Schweiz: Migration: «Du darfst nicht lieben wen du willst», Strassenmagazin Surprise zu lesbischen und schwulen MigrantInnen

Strassenmagazin Surprise zu lesbischen und schwulen MigrantInnen «Deine Schmerzen sind ihnen egal». In 85 Staaten der Welt wird Homosexualität noch immer bestraft: in einigen mit Gefängnis, in anderen mit dem Tod.
Zwei junge Queerrefugees, einer aus Uganda, einer aus dem Iran, erzählen vom Doppelleben, das sie in ihrer Heimat führen mussten – und was sie schliesslich zur Flucht in die Schweiz bewog.
Denise Graf, Juristin und Flüchtlingsexpertin von Amnesty Schweiz nimmt zu verschienden rechtlichen Aspekten Stellung.

Schwulenfeindliche Schweizer zeigen mit dem Finger auf Männer wie Darian oder Mugisha In ihrer Heimat jedoch sind sie an Leib und Leben bedroht Wie der unterschiedliche Umgang mit denselben Ressentiments für Homosexuelle zum Migrationsgrund wird.

Ein Beitrag von Mena Kost im Schweizer Strassenmagazin „Surprise“ vom 8. Januar 2010 (PDF, 590 kB).

Suprise erscheint monatlich und hat eine Auflage von 22.000 Exemplaren.

Weitere Information zur aktuellen Gesetzesvorlage und zur Situation in Uganda für Lesben und Schwule, für HIV-Positive, für MenschrechtsverteidigerInnen: Uganda: Gesetzesentwurf droht Schwulen mit der Todesstrafe (Oktober 2009, aktualisiert Januar 2010).

Aktuell, jetzt Unterschreiben (ONLINE oder auf Papier). Petiton an die Bundesversammlung: Bessere Chancen für Opfer von geschlechtsspezifischer Verfolgung.

Mehr zum Thema Homophobie, Einwanderung:
(09.08.2010) NZZ: Schweiz: Migration Heimlich schwul
(27.04.2010) Bern: Bernmobil verbietet Plakate für schwule und lesbische MigrantInnen in Tram und Bus
(21.12.2009) Schweiz, TV-Beitrag: Schwule Migrantensöhne von Familie verstossen
(31.12.2009) Kreuzberg: Was geht mich das an? Ein Film zu Mehrfachdiskriminierung
(19.06. 2009) Schattenbericht Rechtsextremismus, Rassismus, Homophobie. Berliner Zustände
(26.06. 2009) Dokumentation zur Fachtagung Homophobie in der Einwanderungsgesellschaft
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ganzer Artikel:

< ! -----------------------------------------------------------------------------------> Migration: «Du darfst nicht lieben, wen du willst»
Strassenmagazin „Surprise“ Januar 2010, S. 12-16

Schwulenfeindliche Schweizer zeigen mit dem Finger auf Männer wie Darian oder Mugisha. In ihrer Heimat jedoch sind sie an Leib und Leben bedroht: Wie der unterschiedliche Umgang mit denselben Ressentiments für Homosexuelle zum Migrationsgrund wird.

VON MENA KOST

«Wenn du hier als schwules Paar Hand in Hand herumläufst, starren dich die Leute an. Manche machen sich über dich lustig. Wir überlegen uns deshalb, nach Zürich zu ziehen. Dort sind die Menschen toleranter. » Darian sitzt auf dem hellen Sofa in seiner sorgfältig eingerichteten Wohnung am Stadtrand von Luzern. «Wieso die Leute das tun?» Der 29-jährige Iraner starrt auf den hellen Parkettboden im Wohnzimmer und sucht nach einer Antwort: «Vielleicht hat das mit der Religion zu tun? Sowohl in der Bibel als auch im Koran wird Schwulsein verurteilt. Oder sie haben Angst vor uns, weil sie keine Schwulen persönlich kennen? Vielleicht wollen sie aber auch einfach auf jemanden herabschauen. » Darian gibt auf: «Ich weiss es doch auch nicht. Ich kann es nicht verstehen.»

Das Regime hat seine Ohren überall

«Wer von der Mehrheit abweicht, wird grundsätzlich leicht zum Ziel von Ausgrenzung und Gewalt. Eine Gesellschaft reagiert sich an Minderheiten ab.» Udo Rauchfleisch ist emeritierter Professor für klinische Psychologie und einer der bekanntesten Forscher auf dem Gebiet der Diskriminierung von homo- und bisexuellen Menschen. Er kennt den Hauptgrund für Schwulenfeindlichkeit: «In einer heterosexuellen Beziehung nimmt sich der Mann im Allgemeinen wegen seines Status als Mann Sonderrechte heraus.» In homosexuellen Beziehungen funktioniere das nicht, die Macht zwischen den Partnern sei gleichmässiger verteilt: Studien hätten das Klischee längst widerlegt, dass ein Partner «der Mann», also «der Dominantere » sei und der andere «den weiblichen Part» innehabe. «Weil homosexuelle Beziehungen egalitärer sind als heterosexuelle, stellen sie traditionelle Männerbilder und patriarchale Machtverhältnisse radikal in Frage», sagt Rauchfleisch. Das erkläre, wieso Frauen viel seltener etwas gegen Homosexuelle hätten als Männer oder weshalb ausgeprägt patriarchal orientierte Religionskonzepte – die katholische Kirche oder der Islam – besonders schwulenfeindlich seien. «Je stärker die Vormachtstellung des Mannes in einer Gesellschaft, desto gefährlicher ist es für Homosexuelle, darin zu leben.»

Im Iran, wo Darian aufgewachsen ist, steht auf gleichgeschlechtlichen Sex die Todesstrafe: «Ich habe erst spät gemerkt, dass ich schwul bin. Oder besser: Ich habe mich lange nicht getraut, das auch nur zu denken. » Darian ist in einer regierungskritischen Familie aufgewachsen, als mittlerer von drei Brüdern; seine Eltern sind nicht religiös, seine Mutter trägt im Haus kein Kopftuch, die Familie hat sich im Fernsehen heimlich westliche Sendungen angeschaut. Andere Werte zu vertreten als die der Regierung, ist im Iran gefährlich – das Regime hat seine Ohren überall.

Mit der Furcht vor diesen Ohren ist Darian aufgewachsen: «Die Angst war immer schon da, ich habe sie von meinen Eltern übernommen. Sie haben mich gelehrt, ein Doppelleben zu führen. Vertrauen kannst du niemandem: In Gesellschaft darfst du nicht essen, was du willst, nicht trinken, was du willst, nicht sagen, was du willst, und du darfst nicht lieben, wen du willst. Nur im Haus, wenn alle Vorhänge gezogen sind, kannst du du selbst sein.»

Weil sich das so gehört, suchte sich Darian als junger Student, wie seine Kommilitonen auch, eine Freundin. Viel wichtiger war ihm allerdings sein Mitbewohner. Die beiden jungen Männer verband mehr als die gemeinsame Wohnung: Sie vertrauten einander, organisierten an der Universität geheime Treffen mit anderen regierungskritischen Studenten – und in ihren eigenen vier Wänden führten sie das Leben eines Liebespaars. Trotzdem kam es Darian zwei lange Jahre nicht in den Sinn, sich als schwul zu bezeichnen. Dieser Gedanke war tabu. Irgendwann aber liess er sich nicht mehr beiseite schieben: «Ich musste mir eingestehen, dass ich in diesen Mann verliebt war.» Für Darian war das ein Schock. Niemand durfte das je erfahren, auch seine Eltern nicht, das hätte sie in Gefahr gebracht. Doch nun, wo er selbst ihre Verbindung als Liebesbeziehung ansah, war das umso schwieriger: «Mir wurde bewusst, wie schlecht man Nähe und Vertrautheit verstecken kann. Trotzdem schien es zu klappen, niemand schöpfte Verdacht; bis auf einen Bekannten, der einmal mutmasste, wir seien doch ineinander verliebt.»

«Wenn du nicht für deine Rechte kämpfst, wer tut es dann?»

Als es 2003 zu Studentenunruhen kam, nahmen Darian und sein Freund – damals waren sie 22 Jahre alt – an verschiedenen Demonstrationen teil. Als jener Bekannte, der über ihre Gefühle füreinander gemutmasst hatte, an einer der Demonstrationen verhaftet wurde, bekam das Paar Angst. «Wir wurden zwar schon mehrfach aufgrund unserer politischen Aktivitäten verhört und danach wieder freigelassen. Aber Gerüchte über Homosexualität … das ist etwas anderes.»

Am selben Tag noch erreichte Darian ein Anruf auf seinem Mobiltelefon: Es seien Leute der Regierung in ihre Wohnung eingedrungen und würden dort auf sie warten. «Damit war klar, dass wir das Land sofort verlassen mussten.»

Flucht auf die Müllhalde

In knapp der Hälfte der Staaten der Welt – in 85, um genau zu sein – wird Homosexualität bestraft. In vielen Ländern sind Menschen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermuteten Homosexualität in Haft. Im Iran, in Mauretanien, Nigeria, Katar, Saudi-Arabien, Sudan, Jemen und wahrscheinlich bald auch in Uganda steht auf homosexuellen Geschlechtsverkehr die Todesstrafe. Zwar setzen sich Menschenrechtsgruppierungen weltweit für Schutz und Gleichberechtigung von Schwulen, Lesben und Bisexuellen ein – aber nicht überall können sie Erfolge vermelden: Im ostafrikanischen Staat Uganda, wo Homosexualität bisher mit 20 Jahren Gefängnis bestraft wurde, berät das Parlament derzeit über einen neuen Straftatbestand: Auf «schwere Homosexualität» – dieser Begriff meint beispielsweise als HIV-Positiver gleichgeschlechtlichen Sex zu haben – soll künftig die Todesstrafe stehen. De facto aber werden im christlichen Staat schon heute Menschen wegen ihrer Homosexualität getötet. Zum Beispiel, wenn sie der Homosexualität verdächtigt und in der Folge zu Tode gefoltert werden.

«Nenn mich Mugisha, das ist ein schöner Name, und schreib, ich wohne in einer grossen Schweizer Stadt. So erkennt man mich nicht.» Mugisha sitzt an der Theke im Bahnhofbuffet und blickt nervös um sich. Der 26-Jährige lebt seit zwei Jahren in der Schweiz. Vor einer Woche hat er die Abschlussprüfung zum Raumpfleger bestanden, nun sucht er einen Job. In Ugandas Hauptstadt Kampala, wo er aufgewachsen ist, hatte er im Krankenhaus als Pfleger gearbeitet. Mugisha war nicht der Einzige an seinem Arbeitsort, der homosexuell war. 15 Frauen und Männer – unter ihnen angesehene Ärztinnen und Ärzte – waren daran, im Geheimen eine Organisation aufzubauen. Ihr Ziel war es, auch in anderen Spitälern Gruppen zu gründen und sich so über das ganze Land zu vernetzen.

«Wenn jemand herausfindet, dass du schwul bist, verlierst du nicht nur deinen Job. Wenn ein Verbrechen geschieht, bist du auch der erste Verdächtige. Und wenn jemand ein Interesse daran hat, wird es ihm leichtfallen, deine Verhaftung zu veranlassen. Wehren kannst du dich nicht. Wie denn auch, wer sollte dir helfen?», sagt Mugisha. Um über die Lage der Homosexuellen in Uganda zu berichten, wollte seine Organisation an einem internationalen Treffen von Schwulen- und Lesbenorganisationen in Zürich teilnehmen. Er und ein anderer junger Mann sollten diese Aufgabe übernehmen. Mugisha zuckt mit den Schultern: «Wenn du nicht für deine Rechte kämpfst, wer tut es dann?»

Einen Tag vor der Abreise war alles vorbereitet; die Tickets waren organisiert und das Visum genehmigt. «Es kommen oft private Sicherheitskräfte zum Krankenhaus, um uns Pfleger zu befragen. Viele Tote oder Sterbende werden einfach vor den Pforten deponiert, und die Sicherheitsleute wollen wissen, ob wir gesehen haben, wer sie abgelegt hat. Als sie an jenem Tag kamen, dachte ich, es gehe um so etwas – und stieg ins Auto.» Erst als er die Pistolen sah, wusste Mugisha, dass es diesmal anders war. Sie verbanden ihm die Augen und nahmen ihm die Binde erst nach einer langen Fahrt wieder ab. Mugisha stand vor einem normal aussehenden Wohnhaus, in dessen Inneren es von Uniformierten wimmelte. Er wurde in den Keller geführt, wo er die nächsten fünf Tage verbrachte – immer nackt, meist im Dunkeln, und ohne sich ein einziges Mal hinlegen zu dürfen. Es waren noch andere Männer dort. Abwechslungsweise wurde einer gefoltert, die anderen mussten zuschauen. Irgendwann gestand Mugisha, dass er schwul sei. Danach wollten seine Peiniger, dass er ihnen Namen von anderen Homosexuellen preisgab. «Sie schlugen uns, rissen uns die Fingernägel aus, sie hängten uns Gewichte an die Hoden und machten Dinge, die ich nicht erzählen werde. Sie können alles mit dir machen, du bist ihnen egal. Man sieht es an ihren Augen: Deine Schmerzen sind ihnen wirklich komplett egal. Aber ich habe niemanden verraten.»

Am Abend des fünften Tages gelang Mugisha die Flucht: Im Kellerraum stand ein Eimer, der den Gefangen als Toilette diente. Diesen sollte er im umzäunten und bewachten Hof leeren. Als er den Müllcontainer erreichte, bemerkte er, dass ihn niemand beobachtete – die Uniformierten waren beim Nachtessen. Mugisha handelte schnell. Er kletterte in den Container und versteckte sich zwischen Abfall und Exkrementen. Bevor sein Fehlen bemerkt wurde, kam das Müllauto und transportierte ihn ab. Mugisha landete – verdreckt und schwer verletzt – auf einer Müllhalde.

Noch am gleichen Tag organisierte ihm eine Frau seiner Organisation ein Ticket in die Schweiz. Wie sie das in so kurzer Zeit schaffte, ist Mugisha unbegreiflich. Und doch sass er, mit Schmerzmitteln vollgepumpt, in einer Maschine nach Genf. Mit den paar Dollars, die er bei sich hatte, fuhr er weiter nach Zürich-Oerlikon, wo gerade die Abschlussveranstaltung der Konferenz stattfand, an der seine Teilnahme geplant gewesen war. «Die Leute dort haben mir sehr geholfen, ich wurde zum Arzt gebracht. Am nächsten Tag ging ich ins Empfangszentrum für Asylsuchende. Ich wusste, dass ich nicht mehr zurück konnte.» Als Mugisha wenige Tage später zu Hause anrief, erfuhr er, dass der Kollege, der ihn zur Konferenz hätte begleiten sollen, die Folter nicht überlebt hatte.

Das Schweigen brechen

Der Iraner Darian und sein damaliger Freund erreichten die Schweiz erst nach mehrwöchiger Flucht. Im Anhänger eines Autos wurden sie über eine letzte Grenze geschmuggelt und irgendwo in der Romandie auf einer Wiese ausgeladen. Auf gut Glück liefen sie in eine Richtung und erreichten nach einer Weile eine Stadt: Lausanne. Sie meldeten sich bei der Polizei, welche die Flüchtlinge weiter in ein Empfangszentrum schickte, wo das Einreiseprozedere begann: «Der deutsch-persische Dolmetscher hat mich während den Interviews gefragt, seit wann ich mich in den Arsch ficken lasse. Der andere Mann, der mir auf Deutsch die Fragen stellte, schrie mich an. Ich sprach noch kein Deutsch und verstand nicht, was er sagte. Ab und zu liess er seine Fäuste auf die Tischplatte donnern», erinnert sich Darian. Er wusste, dass Homosexualität in der Schweiz nicht strafbar ist, deshalb war er ja hierher gekommen. Trotzdem machte ihm dieser Befragungsstil Angst. «Ich dachte, dass es ein grosser Fehler gewesen war, den Verantwortlichen anzuvertrauen, dass ich homosexuell bin.»

Nach einer weiteren Befragung und einigen Monaten Wartezeit bekam er den Bescheid: Sein Asylgesuch wurde abgelehnt. Begründung: Zwar sehe das iranische Gesetz die Todesstrafe für Homosexuelle vor, aber in der Praxis würde sie nicht vollzogen.

Laut Amnesty International wurden im Iran seit der islamischen Revolution 1979 über 4000 Homosexuelle getötet. Auch in Schweizer Medien sind regelmässig Berichte über Hatz und Hinrichtungen im Iran zu finden. «Das Argument, die Todesstrafe würde im Iran nicht umgesetzt, ist absolut unverantwortlich», sagt Denise Graf, Juristin und Flüchtlingsexpertin von Amnesty Schweiz. Sie redet schnell und bestimmt: «Auch wenn das iranische Gesetz nicht in jedem Fall angewendet wird, wir wissen alle über Willkür und Brutalität dieses Staates Bescheid.» Trotzdem wird nicht selten mit der fehlenden letzten Konsequenz in der Anwendung unmenschlicher Gesetze argumentiert: «Faktische Beweise, wie sie vom Bundesamt für Migration als Beleg für die Verfolgung wegen Homosexualität verlangt werden, sind sehr schwer zu erbringen.» Wie eine Untersuchung der juristischen Zeitschrift «Asyl» zeigt, wurden zwischen 1993 und 2007 nur gerade vier von 90 Asylgesuchen, die auf Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung basierten, mit einer vorläufigen Aufnahme beantwortet. Rund 95 Prozent der Gesuche wurden also abgelehnt. Die durchschnittliche Anerkennungsquote aller Asylgesuche liegt jedoch bei über elf Prozent. Es ist demnach doppelt so schwer, als verfolgter Homosexueller Asyl zu erhalten wie als durchschnittlicher Asylbewerber.

«Der Grund ist eine mangelhafte Sensibilisierung für dieses Thema. Viele Leute haben anscheinend keine Ahnung, was es bedeutet, wegen seiner sexuellen Identität verfolgt zu werden», so Graf. Katastrophal sei etwa der Umstand, dass ein verspätetes Vorbringen der Homosexualität oft als Unglaubwürdigkeitselement ausgelegt würde. «Viele sind aufgrund der Erfahrungen in ihrem Heimatland traumatisiert. Sie mussten ihre Sexualität ein Leben lang geheim halten. Wenn sie erst in der zweiten Befragung damit herausrücken, ist das nur normal.»

Bisher gibt es im Asylgesetz keinen Artikel, der Verfolgung aufgrund sexueller Orientierung explizit als Asylgrund vorsieht. Eine Motion der Grünen will dies ändern und fordert eine entsprechende Erweiterung. Denise Graf: «Als 1998 frauenspezifische Verfolgungsgründe – also etwa Vergewaltigung – ins Gesetz eingefügt wurden, hat das zu einer grossen Veränderung im Umgang mit den Betroffenen geführt. Beispielsweise wurden Befragungen bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch fortan von Frauen geführt. Das hat viel gebracht. Ein Gesetzeszusatz würde auch in diesem Fall viel zur Besserstellung homosexueller Flüchtlinge beitragen.» Sowohl Mugisha als auch Darian haben sich bereits bei ihrer ersten Befragung durch die Behörden in der Schweiz getraut, zu sagen, dass sie homosexuell sind. Das erstaunt nicht sonderlich, sind sie doch beide gebildet, haben über die Gesetzeslage in der Schweiz Bescheid gewusst – und sind Kämpfernaturen. Mugisha gehört zu den vier Fällen, denen zwischen 1993 und 2007 aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Asyl gewährt wurde. Für ihn war es kein Problem zu beweisen, dass er in seiner Heimat an Leib und Leben bedroht war: Sein körperlicher Zustand sprach für sich.

Die Ablehnung von Darians Aslyantrag wurde korrigiert – nicht wegen der Gesetzeslage im Iran, sondern weil Darian, während sein Asylverfahren hängig gewesen war, für verschiedene Schweizer Organisationen auf Podien öffentlich das iranische Regime kritisiert hatte. Eine Rückkehr, so die Behörden, stelle deshalb tatsächlich eine Gefahr für sein Leben dar.

«Ich habe gelernt, offen zu sagen, dass ich schwul bin. Dazu braucht man Mut, und man muss seine Rechte kennen. Es gibt viele Flüchtlinge, die das nicht können. Und es gibt noch immer viele Schweizer, die ihre sexuelle Identität vor ihrem Umfeld verstecken.» Darian spricht unterdessen fast fehlerfrei Deutsch und schliesst bald seine Ausbildung zum Krankenpfleger ab. Seine Brüder und seinen Vater hat er seit seiner Flucht vor sechs Jahren nicht wieder gesehen. Aber seine Mutter konnte ihn im vergangenen Jahr besuchen kommen. «Wir müssen die Politiker aufrütteln und den Betroffenen Mut machen. Bis zur Gleichberechtigung gibt es überall noch viel zu tun.» ■


PS: In der Schweiz wurde die Strafbarkeit homosexueller Handlungen im Jahr 1942 abgeschafft. 1992 wurde das Schutzalter für gleichgeschlechtliche Handlungen vom 20. aufs 16. Lebensjahr heruntergesetzt und damit demjenigen heterosexueller Handlungen angepasst. Seit 2007 können gleichgeschlechtliche Paare ihre Partnerschaft eintragen lassen. Die entsprechende Gesetzesvorlage wurde mit 58 Prozent Ja-Stimmen angenommen.

Quelle, Surpise 8. Jan. 2010: