Das Jahr begann gut: Am 9. Februar hat die Schweizer Stimmbevölkerung die Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm um die sexuelle Orientierung mit deutlicher Mehrheit unterstützt. Homo- und bisexuelle Menschen sind nun besser vor Diskriminierung und Hetze geschützt. Queeramnesty hatte sich im Kampagnenteam engagiert, und auch für den Rest des Jahres gab es schon viele Pläne. Aber dann erreichte uns die Covid-19-Pandemie. Das Leben änderte sich; privat, beruflich und natürlich auch aktivistisch. Niemand von uns hatte Vergleichbares zuvor erlebt, und wir mussten Wege finden, uns auch in dieser Situation für unsere Belange einzusetzen und für die Schwächsten zu kämpfen.

KONTAKT HALTEN TROTZ COVID-19

Nicht zuletzt unser Focus-Refugees-Team, das geflüchtete LGBTI*-Menschen begleitet und unterstützt, stand vor grossen Herausforderungen. Während sich die Situation für die Geflüchteten aufgrund von Ausgangsbeschränkungen, beengten Verhältnissen in den Unterkünften und zum Teil
unzureichender medizinischer Versorgung dramatisch verschlechterte, gab es kaum noch Möglichkeiten zu persönlichen Treffen oder zur direkten Unterstützung. Auch der Fortgang der Asylverfahren litt natürlich unter der Situation. Mit grossem Einsatz haben die Focus-Refugees Mentor_innen versucht, auch in dieser Zeit engen Kontakt zu den begleiteten Personen zu halten und ihre Situation so weit wie möglich zu verbessern. Nach einem Covid-19 bedingten Rückgang in der ersten Hälfte des Jahres kamen in den letzten Monaten wieder zahlreiche Kontaktanfragen von Geflüchteten. Das ist sicherlich auch auf das breite Netzwerk zurückzuführen, welches Focus Refugees mit den diversen Behörden und Organisationen aufgebaut hat, die in den Asylverfahren involviert sind. Neu gestaltete Poster, Flyer und Sticker,
die auf Queeramnesty aufmerksam machen, wurden an die entsprechenden Stellen versandt und stiessen auf sehr positive Resonanz.
Wir verzeichnen neuerdings auch vermehrt Kontaktanfragen von LGBTI*-Geflüchteten mit Kindern und möchten natürlich auch diese Personengruppe bestmöglich begleiten.

SCHWERPUNKT: POLEN

Ein Schwerpunkt unserer Arbeit sollte in diesem Jahr auf Polen liegen, wo nicht zuletzt mit der Ausrufung «LGBT-ideologiefreier Zonen» die Repressionen aufgrund sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität immer weiter zunehmen. Geplante Veranstaltungen und Treffen mit polnischen Aktivist_innen konnten leider nicht stattfinden, aber wir bleiben an dem Thema dran und versuchen weiterhin, die Arbeit von LGBTI*-Organisationen vor Ort zu unterstützen.

ERFOLGREICHE PETITIONEN

Aktivismus ist nicht nur in Polen schwierig und gefährlich. 2020 wurden wieder zahlreiche Personen aufgrund ihres Engagements verfolgt, bedroht und inhaftiert. Mit Petitionen machten wir auf das Schicksal dieser mutigen Menschen aufmerksam. Dies war auch in Covid-19-Zeiten möglich, und wir konnten zahlreiche Unterschriften sammeln, z.B. für den ägyptischen Menschenrechtsverteidiger Patrick Zaki George, die russische Künstlerin Yulia Tsvetkova und den jemenitischen Aktivisten Mohamed al-Bo-kari. Positive Nachrichten, wie die Freilassung der belarussischen Aktivistin Victoria Biran, zeigen, dass es sich lohnt, Unrecht sichtbar zu machen und globale Solidarität zu zeigen.

VIRTUELLE PRIDE-AKTIONEN

Um Sichtbarkeit geht es auch jeden Sommer bei den Pride-Veranstaltungen auf der ganzen Welt. Egal, ob sie mehr politische Demonstration oder farbenfrohe Party sind, immer setzen sie ein Zeichen für Offenheit, Akzeptanz und gleiche Rechte. Dieses Jahr fand das alles nur virtuell oder in deutlich kleinerem Massstab statt. Die grosse Aussenwirkung blieb dadurch sicherlich aus, aber die alternativen Aktivitäten waren dennoch wichtig, nicht zuletzt um uns selbst in diesen herausfordernden Zeiten zu zeigen: Wir sind da, wir sind viele und wir kämpfen gemeinsam!

NOCH VIELES ZU ERKÄMPFEN

Es gibt nach wie vor viel zu vieles, für das wir weiterkämpfen müssen. In der Schweiz ist die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zwar auf gutem Weg, aber immer noch nicht verabschiedet. Hate Crimes scheinen eher zuzunehmen, werden von den Behörden allerdings nach wie vor nicht systematisch erfasst. Auch innerhalb der LGBTI*-Community gibt es Rassismus und Diskriminierungen, die wir erkennen und bekämpfen müssen.
International beschneiden populistische und autokratische Regierungen Menschenrechte und benutzen LGBTI* und andere Minderheiten als Sündenbock.
So wird auch im nächsten Jahr der Einsatz von uns allen nötig sein. Jedes Engagement und jede Unterstützung helfen. Vielen Dank an euch dafür!

FÜNF JAHRE QUEERAMNESTY-MAGAZIN

Und zu guter Letzt: Das Queeramnesty-Magazin feiert sein 5-jähriges Bestehen! Mit grossem Engagement gestaltet unser Redaktionsteam viermal im Jahr dieses Magazin mit aktuellen Informationen, Hintergrundberichten und persönlichen Geschichten rund um die Arbeit von Queeramnesty; immer spannend, manchmal kontrovers und auf jeden Fall lesenswert!