Im Kosovo lebt es sich als queerer Mensch nicht leicht: Obwohl es im osteuropäischen Land Antidiskriminierungsgesetze gibt, leidet die Community. Doch immerhin ist es eines von wenigen muslimischen Ländern, das eine Pride-Parade durchführt. Wir haben mit Lirka vom Pristina Queer Festival über das Queersein im Kosovo gesprochen.
Wie sieht die Situation für queere Menschen im Kosovo aus?
Sehr unterschiedlich, je nachdem wo man lebt. In der Hauptstadt Pristina ist das Umfeld etwas offener. Ausserhalb der Metropole jedoch sind Homophobie, Transphobie und Biphobie deutlich weiter verbreiteter, und Safe Spaces gibt es nur begrenzt. Auch der Kontakt zu anderen queeren Menschen ist schwierig; die meisten nutzen Online-Plattformen oder reisen nach Pristina, um an Veranstaltungen teilzunehmen. Obwohl sich die Rechte von LGBTQI* im Kosovo kontinuierlich weiterentwickelt haben, äussern sich Institutionen und Personen des öffentlichen Lebens häufig queerfeindlich, darunter auch Parlamentsmitglieder. Dies trägt zur Stigmatisierung bei und verstärkt diskriminierende Haltungen in der Gesellschaft, wodurch die Feindseligkeit aufrechterhalten wird.
Hat sich die Lage in den letzten Jahren dennoch verbessert?
Ja, aufgrund mehrerer Schlüsselfaktoren. Dazu gehören die wachsende Sichtbarkeit und der Aktivismus unabhängiger queerer Aktivist*innen sowie neuer queerer Organisationen. Darüber hinaus haben Institutionen in letzter Zeit damit begonnen, queere Gemeinschaften in ihre Diskussionen einzubeziehen. Der Premierminister hat an den letzten beiden Pride-Veranstaltungen teilgenommen, und der Präsident hat die Pride Week offiziell eröffnet. Diese Entwicklungen signalisieren einen positiven Wandel in der institutionellen Unterstützung für queere Rechte. Auch in den Medien werden diese Themen heute offener angegangen.
Welche Herausforderungen bleiben?
Das hohe Mass an Homophobie und Transphobie. Es ist schwierig, ausserhalb von Pristina andere queeren Menschen kennenzulernen. Queere Themen werden im Bildungssystem weiterhin ignoriert, was Sexismus, Rassismus, Homophobie und Transphobie aufrechterhält. Weil all dies erst kürzlich im Mainstream-Diskurs angelangt ist, setzen sich viele Menschen zum ersten Mal überhaupt mit solchen Fragen auseinander. Deshalb werden viele Queers immer noch von Familienmitgliedern, Gleichaltrigen und in ihrer Nachbarschaft schikaniert, verurteilt und misshandelt, wenn sie ihre Identität öffentlich zeigen. Viele halten diesen Teil von sich deshalb verborgen. Für Angehörige ethnischer Minderheiten wie Roma, Aschkali und Ägypter sind die Herausforderungen noch grösser.
Wie ist die Situation für trans Menschen?
Die kosovarische Verfassung erlaubt zwar eine Geschlechtsanpassung, aber die Betroffenen müssen ein langwieriges und kostspieliges Gerichtsverfahren durchlaufen, bei dem sie oft die Gemeinde verklagen müssen. Und da chirurgische Eingriffe nicht möglich sind, müssen die Betroffenen dafür ins Ausland reisen.
Was muss sich ändern, damit Queers sich sicherer fühlen?
Die Art und Weise, wie sie in der Öffentlichkeit dargestellt und wahrgenommen werden. Dieser Wandel sollte im Bildungssystem beginnen. Die Aufnahme queerer Themen in Schulbüchern ist entscheidend, ebenso wie die Darstellung diverser Familienformen. Der Dialog in den Schulen sollte alle Kinder einbeziehen, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Wenn die jüngere Generation über diese Themen aufgeklärt wird, kann sie mit einer integrativeren Einstellung aufwachsen, und die homophoben Haltungen in der Gesellschaft würden allmählich weniger. Einen Wandel braucht auch der öffentliche Diskurs – angetrieben durch Verbündete in allen Bereichen der kosovarischen Gesellschaft. Sichtbare Verbündete aus verschiedenen Sektoren können die öffentliche Meinung erheblich beeinflussen und ein positiveres Umfeld für queere Menschen im ganzen Land schaffen.
Liegt dir sonst noch etwas auf dem Herzen?
Unterstützt euch gegenseitig! Im August hatten wir die Gelegenheit, uns mit Mitgliedern der albanischen queeren Gesellschaft bei einer Solidaritätsveranstaltung in Zürich zu treffen. Das Gefühl der Unterstützung und Verbundenheit war sehr inspirierend. Wir ermutigen dazu, die Solidarität unter queeren Menschen weltweit fortzusetzen, aber insbesondere in der Schweiz, wo die Gemeinschaft unglaublich vielfältig ist und Menschen mit vielen Hintergründen leben – gerade auch vom Balkan.