«Normalisierende» Behandlungen von Menschen mit Variationen der Geschlechtsmerkmale verstossen gegen das Recht auf Gesundheit und das Recht auf Selbstbestimmung. Deshalb sollten intergeschlechtliche Kinder nicht an den Genitalien operiert werden, wenn keine akute medizinische Notwendigkeit vorliegt. Eltern und Betroffene müssen ausreichend informiert und unterstützt werden.


Menschen, die in Deutschland und Dänemark mit einer Variation der Geschlechtsmerkmale zur Welt kommen, werden häufig als Kinder oder Jugendliche operiert oder hormonellen Behandlungen unterzogen. Diese Eingriffe sind unumkehrbar und können langfristige körperliche und seelische Folgen haben. Dies beschreibt der Amnesty-Bericht «Zum Wohle des Kindes? – Menschenrechtsverletzungen an intergeschlechtlichen Kindern in Deutschland und Dänemark». Amnesty führte insgesamt rund 70 Interviews mit Betroffenen und Aktivistinnen sowie mit Eltern, Ärztinnen und Experten.

«Wenn Kinder einer Genitaloperation oder anderen Behandlungen unterzogen werden, so kann dies schwere körperliche und seelische Schäden nach sich ziehen. Werden diese Behandlungen ohne akute medizinische Notwendigkeit vorgenommen, verstossen sie gegen internationale Menschenrechtsstandards wie die Rechte auf Gesundheit und auf Selbstbestimmung», sagt Maja Liebing, Expertin für die Rechte von intergeschlechtlichen Menschen bei Amnesty International in Deutschland. Betroffene und Eltern berichteten Amnesty von wiederkehrenden Schmerzen und psychischen Problemen.

Die Auswirkungen dieser Eingriffe sind bisher kaum wissenschaftlich untersucht: «In der Praxis empfehlen Ärzte den Eltern häufig Genitaloperationen, um die Kinder zu ‚normalisieren‘. Dabei werden die Eltern nur unzureichend über Methoden und Folgen der Operation informiert oder psychologisch unterstützt», so Liebing. Vielen Betroffenen fehlen auch im Erwachsenenalter die notwendigen Informationen über die vorgenommenen Eingriffe. «Wenn Verjährungsfristen abgelaufen sind und relevante Informationen fehlen, ist es fast unmöglich, eine Entschädigung für die erfahrenen Menschenrechtsverletzungen einzufordern», kritisiert Liebing.

«Zwar gibt es gute Leitlinien für die Behandlung von Menschen mit Variationen der Geschlechtsmerkmale, diese sind jedoch nicht verbindlich genug», so Liebing weiter. Amnesty International fordert deshalb die deutsche und die dänische Regierung auf, dies zu ändern und somit sicherzustellen, dass mit Ausnahme von Notfallbehandlungen keine Eingriffe durchgeführt werden. Jede Behandlung sollte wenn möglich aufgeschoben werden, bis das Kind die Reife besitzt, um über seinen Körper mitzuentscheiden.

FORDERUNGEN

Amnesty International fordert:

  1. dass sichergestellt wird, dass Krankenhäuser invasive und irreversible Genitaloperationen und Hormonbehandlungen an Kindern und Jugendlichen mit Variationen der Geschlechtsmerkmale, einstellen, wenn es sich nicht um Notfallmassnahmen handelt. Erst wenn diese in der Lage sind, aussagekräftig an der Entscheidungsfindung mitzuwirken und ihre informierte Einwilligung zu geben, darf ein Eingriff durchgeführt werden.
  2. dass es Personen, die das ihnen zugewiesene Geschlecht ändern möchten, ermöglicht wird, dies durch ein schnelles, transparentes und frei zugängliches Verfahren zu tun.
  3. dass Erwachsene, die einer schädlichen und unnötigen medizinischen Behandlung unterzogen wurden, Schadensersatz oder einer anderen Form staatlicher Entschädigung erhalten.

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