Das Jahr 1969 markiert die Gründung einer Bewegung. In diesem Jahr wehrten sich in New York erstmals Lesben, Trans*-Menschen, Bisexuelle und Schwule lautstark gegen die Polizeigewalt. Bald taten es ihnen queere Gruppen im In- und Ausland gleich. Heute gehen jedes Jahr Millionen von Menschen auf der ganzen Welt auf die Strassen, feiern und setzen zugleich ein zeichen für Offenheit, Toleranz, Liebe und grundlegende Menschenrechte. Es wurde bereits viel erreicht, dennoch ist diese Bewegung heute nötiger denn je. 

 

An der Pride in Zürich gingen am 11. Juni 12’000 Personen auf die Strasse. Eine Gruppe von Menschen mit einer Behinderung führte dieses Jahr den Umzug an – ein schönes Zeichen, dass es bei der Pride nicht nur um weisse, schwule Männer geht. Ein klares, einheitliches politisches Statement für die Rechte von LGBTI* fehlte in Zürich jedoch leider auch dieses Jahr. Die deutlich kleinere Pride in Fribourg zwei Wochen später stand dagegen mit dem Transgender-Network Switzerland (TGNS) unter dem Motto «Stop gender-based violence und discriminations». Eine riesige Trans*-Flagge flatterte zwei Tage lang über dem Festivalgelände, bei der Kundgebung wurden Trans*-Fähnchen verteilt und bei den Eröffnungsreden die Inklusion von Trans*-Menschen besonders hervorgehoben. Gerade die Tatsache, dass die meisten Teilnehmenden die Trans*-Flagge überhaupt nicht kannten, zeigt, wie wichtig diese Thematisierung auch innerhalb der LGBTI*-Community ist.

Die Abwesenheit politischer Inhalte in der Deutschschweiz schlug sich auch in medialer Unsichtbarkeit nieder. Die grossen überregionalen Zeitungen berichteten von den beiden Paraden nur am Rande. Die NZZ witzelte mit der Überschrift «Banker, Pöstler, Sportvereine» über die Alltäglichkeit des Umzuges.

Queeramnesty war mit einer bunten Gruppe vertreten, umgeben von Hunderten gelber Luftballons. Mit uns liefen auch dieses Jahr rund zwanzig Personen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität ihr Heimatland verlassen mussten und hier Schutz suchen. Für sie ist die Pride jeweils ein besonderes Ereignis, denn viele von ihnen mussten sich nicht nur in ihrer Heimat mit ihrer sexuellen Orientierung bzw. Geschlechtsidentität verstecken, sondern sind dem Versteckspiel in den Asylzentren in der Schweiz noch heute ausgeliefert. Queere Veranstaltungen wie die Pride bieten, wenn auch nur für kurze Zeit, ein Entkommen.

Einen Tag nach der fröhlichen Pride in Zürich massakrierte Omar Mateen im Klub Pulse in Orlando 49 Menschen. Der Massenmord in Florida galt einer bestimmten Gruppe, einer bestimmten Lebensweise, es war ein Angriff auf die Gemeinschaft von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Trans*-Menschen. Mit dem Angriff auf das Pulse traf Omar Mateen nicht einfach einen Platz, an dem sich junge Männer treffen, er traf einen Raum, in dem sich junge queere Leute sicherfühlten. Eine Nacht im Klub gehört für viele LGBTI* zu den wenigen Momenten, in denen sie nicht allein sind, nicht belächelt oder misstrauisch beäugt werden, sondern völlig angstfrei sie selbst sein können. Das gilt besonders für eine Stadt wie Orlando. Denn die USA sind ausserhalb der liberalen Städte an Ost- und Westküste gegenüber LGBTI*-Menschen ein repressives, konservatives und latent aggressives Land. Die genauen Motive des Täters sind bis heute unklar, aber es liegt nahe, dass er aus Hass auf queere Menschen gehandelt hat. Das Massaker traf die LGBTI*Community in ihrem Feiermonat. Es erinnert uns schmerzlich an die Grenzen der offenen Gesellschaft. Cis- und Heterosexismus sind Alltag – auch in der westlichen Welt.

Das Wort «Pride» ist mittlerweile zum Synonym für Partys und Demonstrationen geworden. Das ist auch gut so. Die Prides auf der ganzen Welt sollen eine offene, tolerante Bewegung aus Menschen mit den verschiedensten Hintergründen verkörpern. Dabei sollten wir vermeiden, die unterschiedlichen Gruppen gegeneinander auszuspielen. Um vereinend zu wirken, braucht es aber ein gemeinsames Motto mit konkreten politischen Forderungen. Forderungen, auf die jede teilnehmende Organisation, Gruppe und Firma Bezug nehmen sollte. Und die Pride darf dabei nicht zur Werbeplattform von Diversity-Abteilungen grosser multinationaler Unternehmen und zum Propagandamittel von Ländern des reichen Nordens mutieren: Das Recht, seine sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität zu leben, ist ein Menschenrecht, das rund um die Welt gelten muss.

Es braucht mehr queere Vielfalt und zusätzliche Anreize der Pride-Organisatoren, um neue Gruppen an die Pride zu bringen und diese zu vernetzen. Denn die LGBTI*-Bewegung muss Antworten geben: auf den zunehmenden gesellschaftlichen Stillstand, das Ausbleiben der Rechtsgleichheit, das Erstarken cis- und heterosexistischer Stimmungen bis in die gesellschaftliche Mitte, das Sich-Ausbreiten rassistischer und homonationaler Ressentiments in der eigenen Lebenswelt. Dafür braucht es den Druck von der Strasse ebenso wie politische Handlungsfähigkeit innerhalb der Bewegung – es braucht also ein Miteinander. Die Community ist so bunt wie die Pride selbst.

Prides sind wichtiger denn je – als Community-Feste, zur Aneignung von öffentlichem Raum, als Manifestation queerer Vielfalt! Sie sind einer der wenigen Momente, an denen die queere Community einen öffentlichen Platz sichtbar und stolz für sich einnimmt.