Türkei: Nach Klage gegen Misshandlung durch Polizei wegen Beamtenbeleidigung vor Gericht
Drei LGBT-AktivistInnen von Pembe Hayat (Pink Life) in Ankara zu Gefängnis verurteilt
update – jetzt auf Deutsch: Weder Krankheit noch Verbrechen (PDF, 55 S ohne Deckblatt, 660 kB)
Protest gegen Misshandlung d. Polizei ( Pembe Hayat – Pink Life)
Am 17. Mai und am 19. Juni 2010 wurden Transgender bei „Fahrzeugkontrollen“ von der Polizei in Ankara misshandelt. Die Opferer erstatten Anzeige. Doch bis heute kam es zu keiner Veruteilung der Polizisten. Es folgten jedoch Gegenklagen der Polizei.
Nun verurteilte am 26. Oktober 2011 das 15. Strafgericht in Ankara drei der Opfer – allesamt AktivistInnen der LGBT-Gruppe Pembe Hayat. Amnesty International ist äusserst besorgt über den Umgang der Türkischen Justiz mit verletzlichen Opfern von Polizeigewalt.
Verurteilt wurden:
- Selay Tunç, zu 6 Monate Gefängnis bedingt auf 5 Jahre, wegen „Wiederstand gegen die Polizei“.
- Naz Güdümen, zu 1 Jahr Gefängnis bedingt auf 5 Jahre, wegen „Beleidigung der Polizei“ und zusätzlich 6 Monate wegen „Wiederstand gegen die Polizei“.
- Buse Kılıçkaya (Mitgründerin von Pembe Hayat), zu 5 Monate Gefängnis unbedingt, wegen „Wiederstand gegen die Polizei“ und „Beschädigung öffentlichen Eigentums“.
Medienmitteilung 10.11.2011: Activists alleging police ill-treatment convicted for ‘insulting police’ (PDF, Englisch, 2 S, 50 kB, EUR 44/014/2011)
LGBT: weder eine Krankheit noch ein Verbrechen (Jun 2011).
Vorfall vom Mai 2010: Polizeigewalt gegen Transgender Aktivisten in Ankara (Mai 2010).
Hinweis: We need a law – Conference on Combatting Transphobic Hatred, Ankara, 18.Nov. 2011, sowie: Flyer und Türkisch.
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Medienmitteilung
(Deutsch / Englisch)
< ! -----------------------------------------------------------------------------------> AMNESTY INTERNATIONAL, Medienmitteilung, 10. November 2011, Index: EUR 44/014/2011
Türkei: AktivistInnen nach Klage gegen Misshandlung durch Polizei wegen Beamtenbeleidigung verurteilt
Amnesty International drückte gegenüber den türkischen Behörden tiefe Besorgnis über die jüngsten Verurteilungen von Transgenderaktivisten aus. Die Mitglieder der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender Solidaritätsorganisation Pembe Hayat (Pink Life) wurden in Anschluss an deren Festnahme im Juni 2010 gerichtlich verfolgt wegen „Widerstand gegen die Polizeigewalt“, „Beleidigung eines Polizisten“ und Zerstörung öffentlichen Eigentums“. Die Verurteilungen stehen im Zusammenhang mit fortlaufenden Behinderungen von transgender Frauen und gezieltem Vorgehen gegen LGBT-Aktivisten durch die Polizei der türkischen Hauptstadt. Amnesty International ist auch besorgt über Muster solcher Prozesse gegen Personen die Misshandlungsvorwürfe gegen Polizeiangehörige erheben. Im jüngsten Fall verurteilte am 26. Oktober 2011 das 15. Strafgericht in Ankara drei der Opfer – allesamt AktivistInnen der LGBT-Gruppe Pembe Hayat.
Verurteilt wurden:
- Selay Tunç, zu 6 Monate Gefängnis bedingt auf 5 Jahre, wegen „Wiederstand gegen die Polizei“.
- Naz Güdümen, zu 1 Jahr Gefängnis bedingt auf 5 Jahre, wegen „Beleidigung der Polizei“ und zusätzlich 6 Monate wegen „Wiederstand gegen die Polizei“.
- Buse Kılıçkaya (Mitgründerin von Pembe Hayat), zu 5 Monate Gefängnis unbedingt**, wegen „Wiederstand gegen die Polizei“ und „Beschädigung öffentlichen Eigentums“.
(** Widerruf einer früheren, bedingten Strafe.)
Gegen die Urteile ist beim Obergericht Berufung eingereicht worden. Die Verurteilung geht auf einen Vorfall vom 19. Juni 2010 zurück. Damals nahm die Polizei die AktivistInnen fest, als diese in einem Auto in Ankara unterwegs waren. Sie wurden zuerst aufgefordert anzuhalten, und dann nach Aussagen der AktivistInnen aus dem Auto gezerrt und von den Polizeibeamten weiter misshandelt und schliesslich willkürlich weggesperrt. Diesem Vorfall ging nur wenige Wochen ein ähnlicher voraus. Auch am 17. Mai 2010 wurde Transaktivisten in einem Auto angehalten, auf das Kommissariat mitgenommen und misshandelt.
In beiden Fälle deponierten die Betroffenen Klagen gegen die Polizeibeamten. In keinem Fall wurde gegen die Beamten ein Verfahren eingeleitet. Hingegen folgten Gegenklagen gegen die Opfer der Polizei in beiden Fällen. Im Fall vom Mai wurden die Klagen gegen die AktivistInnen vom vorsitzenden Richter fallengelassen, da es keine Evidenz für ein Vergehen gebe.
Im kürzlich erschienen, umfassenden Bericht „ weder eine Krankheit noch ein Verbrechen“ (‘Not an illness nor a crime’ – lesbian, gay, bisexual and transgender people in Turkey demand equality, AI Index 44/001/2011) dokumentiert Amnesty International zahlreiche Fälle, in denen Transgender von der Polizei gezielt ‚bestraft‘ werden, dies einzig aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität. Amnesty International dokumentiert weiter Fälle, wo Betroffene, die sich gegen diese Missbräuche wehren, mit polizeilicher Gewalt konfrontiert wurden.
Häufig werden Strafen für einfache Übertretungen und aus dem Strassenverkehrsgesetz als Vorwand benutzt, um transgender Frauen zu schikanieren und zu drangsalieren. In Bezug auf diese Praktiken ruft Amnesty International die türkischen Behörden dazu auf, die Anwendung dieser Strafen auszusetzen, bis Massnahmen umgesetzt sind, welche den diskriminatorischen Gebrauch gegen transgender Personen verhindert. Ebenso sollen auf Gegenklagen verzichtet werden, wenn diese dazu dienen, legitime Klagen gegen Gesetzeshüter abzuwenden.
In Bezug auf die Verurteilung der AktivistInnen von Pembe Hayat ruft Amnesty International die Behörden dazu auf, den zugrunde liegenden Vorfall nochmals neu und unparteiisch zu untersuchen und dabei auch den Klagen gegen die Misshandlung durch die Polizeibeamte nachzugehen und diese vor Gericht zu bringen.