Replik von Regula Ott (Vorstandsmitglied Amnesty Schweiz) zum Artikel «Wenn Political Correctness zu weit geht»im Queramnesty-Magazin Nr. 20

Trans Schauspieler_innen sollen wenn immer möglich trans Menschen in Filmen spielen. Damit stelle ich mich gegen die Haltung im Kommentar der September-Ausgabe. Ralf Kaminski schrieb dort, dass Schauspieler_innen alle Rollen spielen können sollten, egal ob LGBTI* oder nicht. Er bedauerte, dass in letzter Zeit gleich zwei weibliche cis Stars kritischen LGBTI*-Stimmen nachgaben und Rollen als trans Männer schliesslich ablehnten. Denn Stars würden zu volleren Kinosälen führen und somit das wichtige Thema effektiver weiterverbreiten.

Ich bin damit einverstanden, dass Schauspieler_ innen vielseitige Rollen spielen können sollten und Stars mehr Publikum anlocken. Doch in dieser Diskussion geht es um etwas anderes, nämlich dass es gute Gründe gibt, warum bestimmte Rollen nicht von allen gespielt werden sollten.

Denn trans Schauspieler_innen erleben leider auch in der Filmwelt Diskriminierung. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie eine Rolle erhalten, ist sehr viel kleiner als bei einer cis Person. In der Schweiz zum Beispiel liegt die Arbeitslosigkeit von trans Personen bei 20%, also etwa fünfmal höher als in der Gesamtbevölkerung. Daher sollten in Filmen mit trans Personen unbedingt trans Schauspieler_innen diese Rollen spielen.

Ich sehe dabei eine Analogie zu früher, wo nur wenige Frauen auf der Bühne standen, da ihnen der Zugang zur Schauspielerei erschwert bis unmöglich war. Damals übernahmen oft Männer weibliche Rollen. Schauspielerisch hätte auch dort gesagt werden können, dass Männer das tun können. Doch hätte ich mich auch damals dafür eingesetzt, dass Frauen wann immer möglich von Frauen gespielt werden, damit mehr Frauen auf der Bühne stehen. Und genau das fordere ich auch heute für trans Menschen.

Ein weiterer Aspekt ist die Erfahrung. Damals gab es in der Gesellschaft einige Vorurteile gegenüber Frauen. Somit bestand das Risiko,dass die schauspielernden Männer selber von so einem stereotypen und sicher nicht vielschichtigem Bild der Frau ausgegangen sind. Diese Gefahr einer überheblichen und stereotypen Annahme, schon zu wissen wie «die anderen» ticken, besteht meiner Meinung nach auch bei cis Personen, die trans Personen in Filmen spielen.

Oft werden cis Frauen für trans Männerrollen angefragt bzw. cis Männer für trans Frauen. Diese Art der verkehrten Rollenbesetzung bezüglich des Geschlechts stärkt das Vorurteil, dass trans Menschen eben eigentlich doch anders sind, als sie vorgeben. Dass es sich lediglich um eine Verkleidung handelt, die es zu durchschauen gilt. Das an sich ist schon ein gewaltvoller Akt gegenüber trans Menschen. Doch fördern solche Rollenbesetzungen diese falsche Vorstellung zusätzlich und tragen somit vermutlich auch zur Gewalt an trans Menschen bei (siehe auch Dokfilm «Disclosure» auf Netflix). 2019 wurden weltweit 331 Morde an trans Menschen registriert.

Früher hat es vermutlich cis Personen gebraucht, da es nicht genügend Menschen in der Filmbranche gab, die out waren und eine trans Person spielen konnten. Heute gibt es offen lebende trans Menschen – weil sie sich Raum und Akzeptanz erkämpft haben. Und genau deshalb braucht es heute das Zurücktreten von cis Schauspieler_innen, da sie auch heute noch zuerst angefragt werden – auch für trans Rollen.

Deshalb freut mich die Entschuldigung der Schauspielerin Halle Berry auf Twitter (Original in Englisch): «Als cisgender Frau verstehe ich jetzt, dass ich die Rolle als transgender Mann nicht hätte in Betracht ziehen sollen und dass die transgender Gemeinschaft unbestreitbar die Möglichkeit haben soll, ihre eigene Geschichte zu erzählen.» Weiter schreibt sie: «Ich bin dankbar für die Beratung und die kritischen Gespräche der letzten Tage, und ich will weiterhin zuhören, mich weiterbilden und aus meinen Fehlern lernen. Ich gelobe, eine Verbündete zu sein, indem ich meine Stimme dafür nutze, um eine bessere Bildschirmrepräsentation zu fördern und dies vor wie auch hinter der Kamera.»

Solche Verbündete braucht die Welt. Halle Berry wird als schwarze Frau ohne körperliche Behinderung gelesen und beschreibt sich als cis Frau. Daraus kann gefolgert werden, zu welchen Kategorien sie im Alltag Diskriminierung erlebt und wo nicht. Und genau dieses «wo nicht» können wir an unserer eigenen Person durchdenken.

Es zeigt auf, wo wir privilegiert sind. Privilegien schränken aber den Blick ein, um Diskriminierungen um uns herum erkennen zu können. Ich sehe es als Pflicht von uns allen an, dafür den Blick zu schulen, doch immer mit dem Bewusstsein, dass wir es nie vollständig wissen werden.

In einer idealen Welt hätten wir alle die gleichen Rechte und genügend Demut, um zu wissen, wo das eigene Wissen aufhört. Doch unsere Welt ist leider keine solche Welt. Deshalb engagiere ich mich bei Queeramnesty und deshalb fordere ich, gleiche Rechte, Sichtbarkeit und Teilhabe für alle – auch für trans Menschen.

» Wenn Political Correctness zu weit geht