Donald Trump ist gerade mal seit Mitte Januar im Amt und hat bereits eine Fülle von Dekreten unterschrieben, die insbesondere trans und nonbinären Menschen das Leben schwer machen. Obwohl das meiste davon gerichtlich angefochten ist – mit offenem Ausgang –, belastet nur schon die Unsicherheit enorm, wie es nun weitergeht.
In von Republikaner*innen kontrollierten US-Bundesstaaten weht für die queere Community schon länger ein rauer Wind. Hunderte von Gesetzen wurden in den vergangenen Jahren formuliert und teils auch verabschiedet, um insbesondere die Rechte von trans und nonbinären Menschen einzuschränken. Parallel dazu zwangen die konservativen Politiker*innen zahllose Schulbibliotheken dazu, Bücher zu entfernen, deren Inhalte nicht ihrem Weltbild entsprechen – darunter auch viele queere Werke.
Dass sich diese Politik in der zweiten Amtszeit Donald Trumps auf das ganze Land ausbreiten könnte, war zu befürchten. Aber das hohe Tempo, das der wiedergewählte US-Präsident auch in diesem Bereich an den Tag legte, überraschte dann doch viele. Die Blaupause dafür ist wohl das «Project 2025», ein weitreichender Plan der sehr konservativen Heritage Foundation zur politischen und gesellschaftlichen Umgestaltung der USA. Darin finden sich auch diverse Massnahmen, um die Freiheiten und Rechte queerer Menschen einzuschränken.
Wird sich Trump an Gerichtsurteile halten?
Im Wahlkampf hatte sich Trump zwar von «Project 2025» distanziert, doch faktisch setzt er nun in seinen Dekreten vieles um, darunter auch zahlreiche queerfeindliche Vorhaben. Diese wirken sich schon jetzt auf das Leben von LGBTQIA+ Amerikaner*innen aus – von der Gesundheitsversorgung über die rechtliche Anerkennung bis hin zum Schutz vor Diskriminierung. Und auch wenn gegen fast alle von Trumps Dekreten Klagen vorliegen, ist die Verunsicherung gross: Was werden die Gerichte entscheiden? Und wird sich der Präsident an die Urteile halten, falls diese nicht in seinem Sinne ausfallen?
Auf das allmächtige Oberste Gericht hoffen auch viele queerfeindliche Konservative, die sich bis heute nicht damit abfinden können, dass schwule und lesbische Paare seit 2015 landesweit heiraten dürfen. Es war das Oberste Gericht, das dies vor zehn Jahren entschied – nun gibt es diverse Klagen in republikanisch regierten Bundesstaaten, die darauf abzielen, dass es sich erneut mit dem Thema befasst. In der Hoffnung, dass der Entscheid anders ausfällt, nun da sechs der neun Richter*innen dem konservativen Lager angehören. Auch hier ist völlig offen, wie es weitergeht. Sollte sich das Gericht entscheiden, das Urteil von 2015 aufzuheben, und es – wie bei der Abtreibung – den einzelnen Bundesstaaten überlassen, wie sie mit dem Thema umgehen, dürfte auch in diesem Bereich ein chaotischer Flickenteppich entstehen.
Ein (unvollständiger) Überblick über Trumps wichtigste Dekrete:
- Neuklassifizierung von «Geschlecht» als feste biologische Tatsache: Am ersten Tag von Trumps Amtszeit wurde die Executive Order 14168 erlassen, die offiziell nur zwei Geschlechter anerkennt, männlich und weiblich.
- Aufhebung der Title-IX-Richtlinien aus der Biden-Amtszeit, die queere Studierende vor Diskriminierung in Schulen und Universitäten schützen sollten.
- Verbot von geschlechtsangleichender Versorgung für Personen unter 19 Jahren, darunter medizinische, chirurgische und psychiatrische Leistungen.
- Ausschluss von trans und nichtbinären Amerikaner*innen von der militärischen Einberufung, zudem Aussetzung geschlechtsangleichender Betreuung von Soldat*innen und Veteran*innen. Mit der Begründung, dass «die Annahme einer Geschlechtsidentität, die nicht mit dem eigenen Geschlecht vereinbar ist, mit dem Engagement eines Soldaten für einen ehrenhaften, ehrlichen und disziplinierten Lebensstil kollidiert».
- Aufhebung von Richtlinien, die Adoptions- und Pflegeagenturen die Diskriminierung von queeren Personen und gleichgeschlechtlichen Paaren untersagten.
- Verbot für trans Frauen, im Sport gegen cis Frauen anzutreten – nicht nur im Profisport, sondern auch an Schulen und Universitäten.
«Man kann nicht einfach jeden hassen, der Trump gewählt hat»
Die queere Amerikanerin Tams lebt schon länger in der Schweiz und ist schockiert über Donald Trumps radikal queerfeindliche Agenda. Sie ist froh, in Europa einen sicheren Ort für sich gefunden zu haben. Die Hoffnung für ihr Land hat sie trotz allem noch nicht aufgegeben.
Wie beurteilst du den Anfang von Donald Trumps zweiter Amtszeit? Hast du das so erwartet oder bist du überrascht?
Thematisch ist es das, was ich erwartet habe. Aber die politischen Umbaupläne wie sie im «Project 2025» formuliert sind, erschienen mir anfänglich dystopisch. Ich hätte nie gedacht, dass die Trump-Regierung so schnell so viel davon umsetzen würde. Sie realisieren Dinge, für die sie vor fünf Jahren noch als verrückt betrachtet worden wären – auch wenn das meiste davon gerichtlich angefochten worden ist. Allerdings wissen wir noch nicht, ob Trump-kritische Urteile letztlich durchgesetzt werden können. Wenn keiner der führenden Republikaner*innen gegen ihn aufsteht und die Regierung die Gerichtsurteile nicht respektiert, werden sich die USA vielleicht nie von dieser Zeit erholen.
Besonders betroffen von Trumps queerfeindlichen Dekreten sind trans Menschen. Wie erlebst du das?
Es ist herzzerreissend zu sehen, was da passiert. Eine Freundin von mir hat ein trans Kind und versucht bereits, das Land zu verlassen. Das gilt auch für einige andere Familien. Eine Bekannte von mir versucht einer Freundin zu helfen, in die Schweiz zu kommen, aber noch gilt die Verfolgung von trans Menschen in den USA nicht als Asylgrund. Sie wird also wahrscheinlich nur drei Monate bleiben können, und wenn sie danach zurückmuss, könnte alles noch schlimmer sein.
«Ich wuchs in einer sozialen Blase aus sehr rechten, im Militär dienenden Südstaatlern auf. So hörte ich nie etwas anderes als die republikanische Sichtweise.»
Du selbst bist in einem sehr republikanischen Umfeld aufgewachsen. Wie hast du das erlebt?
Meine Familie kommt ursprünglich aus South Carolina. Aber weil mein Vater beim Militär war, zogen wir etwa alle drei Jahre um. In den USA lebten wir in Idaho, Missouri und Kalifornien, einige Zeit aber auch in England und Schottland. Ich befand mich also in vielen verschiedenen Umgebungen, wuchs aber in einer sozialen Blase aus sehr rechten, im Militär dienenden Südstaatlern auf. So hörte ich nie etwas anderes als die republikanische Sichtweise. Bis ich 1997 nach Europa reiste, um zu studieren, und danach nach Kalifornien zog, hatte ich schlicht keinen anderen Zugang zu Informationen und glaubte daher tatsächlich, heterosexuell, monogam und republikanisch zu sein. Ich wusste zwar, dass es heterosexuelle und homosexuelle Menschen gibt, aber ich hatte nicht einmal den Wortschatz, um zu verstehen, was ich war.
Wie hat sich das geändert?
Durch das Kennenlernen neuer Leute. Ein Freund, der mir nie Vorträge hielt oder mich korrigierte, sondern manchmal einfach im richtigen Moment die richtige Frage stellte, hat mir dabei geholfen. Ich bin immer noch der Meinung, dass es der richtige Weg ist, Menschen zum Nachdenken zu bringen, anstatt sie anzugreifen. Das hat bei mir zwar nicht alles auf einmal verändert, aber ich begann, an rechter Politik zu zweifeln. Während der Bush/Gore-Wahl im Jahr 2000 habe ich tagelang Fragebogen ausgefüllt, um herauszufinden, wen ich wählen sollte – und habe am Ende nicht gewählt, weil ich immer in der Mitte landete. Aber als Barack Obama 2008 kandidierte, war mir alles schon viel klarer. Ich stand voll hinter seinen Ideen und engagierte mich ehrenamtlich für seinen Wahlkampf.
War Obama nicht zu Beginn seiner Amtszeit auch gegen die gleichgeschlechtliche Ehe?
Ja, aber damals habe ich noch nicht so gründlich recherchiert wie heute. Ausserdem hat er sich für DEI-Politik engagiert (DEI: Diversity, Equity and Inclusion, also Vielfalt, Gerechtigkeit und Inklusion) und dies in einer Weise erklärt, die mich überzeugt und in mir Empathie geweckt hat.
Tams (ganz rechts) an einer Demonstration für queere Rechte in Columbia, South Carolina.
War das auch die Zeit, als du dich geoutet hast?
Ja. Zuerst sah ich mich als bi-curious, aber heute würde ich mich als homoflexibel bezeichnen (an sich bi, aber mit stärkerer Neigung zum eigenen Geschlecht). Ich habe das Glück, in einer Beziehung zu sein, in der all das Raum findet. Mein Mann und ich sind immer noch zusammen, haben jedoch beide auch andere Partnerschaften. Er war von Anfang an liberal. Er freute sich über meine politische Entwicklung und lässt mich gern mich selbst sein.
Wie ging deine Familie mit deinem Coming-out um?
Kurz bevor Donald Trump 2016 zum ersten Mal gewählt wurde, hatte ich mich bei meinen Eltern geoutet, und sie sprachen monatelang nicht mit mir. Als wir wieder anfingen zu reden, konnten wir einfach nicht aufhören zu streiten. Ich lebte zu diesem Zeitpunkt bereits in der Schweiz und sah meine Eltern während seiner gesamten ersten Amtszeit nicht. Dann kam Covid, und ich musste noch länger wegbleiben. Das Thema führte jedes Mal zu noch mehr Streit, als wir ohnehin schon hatten.
Wie kam es dazu, dass du dann doch wieder in die USA gereist bist?
Mein Vater wurde krank und kam in ein Hospiz, wo ich ihn regelmässig besuchte. Um Streit zu vermeiden, haben wir einfach beschlossen, zu Hause nicht über Politik zu reden. Mit Trumps zweiter Amtszeit verlagerte sich das Problem für mich von meiner Familie in die Öffentlichkeit. Als ich nach seiner Wahl in die USA zurückkehrte, fühlte ich mich zum ersten Mal bei der Einreise nicht sicher. Ich habe mein Regenbogen-Tattoo bei der Immigration abgedeckt, weil ich Angst hatte, festgenommen zu werden. Früher hatte ich nie Angst an der Grenze, weil ich Staatsbürgerin bin. Heute fühlt es sich an, als ob ich einer verfolgten Gruppe angehöre.
«Unsere queeren Kinder werden in der Schule nicht die Informationen erhalten, die sie brauchen, um ihre Situation und ihr Land zu verstehen. Die entsprechenden Bücher werden verboten und die Lehrer*innen mundtot gemacht.»
Was ist deine grösste Sorge für weitere Entwicklungen in den USA?
Der SAVE Act. Dieser Gesetzentwurf schreibt vor, dass man seine Identität zwingend mit einer Geburtsurkunde oder einem Reisepass dokumentieren muss, um wählen zu dürfen. Die grosse Mehrheit der US-Bürger*innen verfügt jedoch nicht über einen Reisepass. Und bei den meisten verheirateten Frauen oder trans Menschen steht auf der Geburtsurkunde ein anderer Name als ihr aktueller. Dabei geht es nicht nur um Frauenhass und Transphobie, sondern auch darum, an der Macht zu bleiben: Allen, die potenziell nicht die republikanische Partei wählen, soll das Wahlrecht entzogen werden.
Erschreckend ist auch, dass die Regierung immer mehr die Kontrolle übernimmt, was in Schulen gelehrt werden darf und was nicht. So verändert sie quasi die Geschichte für die jüngeren Generationen und löscht jene Stimmen und Erinnerungen aus, die der aktuellen Administration nicht gefallen. Unsere queeren Kinder werden in der Schule nicht die Informationen erhalten, die sie brauchen, um ihre Situation und ihr Land zu verstehen. Die entsprechenden Bücher werden verboten und die Lehrer*innen mundtot gemacht. Und die Kinder, die nicht queer sind, werden nicht erfahren, dass wir überhaupt existieren, weil wir schweigen müssen.
Was tust du, um dich zu engagieren, ohne dich gleichzeitig einem Risiko auszusetzen?
Die Leute raten mir, nicht mehr auf Facebook zu posten, was mir besonders schwerfällt, wenn ich in der Schweiz bin und nicht selbst vor Ort demonstrieren kann. Denn ich habe das Gefühl, online etwas bewirken zu können, wenn ich auf eine geduldige Art die Hand zu denen in meinem Bekanntenkreis ausstrecke, die sich nicht sicher sind. Während meines letzten Aufenthalts in den USA habe ich an zwei Demonstrationen in Columbia, South Carolina, teilgenommen. Eine war eine 50501-Demonstration (50 states, 50 marches, 1 voice), die andere eine Frauendemonstration. Wir hielten Schilder hoch, drehten Kreise vor dem Parlament und skandierten laute Parolen, wie man es aus dem Fernsehen kennt. Und die Leute in den vorbeifahrenden Autos hupten, wenn sie zustimmten, und zeigten uns den Mittelfinger, wenn sie nicht zustimmten. Es gab einige interessante Reden. Die Botschaft war, dass man nicht einfach jeden hassen kann, der Trump gewählt hat. Denn viele dieser Leute haben noch nicht realisiert, wofür sie da gestimmt haben. Und wenn sie merken, dass sie einen Fehler gemacht haben, sollen sie sich bei uns willkommen fühlen.
«Es sind vor allem die Klagen gegen Dekrete und Gesetzesentwürfe, die die grösste Chance haben, die Lage stabil zu halten. Auch wenn unklar ist, ob die Trump-Regierung die Entscheide der Gerichte respektieren wird.»
Was denkst du über die Reaktion der demokratischen Partei auf all dies?
Anfangs haben sie nicht viel unternommen und waren viel zu ruhig. Aber zum Glück hat sich das jetzt geändert. Ich denke allerdings, dass es vor allem die Klagen gegen Gesetzesentwürfe wie den SAVE Act sind, die die grösste Chance haben, die Lage stabil zu halten, auch wenn unklar ist, ob die Trump-Regierung die Entscheide der Gerichte respektieren wird. Aber zumindest können so bestimmte Entwicklungen verzögert werden.
Was hilft dir, mit diesen schwierigen Zeiten klarzukommen?
Schwarzer Humor. Ich liebe zum Beispiel die Pinguin-Memes. Ausserdem habe ich meinen Nachrichtenkonsum geändert: Ich nutze seltener offizielle Quellen und folge dafür Leuten in den sozialen Medien, die Dinge so darstellen können, dass ich mich weniger hoffnungslos fühle. Natürlich ändert das die Geschwindigkeit, mit der ich Informationen erhalte, und ich muss sie auch durch mehr Recherche untermauern. Aber es ist zu frustrierend, dass die offiziellen Quellen oft nicht einmal über die Proteste berichten. Ausserdem versuche ich, positiv zu bleiben: Falls wir einen Ausweg aus all dem finden, könnte es uns sogar stärker machen. Denn was jetzt passiert, zeigt uns die Schwachstellen im System, durch die es überhaupt soweit kommen konnte – und dann werden wir diese beheben können. Ich bin einfach noch nicht bereit, die Hoffnung aufzugeben, und in der queeren und liberalen Community bekomme ich die Unterstützung, die ich dafür brauche. Wir sind noch immer davon überzeugt, dass die USA auch unser Land sind.
Interview: Corin Schäfli