Rosmit Mantilla – politischer Häftling in Venezuela: Der Leidensweg seiner Familie nach Jahren des Wartens auf die Gerichtsverhandlung

Bild2RosmitRosmit Mantilla Flores wartete auf die Arepa (traditioneller venezolanischer Maiskuchen), die ihm seine Grossmutter jeden Tag zum Frühstück zubereitete, als sein Grossvater rund 20 schwer bewaffneten Offizier_innen des Nationalen Bolivarischen Geheimdienstes (SEBIN) mit einem Durchsuchungsbefehl in der Hand, die Tür öffnete. Das war am 2. Mai 2014 um ungefähr 5:30 Uhr morgens.

Der Grund der Durchsuchung war eine Beschuldigung von eine_r_m anonymen „kooperierenden Patriot_in_en“, der_die angegeben hatte, Rosmit habe Geld von einer Gruppe Geschäftsmännern erhalten, um regierungsfeindliche Proteste zu finanzieren, die zwischen Februar und Juni dieses Jahres stattfanden. Rosmit, zu dieser Zeit Student in Sozialer Kommunikation, lebte mit seinem Grossvater Abraham, seiner Grossmutter Luisa und seinem Pudelwelpen Nicoll in einer Wohnung in Caricuao, einem Arbeiter_innenklassequartier von Caracas.

Die Offizier_innen betraten sein Zimmer und behaupteten, Umschläge mit Geld gefunden zu haben. Sein Grossvater sagt, Rosmit habe den Fehler begangen, ausserhalb seines Zimmers gewesen zu sein, als die Offizier_innen die Durchsuchung durchführten, was ihnen ermöglichte, das Geld dort zu deponieren, um diesen Beweis zu fälschen. Rosmits Grossmutter erinnert sich: «Bevor sie die Umschläge überhaupt öffneten, sagten sie, sie enthielten Geld.» Die Umschläge wurden dann mit den Namen «Santa Fe» und «Altamira» gekennzeichnet – die zwei Quartiere in der Hauptstadt, in denen Protestierende häufig Barrikaden, bekannt als «Guarimbas», errichteten.

Die SEBIN-Funktionär_innen behaupteten nachträglich, dass sie während der Durchsuchung von Rosmit Mantillas Zuhause Flugblätter gefunden hätten, die Leute zur Teilnahme an den Protesten aufriefen. Rosmit und seine Familie bestritten dies hingegen. Nach der Durchsuchung nahmen die Offizier_innen Rosmit sofort in Gewahrsam und bis heute wird er hinter Gittern festgehalten, während er noch immer auf den Beginn des Prozesses wartet. Nach 15 Tagen in Haft wurde es Abraham endlich erlaubt, Rosmit zu besuchen – es wurden ihnen 10 Minuten Zeit zusammen gewährt. Zwar waren keine Zeichen physischer Misshandlung zu sehen, aber Abraham sagt, dass Rosmit psychisch misshandelt worden sei. Erschüttert und verwirrt durch die Ereignisse bracht Abraham vor eine_m_r der Offizier_innen in Tränen aus. Er sagte, dass der_die Offizier_in im gesagt habe, seine Tränen seien nutzlos und dass sein Enkel verloren sei, weil seien Haft politisch motiviert sei und es keine Hoffnung gebe, dass er freikomme.

Das Leben hat sich für die Familie Flores radikal geändert und dreht sich jetzt um die Besuche, die Rosmit alle zwei Wochen in Empfang nehmen darf und die über 20 Verhöre, bei welchen die Familie anwesend war und die jedes Mal, wenn sie auftauchten, verschoben wurden. Als Rosmits Grosseltern wollten, dass ein Psychologe ihn besucht, mussten sie behaupten, dass er sein Onkel sei, weil SEBIN nur Familienangehörigen den Besuch erlaubt.

Rosmits Aktivismus und seine Unterstützung für LGBTI-Rechte in Venezuela und sein Interesse für Politik führten ihn dazu, in der Oppositionspartei Voluntad Popular mitzuarbeiten. Rosmit stand offen und öffentlich für Gesetzesanpassungen ein, die eingetragene Partnerschaften für gleichgeschlechtliche Paare endgültig erlaubt hätten, für die Kriminalisierung von Hassverbrechen aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität oder des Geschlechtsausdrucks, sowie für das Recht, den Geschlechtseintrag anpassen zu lassen. In Venezuela besteht eine tief verwurzelte Diskriminierung gegenüber der LGBTI-Gemeinschaft und trotz der regelmässigen Berichte von Gewalt gegen LGBTI-Menschen werden die Täter_innen selten zur Rechenschaft gezogen.

Am 6. Dezember 2015 wurde Rosmit als Mitglied der venezolanischen Nationalversammlung gewählt. Er ist die erste offen homosexuelle Person, die in diese Position gewählt wurde. Jedoch wurde er daran gehindert, als Parlamentsmitglied vereidigt zu werden und blieb in Haft.

Aus ihrer bescheidenen Wohnung in Caricuao können Rosmits Grosseltern ihm nicht helfen, fühlen sich wehmütig und lassen die Tränen voller Sorgen ihre Gesichter herunterfliessen, weil sie ihren Enkel nicht nach Hause bringen können, und trotzdem bleiben sie stark. Sie haben keine andere Wahl, als stark zu bleiben: Sie müssen Rosmit alle Nahrung bringen, die er braucht, um zu überleben, zusammen mit Medikamenten, einfachsten Hygieneprodukten wie Seife, Zahnpasta und Toilettenpapier und sogar Trinkwasser – all dies stellt SEBIN nicht zur Verfügung. Rosmit bittet seine Grosseltern auch häufig, sich um andere Gefangene, die mit ihm inhaftiert sind und keine Verwandten in Caracas haben, zu kümmern.

Die Staatsanwaltschaft hat Rosmit der Volksverhetzung und der Einschüchterung der Öffentlichkeit angeklagt sowie der Blockierung einer Autobahn, der Brandstiftung an öffentlichen und privaten Gebäuden, des Vandalismus und der kriminellen Vereinigung – Verbrechen, für welche die Staatsanwaltschaft eine Gefängnisstrafe von 35 Jahren fordert. Deshalb haben Rosmits Grosseltern Angst, dass wenn ihr Enkel ungerechter Weise verurteilt wird, sie nicht lange genug leben werden, um ihn nochmals in Freiheit zu sehen.

Amnesty International glaubt, dass die Staatsanwaltschaft keine Beweise vorgelegt hat, die Rosmit Mantilla mit den Verbrechen, für die er angeklagt wird, in Verbindung bringen und dass seine lange Inhaftierung politisch motiviert ist. Die venezolanischen Behörden zeigen häufig Intoleranz gegenüber denjenigen, die eine kritische Sichtweise vertreten. Das bedeutet, dass Mitglieder der Oppositionsparteien und Menschenrechtsaktivist_innen regelmässig attackiert werden, Schmutz- und Einschüchterungskampagnen durch höhere Beamt_innen ausgesetzt sind. Ebenso stellen Verflechtungen im Justizvollzug dessen Unabhängigkeit in Frage. Die Tatsache, dass mehr als 60% der Richter_innen im Land befristete Anstellungen haben, macht sie anfällig für politischen Druck.

Rosmits Familie hat Amnesty International kürzlich informiert, dass er an Depressionen leide und in Haft viel Gewicht verloren hat. Wegen fehlendem Sonnenlicht (es wird ihm angeblich nur einmal im Monat erlaubt, ans Tageslicht zu gehen) hat er Hautprobleme entwickelt. Rosmit Mantilla ist ein politischer Gefangener, der sofort und bedingungslos freigelassen werden muss. Er hat nie Gewalt eingesetzt oder befürwortet. Seine Grosseltern und der Rest seiner Familie warten weiterhin auf seine Freilassung.

Von Alexandra Perdomo und Victor Molina, Dokumentations- und Kommunikationsteam bei Amnesty International Venezuela (@amnistia)
Übersetzung von Tobias Kuhnert, Queeramnesty Schweiz