Amnesty International begrüsst die Zusammenarbeit und den Schutz, den die ukrainische Polizei und die Stadtverwaltung Kiews während einem erfolgreichen Pride-Marsch sichergestellt hat. Dieser hat am 12. Juni in Kiew, der Hauptstadt der Ukraine, stattgefunden. Anders als in den vergangenen Jahren hat die Ukraine ihre internationale Verpflichtung wahrgenommen, die Rechte auf Meinungsäusserungsfreiheit und friedliche Versammlungsfreiheit für LGBTI-Menschen zu sichern. Dies war ein wichtiger Schritt, um Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität zu bekämpfen und setzt ein positives Signal in einer Region, in der Pride-Veranstaltungen häufig durch gewalttätige Mobs angegriffen werden.

 Bis zu 2’000 Menschen haben sich am 12. Juni in Kiew versammelt, um gemeinsam für die Gleichberechtigung von LGBTIs zu marschieren. Sie liessen sich nicht einschüchtern, weder von der Bedrohung durch rechtsgerichtete Gruppen, die im Vorfeld versprochen hatten, die Pride in einen „blutigen Brei“ zu verwandeln, noch durch die Versuche von Gegendemonstrant_innen, den Marsch zu stören. Fast 7’000 Polizeikräfte und andere Gesetzeshüter_innen waren vor Ort und in der Nähe, um die Kundgebung zu beschützen. Die Polizei hat umfassende Sicherheitsmassnahmen getroffen, um den Marsch zu schützen. Darunter die Sperrung mehrerer angrenzender Strassen und die Schliessung einer U-Bahn-Station, um mögliche Anschläge zu verhindern.

Die Polizei hat 57 in Gewahrsam genommen, die geplant hatten, die Teilnehmer_innen bei der Besammlung oder während dem Marsch anzugreifen. Ein_e Pride-Teilnehmer_in hat leichte Verletzungen erlitten und musste ins Spital gebracht werden, nachdem er beim Verlassen der Pride von mehreren Unbekannten angegriffen worden war. Eine Untersuchung zur Identifikation der Täter_innen wurde eröffnet.

Diplomat_innen und Vertreter_innen von internationalen Organisationen haben an der Pride teilgenommen. Auch sieben Abgeordnete des ukrainischen Parlaments begleiteten den Marsch, um ihre Solidarität mit der ukrainischen LGBTI-Community auszudrücken. Verhandlungen zwischen den Organisatoren der Pride und der Polizei sowie der Stadtverwaltung Kiews wurden bereits vor Wochen aufgenommen. Diese Verhandlungen beinhalteten mehrere Treffen, um die Route sowie die nötigen Sicherheitsmassnahmen zu besprechen und zu koordinieren.

2012 und 2014 wurden die Pride-Märsche in Kiew im letztem Moment abgesagt, nachdem die Polizei dem Organisationskomitee mitgeteilt hatte, dass sie die Sicherheit der Teilnehmer_innen nicht werde sicherstellen können, da rechtsgerichtete Gruppen Gewaltandrohungen ausgesprochen hatten. 2015 hat die Polizei dem Sicherheitskonzept der Organisatoren nicht zugestimmt und erst kurz vor der Kundgebung eingewilligt, für Sicherheit zu sorgen. Daher musste der Pride-Marsch abgekürzt werden, nachdem rund zehn Teilnehmer_innen durch rechtsgerichtete Gruppen verletzt wurden, welche den Umzug angegriffen hatten. Mindestens fünf Polizeikräfte wurden ebenfalls verletzt, einer davon schwer.

Hintergrundinformationen

In der Vergangenheit haben die ukrainischen Behörden versagt, LGBTI-Menschen zu schützen und ihr Recht auf Versammlungsfreiheit zu gewährleisten. 2012, als ein Pride-Marsch für den 20. Mai geplant war, wurde dieser von den Organisatoren abgesagt, weil sie Gewaltandrohungen von mehreren Individuen und Gruppierungen erhalten hatten, und weil die Kiewer Polizei versagt hat, die Sicherheit der Demonstrant_innen zu schützen – sie wies lediglich darauf hin, dass „Menschen verletzt werden würden“.

Ein weiterer Pride-Marsch, der für den 5. Juli 2014 geplant war, wurde ebenfalls abgesagt, nachdem die Polizei dem Organisationskomitee der Pride in einer kurzen Notiz mitgeteilt hatte, dass sie die Sicherheit der Teilnehmer_innen angesichts der erwarteten Gegendemonstrationen nicht gewährleisten könnten.

Die erste LGBTI-Pride in der Ukraine wurde 2013 abgehalten – mit 100 Teilnehmer_innen sowie 500 Gegendemonstrant_innen. Der Marsch wurde in den Aussenbezirken der Stadt durchgeführt, nachdem ein Gerichtsurteil den Marsch aus dem Stadtzentrum verbannt hatte. Das Datum des Marsches kollidierte mit den Kiew-Tag-Festivitäten. Die lokalen Gemeindebehörden verlangten ein Gerichtsurteil, um alle Demonstrationen, die nicht mit den offiziellen Feierlichkeiten in Zusammenhang standen, vollständig zu verbieten, was ihnen aber verweigert wurde.

Während der Kiew Pride 2015 fehlte es an Koordination zwischen den Organisatoren und den Vollzugsbehörden und es wurde kein Evakuierungsplan vorgelegt. Trotz der Präsenz von mindestens 1’500 Polizei- und Sicherheitskräften war es darum möglich, dass rund 10 Teilnehmer_innen durch die Angriffe homophober Gegendemonstrant_innen verletzt wurden. Mindestens fünf Polizeiangehörige wurden ebenfalls verwundet, einer davon schwer. Die Polizei hatte mindestens 28 Gegendemonstrant_innen verhaftet, von denen aber nur vier für Hooliganismus vor Gericht gestellt wurden. Alle vier wurden zu bedingten zweijährigen Gefängnisstrafen verurteilt.

Im Mai 2014 hat die Ukraine zum ersten Mal ein Anti-Diskriminierungs-Gesetz angenommen. Trotz Bestrebungen, die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität explizit einzuschliessen, nennt der definitive Gesetzestext diese Begriffe nicht im Diskriminierungsverbot. Im November 2015 haben die ukrainischen Abgeordneten eine Anpassung des Arbeitsrechts beschlossen, welche die Diskriminierung aufgrund von Rasse, Behinderung und vieler weiterer Merkmale verbietet – darunter die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität. Gegen diese Gesetzesänderung hatten sich die ukrainischen Abgeordneten in den letzten Jahren noch stets gewehrt erfolgreich gehabt. (ai)

Übersetzung: Tobias Kuhnert