LGBTI*-RECHTE SIND IN DER SCHWEIZ NOCH LANGE NICHT AUSREICHEND GESCHÜTZT. DIES ZEIGEN NICHT ZULETZT DIE VIELEN OPTIMIERUNGSVORSCHLÄGE, DIE DIE EIDGENOSSENSCHAFT IN DER JÜNGSTEN «UNIVERSAL PERIODIC REVIEW» (UPR) DES UNO-MENSCHENRECHTSRATES ERHALTEN HAT. DIE REAKTION DER SCHWEIZ IST DURCHWACHSEN.

Im Rahmen der UPR geben sich die UNO-Mitgliedsstaaten gegenseitig Empfehlungen, wie sie bestehende Menschenrechts-Defizite beseitigen können (Details zu diesem Verfahren siehe unten). Die Schweiz war 2017 zum dritten Mal Gegenstand dieses Prozesses und erhielt am 9. November 2017 nicht weniger als 251 Empfehlungen von 111 Staaten – darunter auch etliche, die den Schutz von LGBTI*-Rechten betreffen.

NGOS ZEIGTEN HANDLUNGSBEDARF AUF

Handlungsbedarf haben mehrere schweizerische NGOs aufgezeigt, die mit sogenannten Schattenberichten am UPR-Verfahren teilgenommen haben – unter anderen Sexuelle Gesundheit Schweiz, Sexual Rights Initiative (SRI), humanrights.ch, Amnesty International (AI) und Transgender Network Switzerland (TGNS). Darüber hinaus steuerte auch die Informationsplattform humanrights.ch einen Shadow- Report bei.

Sexuelle Gesundheit Schweiz und SRI kritisierten vor allem, dass in der Schweiz nach wie vor kein umfassender gesetzlicher Diskriminierungsschutz für LGBTI*-Menschen besteht – obwohl entsprechende Empfehlungen bereits in der UPR im Jahr 2014 ausgesprochen wurden. In der UPR 2017 scheinen denn auch diesbezügliche Punkte mehrfach erneut auf.

Amnesty International forderte unter anderem die Anerkennung von Verfolgung aufgrund sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität als Asylgrund – ein Anliegen, das im finalen UPR-Bericht von keinem Land aufgegriffen wurde.

EIN WICHTIGER SCHRITT

TGNS fand mehrere Punkte aus seinem Schattenreport in den Empfehlungen der Länder wieder. Alecs Recher, Leiter der Rechtsberatung bei TGNS, freut sich über dieses Echo: «Dass es so viele unserer Anliegen in den offiziellen Bericht geschafft haben, ist ein wichtiger Schritt.» Und auch dass etwa die Empfehlung, die Behörden zum Thema Geschlechtsidentität besser zu schulen, von der Schweiz sofort angenommen wurde, ist für Recher ein grosser Erfolg: «Zum Beispiel bei der Polizei oder an den Gerichten haben viele keine Ahnung, was Trans*-Menschen überhaupt sind, und deshalb ist für diese auch der Zugang zum Recht erschwert.»

Doch insgesamt fällt die Reaktion der Schweiz durchwachsen aus: Zwar wurden 121 von den insgesamt 251 Empfehlungen sofort angenommen – aber auch 67 postwendend abgelehnt. 63 Punkte blieben zunächst offen. Über sie entschied der Bundesrat erst am 21. Februar nach Konsultationen mit den zuständigen Kantonen, Bundesstellen und NGOs. Wobei der Kontakt der offiziellen Schweiz mit den Menschenrechtsorganisationen durchaus intensiver sein könnte, wie Alecs Recher von TGNS anmerkt: «Man kommt selten aktiv auf uns zu und spricht viel zu wenig mit den direkt Betroffenen.»

NUR 5 VON 13 LGBTI*-ANLIEGEN ANGENOMMEN

Die Schlussbilanz: 160, also rund zwei Drittel aller UPR-Empfehlungen nahm der Schweizer Bundesrat an, 61 lehnte er ab. Fast umgekehrt sieht das Verhältnis jedoch bei den LGBTI*-relevanten Themen aus: Von 13 Anliegen wurden nur 5 angenommen, wobei ähnliche Empfehlungen aus mehreren Ländern nur einmal gezählt wurden – andernfalls sähe die Relation sogar noch schlechter aus.


SOFORT ANGENOMMEN:

AUS ISRAEL: Training für Sicherheitskräfte, Strafverfolger, Richter und Sozialarbeiter anbieten, um Diskriminierung wegen sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität zu verhindern.

AUS KOLUMBIEN: Anstrengungen in allen Kantonen verstärken, um Diskriminierung wegen Rasse, Herkunft, sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität zu vermeiden.

AUS SCHWEDEN: Sterilisationszwang als Voraussetzung für eine eine Änderung des amtlichen Geschlechts aufheben (…).

NACH KONSULTATIONEN ANGENOMMEN:

AUS ISRAEL: Bewusstseinsbildende Kampagnen fördern, die Diskriminierung und Mobbing wegen sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität verhindern (…).

AUS DEUTSCHLAND: Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare beenden, insbesondere indem Ehe und Adoption von Kindern ermöglicht werden.

SOFORT ABGELEHNT:

AUS SIERRA LEONE, Frankreich, Bolivien: Umfassende Anti-Diskriminierungsgesetze beschliessen (…).

AUS IRLAND: Landesweit einheitliche Gesetze beschliessen, die ausdrücklich LGBTI*-Personen vor Diskriminierung schützen (…).

AUS GRIECHENLAND: Gleichstellungsgesetz beschliessen, mit besonderer Berücksichtigung von Interessen von LGBTI*-Minderheiten, Menschen mit Behinderung, Frauen und anderen schutzbedürftigen Gruppen.

AUS HONDURAS: Politische Massnahmen und Aktionsplan umsetzen, um Diskriminierung und Gewalt gegen LGBTI*-Personen zu bekämpfen; LGBTI* [als Kategorie] in die nationale Selbstmordstatistik aufnehmen.

AUS SLOWENIEN: Erhebungen des Bundesamtes für Statistik anpassen, um Trans*-Menschen einzuschliessen und die Erkenntnisse daraus für den nächsten UPR-Zyklus auszuwerten.

NACH KONSULTATIONEN ABGELEHNT:

AUS AUSTRALIEN: Gesetzliches Verbot der Diskriminierung wegen Geschlechtsidentität oder Intersex-Status einführen.

AUS DEN NIEDERLANDEN: Gemeinsam mit den LGBTI*-Organisationen einen nationalen Aktionsplan für alle Ebenen des Staates entwickeln und umsetzen, um die Wahrnehmung der LGBTI*-Community sowie das Wissen über sie zu verbessern.

AUS PORTUGAL UND SÜDAFRIKA: Menschenrechtstrainings etwa für nationale und kantonale Behörden schaffen, um die Rechte von Trans*-Menschen zu schützen.


WAS IST DIE UPR?

Die UPR (Universal Periodic Review bzw. Universelle periodische Überprüfung) ist ein Mechanismus des UNO-Menschenrechtsrates. Dabei wird die Menschenrechtssituation in allen 193 UNO-Mitgliedsstaaten begutachtet, wobei jeder Staat etwa alle vier Jahre an die Reihe kommt. Die Schweiz wurde 2017 zum dritten Mal überprüft.

Die UPRs erfolgen im Peer-Verfahren: Jeder Staat hat das Recht, gegenüber jedem anderen Staat Empfehlungen auszusprechen. Die überprüften Staaten können diese Empfehlungen entweder annehmen oder ablehnen.

Als Basis für die Review dienen drei Quellen: erstens ein Bericht, den der betreffende Staat selbst verfasst, zweitens Feedbacks verschiedener UNO-Organe und drittens Reports weiterer «interessierter Akteure», beispielsweise nationaler Menschenrechtsgruppen und anderer NGOs.

Höhepunkt des UPR-Verfahrens ist jeweils ein dreistündiger Dialog zwischen Vertretern des betreffenden Staates und der UPR-Arbeitsgruppe, in der Delegierte der 47 Menschenrechtsrats-Mitgliedsstaaten sitzen. Der Dialog mit der Schweizer Delegation, geleitet von Pascale Baeriswyl (Staatssekretärin im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten), fand am 9. November 2017 im Palais des Nation in Genf statt.