Tunesien: Menschenrechtsminister Samir Dilou untergräbt Menschrechte für LGBTI – Amnesty ist beunruhigt

aktuell 12.04.2012, Amnesty: Tunisia’s constitution must stand test of time (Engl.).
dazu: Submission to the National Constituent Assembly (MDE 30/004/2012, PDF, 38 S., 350 kB,
beachte S. 10-11: „Non-Discrimination“).
aktuell 04.04.2012, DieStandard: Kein Regenbogen über Tunesien.

Samir Dilou ist tunesicher Minister für Menschenrechte und „Übergangs-Gerechtigkeit“. Seine Bemerkungen über die Grenzen der Menschenrechte vom 4. Febraur im Staatsfernsehen sind umso erschreckender, als gerade er für deren Einhaltung und Sicherstellung verantwortlich ist.

Amnesty Internatioal ist alarmiert über die Bemerkungen des tunesichen Menschenrechtsminister Samir Dilou, welcher ausdrücklich die Menschrechte für Lesben, Schwule und Bisexuelle „hinter der roten Line der Tradition“ einschränken will.

In einem Schreiben vom 23. Februar 2012 drückte Hassib Hadj Sahraoui, der stellvertretender Programmdirektor für Nahen Osten und Nordafrika von Amnesty International, seine grosse Besorgnis über diese Äusserungen aus.

„Diese Bemerkungen sind äusserst enttäuschend, ganz speziell, da sie von genau jener Person stammen, welche für die Sicherstellung der Menschenrechte für ALLE Tunesier verantwortlich zeichnet.“ (These comments are extremely disappointing, especially coming from the very person who should be ensuring that the human rights of all Tunisians are protected.)

Amnesty International: Tunisian official’s rhetoric undermines human rights (Englisch, PRE01/105/2012)

Mehr zum Hintergrund, etwa zum Verbot der Teilnahme von LGBT- am Freiheitsmarsch von 28. Januar und zu Drohungen und Zensuren des mehrsprachigen Magazins Gayday:

Aegypten: Druck auf PolitikerInnen um die Erwartungen vom 25.Januar zu erfüllen Zehn-Schritte-Manifest für Menschenrechte (Okt 2011)

Film/DVD: LE FIL – Die Spur unserer Sehnsucht von Mehdi Ben Attia (Tunesien 2010, 93 min)
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Medienmitteilung
auf Deutsch

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Die Rhetorik tunesischer Staatsbeamter unterminiert die Menschenrechte – Amnesty International, Pressemitteilung PRE01/105/2012.

Amnesty International schrieb dem tunesischen Minister für Menschenrechte, um seine Beunruhigung über Bemerkungen auszudrücken, die der Minister vor Kurzem in Bezug auf Homosexualität in einem Fernsehinterview machte.

In einem Brief vom 23. Februar forderte die Organisation Samir Dilou auf, den Minister für Menschenrechte und Übergangsjustiz, seine Bemerkungen vom 4. Februar zurückzuziehen, in denen er sagte, dass Homosexualität kein Menschenrecht sondern eine Perversion sei, die medizinisch behandelt gehöre.

In seinen Ausführungen zu Fragen bezüglich einer neuen Homosexuellen-Zeitschrift in Tunesien, sagte Samir Dilou auch, dass „die freie Meinungsäusserung Grenzen habe. Sie [schwule, lesbische und bisexuelle Menschen] müssen die Grenzen respektieren, die durch unsere Kultur, Religion und Erbe definiert sind“.

„Diese Bemerkungen sind extrem enttäuschend, v.a. da sie von eben der Person stammen, die sicherstellen sollte, dass die Menschenrechte aller Tunesier geschützt sind“, sagte Hassiba Hadj Sahraoui, stellvertretende Direktorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International.

„Das sind nicht nur Worte. Die stillschweigende Hinnahme von Diskriminierung auf Grundlage der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität ist ein Blanko-Scheck für die schwersten Menschenrechtsverletzungen.“

„Der Minister muss seine Äusserungen zurückziehen und sich für die Verteidigung der Menschenrechte von allen Tunesiern aussprechen.“

In seinem Brief zeigt Amnesty International auf, dass Homosexualität schon seit Jahren nicht mehr als Krankheit oder „Perversion“ von den internationalen medizinischen Organisationen und Vereinigungen angesehen wird.

Die Weltgesundheitsorganisation entfernte „Homosexualität“ offiziell 1990 von ihrer Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandten Gesundheitsprobleme, während das Diagnostische und Statistische Handbuch Psychischer Störungen Homosexualität 1973 entfernte.

Studien haben gezeigt, dass homophobe Kommentare von Führern und Regierungen einen Trickle-Down Effekt haben, und Menschen dazu ermutigen können, es für zulässig zu halten, lesbische, schwule, bisexuelle und Trans*- Menschen zu diskriminieren, einzuschüchtern und zum Angriffsziel zu machen.

Die Organisation sagte, dass dies seitens der neuen tunesischen politischen Elite die letzte einer Vielzahl von Bemerkungen in den vergangenen Monaten war, die Menschenrechte unterminierten.

Am 23. Januar hielt Sadok Chourou, ein Parlamentsabgeordneter von der Ennahda Partei – die die meisten Sitzen in der Nationalen Verfassungsgebenden Versammlung hat – im Parlament eine Rede, in der er die Gewaltanwendung gegen Protestierende rechtfertigte. Er argumentierte, dass der religiöse Text es erlaube, dass diejenigen, die „die Erde verderben“ getötet, gekreuzigt werden oder dass ihnen ihre Hände und Füsse abgeschnitten werden dürften.

Am 9. November des letzten Jahres sagte Suad Abderrahim, ebenfalls Parlamentsangehöriger von der Ennahda Partei, in einem Radiointerview, dass alleinerziehende Mütter nicht vom Staat unterstützt werden sollten, da ihr Verhalten nicht mit der tunesischen Kultur übereinstimme und nicht ermutigt werden solle.

Der Brief kommt zu einem Zeitpunkt, da die tunesischen Obrigkeiten mit zunehmendem Druck konfrontiert sind, in punkto Menschenrechten Führungsstärke zu zeigen.

Mitte Februar verursachte der Besuch von Wajdi Ghoneim, einem führenden ägyptischen Geistlichen, der bekannt ist für seine Unterstützung der weiblichen Genitalverstümmelung, eine breite Kontroverse und veranlasste das tunesische Ministerium für Frauen dazu, die Praktik öffentlich zu verurteilen.

„Wir begrüssen die Tatsache, dass ein Minister sich nachdrücklich gegen die Praktik der weiblichen Genitalverstümmelung ausgesprochen hat,“ sagte Hassiba Hadj Sahraoui. „Allerdings werden solche Äusserungen von anderen zunichte gemacht, die Menschenrechtsverletzungen stillschweigend dulden.“

„Indem sie eine solche Sprache und einen solchen Ton nutzen, um gefährdete und marginalisierte Gruppen und Protester zu beschreiben, unterminieren Mitglieder der tunesischen politischen Elite Menschenrechte und bereiten effektiv den Weg für Missbrauch vor.“

„Die tunesischen Obrigkeiten müssen wahre Führungsstärke beweisen anstatt lediglich ein Lippenbekenntnis für die Menschenrechte abzugeben.“

Quelle Amnesty International:
Tunisian official’s rhetoric undermines human rights (Englisch, PRE01/105/2012)
Die Rhetorik tunesischer Staatsbeamter unterminiert die Menschenrechte (Deutsch)