Staaten müssen gewährleisten, dass intersexuelle Säuglinge und Kinder vor irreversiblen, medizinisch nicht notwendigen Genitaloperationen, sterilisierenden Eingriffen und Hormonbehandlungen geschützt werden. Jeder nicht notwendige Eingriff muss aufgeschoben werden, bis die Person selbst in der Lage ist, eine Einwilligung nach erfolgter Aufklärung abzugeben. Eltern und Erziehungsberechtigte müssen Zugang zu nicht pathologisierender Unterstützung und Selbsthilfe erhalten.

Was ist Intersexualität?
Intersexuelle Menschen entsprechen in der Ausbildung ihrer Genitalien, ihren genetischen hormonellen Anlagen oder in ihren Fortpflanzungsorganen nicht den gängigen Normen von männlich und weiblich. Intersexualität kann dabei viele verschiedene Formen annehmen und tritt in einen weiten Bereich von körperlichen Erscheinungen auf. In Deutschland wird nach Schätzungen von Expert_innen jeden Tag ein intersexueller Mensch geboren.
Kernproblem
Säuglinge und Kinder mit nicht eindeutig männlichen oder weiblichen Geschlechtsmerkmalen werden oft operativen Eingriffen oder medikamentösen Behandlungen unterzogen, um ihnen die Standardkategorien von männlich oder weiblich aufzuzwingen. Diese beruhen auf den Wünschen der Eltern oder des Gesundheitspersonals, das Kind zu normalisieren. Mit ärztlicher Hilfe wird ihnen ein entsprechend männliches oder weibliches Geschlecht zugewiesen. Intersexualität ist jedoch keine Krankheit und kein medizinischer Notfall, der chirurgischer Eingriffe bedarf.
Welche Menschenrechte werden verletzt?
- Recht auf körperliche Unversehrtheit und Schutz vor medizinischer Misshandlung
Die irreversiblen chirurgischen Eingriffe einer frühen ‚Geschlechtszuweisung‘ führen in sehr vielen Fällen zu massiven physischen und psychischen Schäden, unter denen intersexuelle Menschen ein Leben lang zu leiden haben. Dazu gehören oft lebenslänglich notwendige Hormonbehandlungen mit gesundheitlichen Folgen, Verlust der Fruchtbarkeit, Verlust der sexuellen Empfindsamkeit sowie Harnwegsleiden. Chirurgische Eingriffe, die an nicht einwilligungsfähigen Kindern oder auch an Erwachsenen ohne vorherige umfassende Aufklärung durchgeführt werden, stellen eine Verletzung des Rechts auf Schutz vor medizinischem Missbrauch dar, wenn solche Behandlungen nur deshalb erfolgen, um Menschen die Standardkategorien männlich oder weiblich aufzuzwingen. Unumkehrbare chirurgische oder medikamentöse Behandlungen von Kindern verstoßen darüber hinaus gegen den Grundsatz des Kindeswohls.
- Recht auf angemessene Gesundheitsversorgung und medizinische Behandlung
Intersexuelle Menschen erfahren bei ihrer Suche nach gesundheitlicher Versorgung oft Verletzungen ihres Rechts auf Gesundheit aufgrund von Vorurteilen, Befangenheit oder Wissensmangel des Gesundheitspersonals.
- Persönlichkeitsrecht / Recht auf Anerkennung des Geschlechts
In den meisten Staaten gibt es keine Möglichkeit, offizielle Dokumente (z.B. Pässe) zu erhalten, welche das Geschlecht und die Geschlechtsidentität von Menschen bezeichnen, die sich weder mit einem weiblichen noch einem männlichen Geschlecht identifizieren.
- Das Recht auf Schutz vor Diskriminierung
Menschen, deren Erscheinung nicht zu den Geschlechtskennzeichnungen in offiziellen Dokumenten passen, sind von Verletzungen ihres Rechts auf Privatsphäre bedroht, wann immer sie aufgefordert werden, sich auszuweisen. Daher sind intersexuelle Menschen in allen Lebensbereichen durch die Verletzungen ihres Rechts auf Schutz vor Diskriminierung gefährdet.
Forderungen
Amnesty fordert Gesundheitspersonal dazu auf, Standards für die Behandlung von intersexuellen Kindern zu schaffen, die nachweislich auf das beste Interesse des Kindes ausgerichtet sind und auf den besten verfügbaren medizinischen und ethischen Forschungen basieren. Medizinisches Personal muss in Übereinstimmung mit den internationalen Menschenrechten handeln, wenn es intersexuelle Menschen versorgt. Dabei muss ein respektvolles Verhalten sichergestellt werden, das die individuelle Würde wahrt und die Rechte auf Selbstbestimmung, Privatsphäre, Vertraulichkeit sowie Einwilligung oder Ablehnung nach erfolgter Aufklärung achtet.
Es ist zu gewährleisten, dass alle, die Menschenrechte intersexueller Menschen verletzen, dafür rechtlich verantwortlich gemacht werden und dass Leidtragende solcher Verletzungen in die Lage versetzt werden, angemessen Wiedergutmachung zu erlangen.
Intersexuellen Erwachsenen ist, sofern sie es wünschen, Zugang zu chirurgischen oder hormonellen Behandlungen zu ermöglichen, ohne dass sie von einem unangemessen hohen Kostenaufwand belastet werden und ohne dass medizinische Einrichtungen sie aufgrund ihrer Geschlechtsmerkmale diskriminieren.
Es muss gewährleistet werden, dass Menschen, die sich weder mit dem weiblichen noch mit dem männlichen Geschlecht identifizieren, offizielle Dokumente erhalten können, die ihr Geschlecht widerspiegeln. Dabei ist es wichtig, dass Eltern aus reichend Zeit zur Verfügung gestellt wird, um den Geschlechtseintrag ihres intersexuellen Kindes anzumelden und zu ändern.
Jegliche Antidiskriminierungsgesetzgebung, insbesondere das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts / der Geschlechtsidentität, muss so formuliert werden, dass intersexuelle Menschen nicht mehr diskriminiert werden.