Im April 2015 hat das Maltesische Parlament ein Verbot von frühkindlichen Operationen zur Normalisierung des Geschlechts beschlossen. Malta ist das erste Land, welches diesen Schritt macht und damit eine langjährige Forderung der Intersex-Bewegung erfüllt. Damit ist die Mittelmeerinsel mit einem Schlag zum Vorbild für ganz Europa geworden.

Das Gesetz klingt sperrig: Der Gender Identity, Gender Expression and Sex Characteristics Act. Dass es in Malta beschlossen wurde, hängt mit der Person Silvan Agius zusammen: Bevor Silvan 2010 ins Maltesische Ministerium für Gesundheit und Soziales wechselte, war er bei ILGA Europe tätig – dem europäischen LGBTI-Dachverband. Ende 2013 holte er das internationale Intersex-Forum nach Malta und verschaffte der Konferenz Aufmerksamkeit auf höchster politischer Ebene. Die Gesundheitsministerin war anwesend und sprach mit Betroffenen. Aktivist_innen und Gesetzgebende trafen aufeinander – damit war das legislative Verfahren ins Rollen gebracht.

DIE GESCHICHTE DER INTERSEX-BEWEGUNG

Die Intersex-Bewegung ist ein Vierteljahrhundert alt. In den 1990er-Jahren verschafften sich von Menschenrechtsverletzungen Betroffene zum ersten Mal Gehör und zeigten auf, welche emotionalen, körperlichen und seelischen Schäden frühkindliche, irreversiblen Operationen zur Geschlechtszuweisung bewirken können. Viele verloren durch diese Eingriffe ihre sexuelle Sensibilität, kämpften ein Leben lang mit den Folgen. Gängige Praxis wurde die operative Geschlechtszuweisung in den 1950er-Jahren. Damals nahm die Medizin an, dass sich die Geschlechtsidentität erst nach dem zweiten Lebensjahr herausbildet. In dieser vereinfachten Sichtweise entwickelt sich die Geschlechtsidentität aufgrund der vorhandenen genitalen Merkmale, das Geschlecht wird nach diesem Verständnis der anfänglich neutralen kindlichen Psyche anerzogen. Die operative Geschlechtszuweisung sollte Eindeutigkeit schaffen. Eine wichtige Rolle spielten damals auch die Fortschritte, um in der Chirurgie solche Operationen überhaupt durchführen zu können.

Die Entwicklung der Geschlechtsidentität ist jedoch ein viel komplexerer Vorgang; die Zuordnung genitaler, hormoneller und genetischer Geschlechtsmerkmale in das dichotome System von Mann und Frau ist ein Trugschluss zu Lasten von Vielfalt. Dennoch spricht die Medizin bis heute von „Störungen der Geschlechtsentwicklung“ (kurz DSD). Nach Schätzungen sind 1-2% aller Neugeborenen intersexuell, wie viele davon im Säuglingsalter operiert werden, ist unklar. Intersexualität kennt viele Erscheinungsformen. Bei der Entscheidung für oder gegen den Eingriff spielt es eine zentrale Rolle, ob Psycholog_innen einbezogen und die Erziehungsberechtigten gut informiert werden.

Intersex: Malta geht voran - BegriffeDAS MALTESISCHE GESETZ

Der Gender Identity Act in Malta beinhaltet Bestimmungen zum Schutz vor Diskriminierung und das Recht auf profunde medizinische und psychologische Unterstützung. Die beiden Hauptteile betreffen das Recht auf körperliche Integrität und auf die Angleichung der Geschlechtsidentität.
Das Gesetz verlangt für medizinische Eingriffe zwingend die bewusste Zustimmung der betroffenen Person. Insbesondere verbietet es alle operativen Geschlechtszuweisungen bei Minderjährigen, die aufgeschoben werden können. Eingriffe sind nur dort zwingend, wo sonst die Gesundheit des Kindes gefährdet wäre. Unter besonderen Umständen können sich die Erziehungsberechtigten an eine staatliche Kommission wenden und die Behandlung genehmigen lassen. Diese interdisziplinäre Kommission setzt sich neben medizinischen Expert_innen aus Menschenrechtler_innen und Psycholog_innen zusammen. Dieses Verfahren schafft einen transparenten Rahmen, bei dem ein interdisziplinäres Team einbezogen wird und alle Beteiligten informiert werden.

Das Gesetz regelt auch die Geschlechtsangleichung: Die Anpassung des Geschlechts bzw. der Geschlechtsidentität ist ein notarieller Akt. Chirurgische Geschlechtsanpassungen, Hormontherapien oder andere psychologische, psychiatrische oder medizinische Behandlungen sind nicht zwingend. Eine klare und eindeutige Erklärung, warum die Person die Geschlechtsidentität anpassen möchte, reicht aus. Für Minderjährige können die Erziehungsberechtigten beim Gericht einen Antrag stellen. Diese sind auch verpflichtet, vor dem 14. Geburtstag ihres Kindes eine Erklärung abzugeben, falls das Geschlecht bei der Geburt nicht deklariert wurde.

FAZIT

Das wegweisende Vorgehen von Malta fand international ein grosses Echo und sehr viel Zuspruch. Hida Viloria, eine der bekanntesten Intersex-Aktivist_innen, nennt das Gesetz radikal. Für sie sind irreversible Operationen an IntersexKindern Genitalverstümmelungen, und als solche sollten sie behandelt werden: Sie verlangt ein Verbot. Als einziges Manko am maltesischen Gesetz kritisiert Hida, dass das Operationsverbot in der Art wie es formuliert ist, einen Aufschub impliziert: „treatment and, or intervention can be deferred until the person to be treated can provide informed consent“. Das ist die ärztlich-medizinische Sichtweise: Nicht ob operiert werden muss ist die Frage, sondern wann.

Das Gesetz in Malta ist kein spezifisches Intersex-Gesetz, es ist ein allgemeingültiger Rechtsanspruch jede_s_r Einzelnen, ihre_seine Geschlechtsidentität frei wählen zu können. Diese Möglichkeit wird genutzt: In den ersten neun Monaten nach Inkrafttreten wurden bereits 40 Angleichungen der Geschlechtsidentität registriert. In den ganzen 15 Jahren davor gab es bloss 17 Fälle. Frei wählen heisst auch, über seinen eigenen Körper bestimmen zu können. Ob die angeborene Besonderheit als solche akzeptiert wird oder ob die körperliche Integrität nur über operative Anpassung erreichbar ist, liegt in der Selbstbestimmung des Individuums – auch wenn sich dieses nicht in einem Vakuum, sondern in gesellschaftlichen Strukturen entwickelt.

Die Schweiz ist noch längst nicht so weit wie Malta. Immerhin hat die Schweizer Ethikkommission vor vier Jahren empfohlen, medizinische Behandlungen an Kindern zur Normalisierung des Geschlechts aufzuschieben. In ihrem Bericht heisst es: Die gängige Praxis ist mit den Grund- und Menschenrechten nicht vereinbar. Operative Eingriffe werden in der Schweiz wie in vielen anderen Ländern jedoch immer noch durchgeführt. Die ethischen Einwände verblassen gegenüber ärztlichem Berufsstolz und sozialen Zwängen.

Dieser Artikel erschient im Queeramnesty Magazin Nr. 2.