Ein ehemaliger Militärpolizist hat im westafrikanischen Liberia 27 Männer verschwinden Lassen, die er für schwul hielt. Darunter einen jungen Mann, den der Schreibende persönlich kannte und der mutmasslich ermordet wurde.
Win (Name geändert) war ein überaus fröhlicher Mann, wusste viel über sein von Bürgerkriegen und Ebola-Krisen gebeuteltes Land und liebte es, Reisende durch seine Stadt Monrovia zu führen. Es war eine kurze Begegnung mit Win in Monrovia Anfang 2020, wenige Wochen vor dem Ausbruch des Coronavirus. Die Ruhe vor dem Sturm, dessen Zerstörungskraft Win nicht in seinen kühnsten Träumen erahnte. Stolz erzählte er mir von seiner schwangeren Freundin und dass er im August Vater werde. So würde der Druck auf ihn bald abnehmen, die Blutlinie endlich fortzusetzen. In den Genuss des Vaterseins kam er aber viel zu kurz, denn seit dem 4. Oktober gilt er als vermisst [1].
Kurz darauf wurde der Ex-Militärpolizist C. (Name der Redaktion bekannt) der Armed Forces of Liberia (AFL) verhaftet, weil er mindestens 27 junge Männer entführt und gefoltert haben soll, die er für schwul hielt [2]. Die Überlebenden des Folterhorrors befürchten, dass Win und ein weiterer junger Vermisster von dem mutmasslichen Schwulenhasser getötet wurden. Wins Freundin erzählt mir am Telefon, wie sie seine verzweifelten Schreie gehört habe, als Wins Mobiltelefon am anderen Ende abgehoben wurde. Ein Freund von Win berichtet, jemand habe seinen Anruf entgegengenommen und gesagt, sie seien «mit diesem Hund» noch nicht fertig.
ALLE SCHWULEN BESEITIGEN»
Wie das online LGBTI*-News-Magazin JournalRAGE aus Liberia berichtet, soll der ehemalige Armeeangehörige C. gesagt haben, er habe «Gottes Offenbarung bekommen, alle Schwulen in Liberia, ganz speziell in Monrovia, zu beseitigen» [3]. Dabei ging er besonders skrupellos vor: Nachdem er seine Opfer in seinem Haus über mehrere Tage schwer verletzt, ausgeraubt und im Freien wieder ausgesetzt hatte, loggte er sich auf deren gestohlenen Handys und den sozialen Netzwerken ein, um das nächste Opfer anzulocken. So war es ihm möglich, die kleine LGBTI*-Community aufzuspüren. Obwohl mir verschiedene inoffizielle Quellen berichten, die Körper von Win und des anderen Vermissten seien bereits gefunden worden, hoffen seine Freund_innen noch immer, dass es bald ein Lebenszeichen von ihm gibt.
EIN LEBEN OHNE SCHUTZ
Das westafrikanische Land ist noch weit von der Entkriminalisierung der Homosexualität entfernt. Nachdem Liberias LGBTI*-Menschen vergeblich darauf gehofft hatten, dass die ehemalige Präsidentin und Friedensnobelpreisträgerin Ellen Johnson Sirleaf den Weg zur Entkriminalisierung ebnen würde, setzten sie alle Hoffnungen in den seit 2018 amtierenden Präsidenten und ehemaligen FIFA-Weltfussballer George Weah. Dessen Regierung hat seit dem Amtsantritt jedoch keine Stellung zu diesem Thema bezogen. Queere Menschen leben in Liberia im Untergrund, es gibt keine offiziellen LGBTI*-Organisationen, an die sie sich wenden können. Sie führen ihr Leben in Unsicherheit, ohne Schutz und am Rand der Gesellschaft. Das Hochhalten der Traditionen und die enge Einbettung in die Familie zwingt sie etwa zum Einhalten von konservativen Rollenbildern, zu Zwangsverheiratungen oder erzwungenen Schwangerschaften – alles, um Teil der Gesellschaft bleiben zu können und den Ruf der Familie zu ehren. Es bleibt zu hoffen, dass sich dies mit der Zeit auch an der Goldküste Afrikas zu verändern beginnt. (Autor: ef)
Quellen:
- [1] Gboko Stewart. (09.10.2020). In: JournalRAGE Liberia: Police Arrest ‘AFL’ Personnel; Two Fear Dead. Abgerufen 18.10.2020, von https://journalrage.org/police-arrest-afl-personnel-two-fear-dead/
- [2] Maddalena Tomassini. (16.10.2020). In: ILGA LGBulleTIn: The week in LGBTI news 9-15 October. Abgerufen 18.10.2020, von https://ilga.org/lgbti-news-173-ilga-oct-2020#Africa
- [3] Gboko Stewart. (07.10.2020). In: JournalRAGE Liberia: ‘Army’ Personnel Uses God as Subterfuge to Brutalize 27 Suspected Gay Men. Abgerufen 18.10.2020, von https://journalrage.org/army-personnel- uses-god-as-subterfuge-to-brutalize-27-suspected-gay-men/