Drohende Kriminalisierung, Hetze von Regierungsseite, Folterstrafen nach Scharia-Urteilen, Razzien und Demütigungen durch die Polizei: für LGBTI*-Personen in Indonesien wird die Lage immer unerträglicher. weil die Schweiz gerade ein Handelsabkommen mit Indonesien aushandelt, könnte sie gut hörbar dagegen protestieren.

Seit etwa zwei Jahren folgt aus Indonesien eine deprimierende Nachricht nach der anderen: Einerseits werden Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Interpersonen von staatlicher Seite diskriminiert, angegriffen und inihren Menschenrechten beschnitten. Andererseits fördern Stimmungsmache von Seiten der Regierung und religiöser Gruppen auch Hass und Gewalttaten der Bevölkerunggegen sexuelle und geschlechtliche Minderheiten.

Einige Beispiele aus den vergangenen Monaten zeigen, wie dramatisch die Lage ist:

SCHWULES PAAR VOM MOB «ERWISCHT»: 83 STOCKHIEBE 

  • Im Mai 2017 erhielten zwei Männer im Alter von 20 bzw. 23 Jahren in der nordindonesischen Provinz Aceh je 83 Stockhiebe, nachdem ein Mob in ihre Wohnung eingedrungen war und sie angeblich im Bett «erwischt» hatte. In dieser besonders konservativen Provinz Indonesiens gilt für alle Muslime – also 98% der Bevölkerung – die Scharia, die für Sex unter Männern bis zu 100 Schläge vorsieht. Diebrutale Strafe wurde öffentlich vor mehr als 1000 Schau- lustigen vollzogen.
  • Eine ähnliche drakonische Folterstrafe droht vier Menschen, die im März 2018 in der Provinzhauptstadt Banda Aceh festgenommen wurden: Bürger drangen in einePrivatwohnung ein, riefen die Scharia-Polizei und veranlassten so die Verhaftung zweier Studenten wegen schwulem Sex. Bei einer weiteren Razzia in einem Coiffeursalon nahmen die Beamten einen Mann und eine trans Frau fest. Angeblich wurden dabei Beweise für Sexarbeit und gleichgeschlechtliche Handlungen gefunden – darunter Kondome und Geld, das für den Sex bezahlt worden sei.

DEMÜTIGUNG VON TRANS MENSCHEN: «JETZT SIND SIE GLÜCKLICH»

  • Im Januar 2018 verhaftete die Polizei in Aceh zwölf transMenschen, die in Schönheitssalons arbeiteten, um sie einer «Umerziehung» zu unterziehen. Die Festgenommenen wurden den Medien vorgeführt und gedemütigt, einigen wurden auch die Haare abrasiert. Erst nach einem Versprechen, sich künftig «wie Männer» zu verhalten und anzuziehen, wurden die Opfer freigelassen. Der örtliche Polizeichef sagte der Nachrichtenagentur DPA: «Wir haben ihnen geholfen, zu ihrer wahren Natur als Männer zurückzukehren (…). Jetzt sind sie glücklich.» Usman Hamid, Geschäftsführer von AmnestyInternational Indonesien, kritisiert die Aktion scharf: «Die sogenannte ‹Umerziehung› von trans Menschen durch die Polizei ist nicht nur erniedrigend und unmenschlich, sondern ein klarer Verstoss gegen die Menschenrechte.»

GESETZESVORHABEN: 5 JAHRE HAFT FÜR HOMOSEXUELLE HANDLUNGEN

  • Ausserhalb der Provinz Aceh ist Homosexualität nicht verboten – noch nicht. Geht es nach einem derzeit vom Repräsentantenhaus diskutierten Gesetzesentwurf, sollen inZukunft ausserehelicher Sex und homosexuelle Handlungen mit Haft von bis zu 5 Jahrenbestraft werden. Die zehn grössten Parteien des Landes stehen hinter diesem Vorhaben, sodass eine baldige Umsetzung sehr wahrscheinlich ist.
  • Inzwischen werden fürRazzien und Prozesse gegen die queere Community andere Tatbestände herangezogen: Im Dezember 2017 wurden Manager, Mitarbeiter und Besucher einer Schwulensauna in Jakarta zu Gefängnisstrafen verurteilt – jeweils wegen angeblicher Verstösse gegen ein Anti-Pornografie-Gesetz.

MINISTER: «SCHLIMMER ALS EIN ATOMKRIEG»

  • Regierungsvertreter sorgen mit teils geradezu absurden Aussagen dafür, dass in derBevölkerung der ohnehin schon weit verbreitete Hass auf LGBTI* weiter geschürt wird. So fand etwa der indonesische Verteidigungsminister Ryamizard Ryacudu, die Akzeptanz von Homosexuellen sei «schlimmer als ein Atomkrieg». Schwule und Lesben müssten «mit einer Art moderner Kriegsführung» bekämpft werden.
  • Das Gesundheitsministerium hat angekündigt, Homo-sexualität wieder in die Liste der psychischen Krankheiten aufzunehmen – ein klarer Widerspruch zum Standpunkt der Weltgesundheitsorganisation.
  • Bei den rund 250 Millionen Einwohner_innen Indonesiens fallen derartige Anfeindungen auf fruchtbaren Boden: 93% waren nach einer Studie des Pew Research Center bereits im Jahr 2013 dagegen, dass die Gesellschaft Homosexualität akzeptiert. Diese Ablehnung schlägt manchmal auch inGewalt um – zuletzt Mitte April 2018, als ein 21-jähriger Mann einen Bekannten umbrachte, weil er ihn in eine schwule WhatsApp-Gruppe eingeladen hatte. 
  • Dazu kommen Einschränkungen der Versammlungs- und Meinungsfreiheit: LGBTI*-Veranstaltungen werden mit fadenscheinigen Begründungen verboten oder aufgelöst, etwa nach Beschwerden von radikal islamischen Organisationen. Die indonesische Rundfunkkommission empfahl Radio- und Fernsehstationen, alle Programme einzustellen, die LGBTI*-Aktivitäten fördern, um «Kinder davor zu bewahren, unanständiges Verhalten zu lernen».

ZYNISCHE REAKTION AUF PROTESTE

All diese Verletzungen von LGBTI*-Rechten haben natürlich bereits internationale Proteste ausgelöst – unter anderem von Amnesty International. Ein Erfolg ist bisher allerdings nichterkennbar. Besonders zynisch reagierte die Provinz Aceh auf die Kritik an den öffentlichen Stockhieben und Auspeitschungen: In Zukunft sollen die Folterungen nicht mehr vor Publikum, sondern hinter den Gefängnismauern stattfinden, wie der Leiter des Sharia Law Departments Mitte April bekannt gab.

THEMA BEI HANDELSABKOMMEN MIT DER SCHWEIZ?

Eher zufällig hätte aber gerade die Schweiz nun eine Gelegenheit, ein deutliches Zeichen gegen die bedrohliche Entwicklung in Indonesien zu setzen: Die mehrere Jahre dauernden Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen den beiden Ländern sind auf der Zielgeraden. Pink Cross fordert – mit Unterstützung von Queeramnesty und weiteren Organisationen – den zuständigen Bundesrat Johann Schneider-Ammann auf, sich für die Einhaltung der Menschenrechte von queeren Menschen einzusetzen. Das Thema solle, so der Brief, in das Kapitel der Nachhaltigkeit oder zumindest in die Präambel einfliessen.

Foto zeigt eine Demo in Banda Aceh: «LGBT ist kein Menschenrecht» lautet eine der Parolen auf den Plakaten.(Antara Foto/Irwansyah Putra/via REUTERS) 

Der Brief an den Bundesrat ist noch in Planung und wurde noch nicht versandt (Stand 28. Juli).

Petition der Schweizer LGBT-Dachorganisationen: https://www.change.org/p/gay-ch-die-schweiz-soll-sich-in-indonesien-für-lgbt-rights-statt-für-den-freihandel-einsetzen?utm_source=embedded_petition_view