska.