In Polen gibt es sogenannte «LGBT-Ideologiefreie-Zonen». Kirche und Politik hetzen gemeinsam gegen LGBTI*. Mitglieder der Community erfahren Hass, Ausgrenzung und Gewalt – teils sogar von der eigenen Familie.
Rechte populistische Bewegungen werden in Europa immer stärker, in Polen stellen sie sogar die Regierung. Aber auch Teile der Bevölkerung lehnen sich gegen die LGBTI*- Community auf, weil diese angeblich die traditionellen Familienwerte bedrohe. Dieser Hass kommt nicht von ungefähr. 90 Prozent der Bevölkerung gehört der katholischen Kirche an, und gerade auf dem Land sind die Leute streng gläubig. Dazu zählt auch das klassische Familienbild – Kinder müssten vor dieser «Gender-Ideologie» geschützt werden, heisst es.
Politik und Kirche sind in Polen eng verbunden. Über 100Regionen haben sich bereits zu «LGBT-ideologiefreien –Zonen» erklärt. Die nationalkonservative Regierungspartei «Prawo i Sprawiedliwość» (PiS), übersetzt: Recht und Gerechtigkeit, nutzte den Slogan «LGBT sind keine Menschen – es ist eine Ideologie» für ihre Wahlkampagne. Beim erzkatholischen Volk kommt das bestens an: Die konservative Partei hat bei den Parlamentswahlen 2019 ihre Mehrheit ausgebaut und ihr Präsidentschaftskandidat wurde diesen Sommer im Amt bestätigt. «Die LGBTI*-Community wird von namhaften Politikern und religiösen Persönlichkeiten mit dem Kommunismus verglichen – und dieser hat in Polen eine weit schlimmere Bedeutung als etwa in den USA», sagt Adam. Er ist Mitte zwanzig, LGBTI*-Ally und lebt in der Hauptstadt Warschau. «Warschau ist definitiv die liberalste Stadt Polens.» Ein gleichgeschlechtliches Paar habe er trotzdem noch nie händchenhaltend durch die Strasse gehen sehen. Wer sich öffentlich als nicht heterosexuell zeigt, läuft Gefahr, verbal und körperlich angegriffen zu werden.
Eine Scham für die Familie
Adele hat die Folgen dieser Haltung am eigenen Leib zu spüren bekommen. Sie ist schweizerisch-polnische Doppelbürgerin. Geboren in der Schweiz, als 10-Jährige mit der Familie nach Krakau gezogen und nun als erwachsene Frau wieder zurück in der Schweiz. «Ich bin in einer konservativen polnischen Familie aufgewachsen», erzählt sie.
«Schon früh merkte ich, dass ich von meinen Eltern anders behandelt wurde als meine vier Geschwister.» Den Grund dafür erfuhr sie erst als junge Erwachsene. Mit 21 Jahren litt Adele, die damals noch als Mann lebte, unter starken Hodenschmerzen und entschied sich, einen Gentest zumachen. «Meine Mutter versuchte mich zu überzeugen, die Ergebnisse nicht abzuholen.» Sie tat es dennoch. Das Ergebnis: Chromosomen XXY, sprich: intergeschlechtlich.
«Meine Eltern wussten davon. Sie schämten sich deswegen und wollten mich als Mann erziehen. Ich musste auf Gott schwören, dass ich niemandem davon erzähle», sagt Adele. Im ganzen Land habe sie nach Ärzten gesucht, die ihr Hormone verschreiben. Denn sie fühlte sich schon lange als Frau. Bereits als Kind fantasierte sie immer wieder, wie es wohl wäre, eine Frau zu sein. Damals dachte sie allerdings, dass «etwas in meinem Kopf nicht stimmt». Doch ihre Intergeschlechtlichkeit wurde von den polnischen Medizinern schlicht ignoriert. «Überall wurde mir gesagt, ich solle Testosteron nehmen. Dann würde ich männlicher.» Und das war nur die Spitze des Eisbergs. Ein Arzt verlangte Nacktfotos von ihr, um zu «untersuchen», ob sie wirklich Transgender sei. Ein anderer tastete ihre Brüste brutal ab, und immer wieder wurde sie beschimpft.
Immer mehr Regionen in Polen erklären sich zu «LGBT-ideologiefreien Zonen».
Zu gross für eine Frau
«Mein Vater hat meinen Entscheid, als Frau zu leben, gut aufgenommen, meine Mutter hingegen tat sich schwer. Sie kam regelmässig in mein Zimmer, um mich auszuschimpfen», sagt Adele. Ihre Familie hielt zudem öfters heimliche Treffen ab, Adele sollte «repariert» werden. «Mein Onkel ist in Polen ein bekannter Mönch. Er schreibt LGBTI*-feindliche Bücher.» Adele lebt heute in der Schweiz, doch das Verhältnis zu ihren Eltern bleibt kompliziert. Zwar akzeptieren sie Adele inzwischen, trotzdem hat sie keinen Kontakt zu ihrer Mutter. Und sie hat Angst, nach Polen zu fahren. «Ich war letztes Jahr dort und wurde ausgelacht.» Sie sei zu gross für eine Frau. Viele Pol_innen betrachten sie als Mann. Auch in ihrem polnischen Pass ist sie noch als Mann eingetragen – und das zu ändern, sei nicht so einfach.
Die politische und gesellschaftliche Lage in ihrer zweiten Heimat beschäftigt sie sehr. «Ich schaue viele Videos, um die Situation besser zu verstehen», sagt Adele. Sie suchtnach Wegen, wie sie diese Hasskommentare und -taten mit friedlichen Argumenten bekämpfen kann. «Es ist krass, was da läuft. LGBTI*-Menschen haben keine Rechte.» Gerade versucht das Bürgerprojekt #StopLGBT alles, was mit LGBTI* zu tun hat, gesetzlich zu verbieten. Auf deren Webseite heisst es, die Pride sei «Exhibitionismus, Gotteslästerung, Verhöhnung nationaler Symbole und öffentliche Schande». Ziel ist unter anderem sicherzustellen, «dass der öffentliche Raum frei von Homopropaganda ist und dass die Bürger keine ekelhaften Shows in ihren Strassen sehen müssen». «Wenn das durchkommt, wird es wie in Russland werden», sagt Adele.
EU-Massnahmen sind nutzlos
Die EU hat inzwischen den Geldhahn für Städte zugedreht, die eine «LGBT-ideologiefreie-Zone» eingerichtet haben. Genützt habe das allerdings nichts, sagt Adam. «Polens Justizminister hat diesen Städten mehr Geld zugesprochen, als sie wegen der EU verlieren.» Er ist entsetzt über diese Entwicklung. «Es lässt mich ernsthaft darüber nach-denken, mein Land zu verlassen.»
Es gibt aber auch politischen Widerstand. Der Warschauer Bürgermeister Rafal Trzaskowski hat die Bewegung «Gemeinsames Polen» gegründet und versucht, der Regierungspartei PiS die Stirn zu bieten. Doch das Land ist tief gespalten und verstösst nicht nur gegen die Menschenrechte, sondern gegen EU-Gesetze. Denn in denen heisst es ganz klar, dass niemand aufgrund seiner sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität diskriminiert werden darf.