Der Jurastudent Nikola ist 34 und lebt in Serbien. Mit Hilfe von QUEERAMNESTY hat er versucht, in der Schweiz Asyl zu beantragen – ohne Erfolg.

Wenn ich in einem Wort beschreiben müsste, was es heisst, in Serbien schwul zu sein, dann wäre das „verstecken“.

Verstecken vor der Familie, vor Freunden, vor Kollegen am Arbeitsplatz, in der Schule oder an der Universität. Verstecken, weil die serbische Gesellschaft nicht bereit ist zu akzeptieren, dass Schwule „normal“ sind, Menschen, die genau gleich behandelt werden sollten wie alle anderen. Wer sich dennoch outet, wird von seinem sozialen Umfeld verstossen, oft auch von der eigenen Familie. Allen, die es wagen, ihre sexuelle Orientierung öffentlich zu machen, wird bei jeder Gelegenheit signalisiert, was für eine Zumutung sie sind.

Schätzungen gehen davon aus, dass in Serbien rund 600’000 LGBTI*-Menschen leben, aber anders als im Westen bedeutet Homosexualität hier ein Leben im Ghetto und konstante Diskriminierung. Die Medien sind weitgehend offen homophob und publizieren Beiträge voller Intoleranz und Hass. Auch vor Gericht ist es schwierig, sein Recht zu verteidigen anders zu sein – dies zeigt die Erfahrung vieler Schwuler, die Opfer von verbaler oder physischer Gewalt geworden sind und Gerechtigkeit gesucht haben.

Während unsere kleine Gruppe von Ausgestossenen auf bessere Zeiten hofft, wartet das homophobe Serbien darauf, in die Europäische Union aufgenommen zu werden. Zu den Bedingungen dafür gehört das Erlassen eines Gesetzes gegen die Diskriminierung von sexuellen Minderheiten. Dieses ist inzwischen formuliert; sobald es von der Regierung genehmigt ist, wird es vor das Parlament kommen. Was dann passiert – wer weiss.

Nikola5Derweil bleibt es Alltag in Serbien, dass eine Mutter ihren Sohn aus dem Haus wirft, weil der ihr unter Tränen gestanden hat, schwul zu sein. Es bleibt Alltag, dass orthodoxe Priester mit dem Kreuz in der Hand um säurehaltigen Regen beten, der Schwule verätzen soll. Und dass Dinge geschehen, wie ich sie erlebt habe, Dinge, die ich als lebensbedrohlich empfinde.

Es war an einem sonnigen Tag vor etwa vier Jahren. Ich war mit einem Freund zusammen in der Stadt unterwegs, wir lachten, tranken Kaffee, genossen das Leben. Nachmittags ging ich dann allein in einen Park, der als Cruising-Gebiet gilt. Ich sah einen hübschen Typen auf einer Bank, er lächelte mich an. Dann kam er auf mich zu und fragte nach einer Zigarette. Wir begannen zu plaudern.

Plötzlich wurde ich von hinten attackiert. Zwei Typen würgten mich und rissen mir meine Tasche von der Schulter. Sie nahmen mir alle Dokumente und mein Handy ab und drohten mir, sie würden mich umbringen, wenn ich auch nur den Mund öffne. Schnell war klar, dass die beiden zu dem Kerl auf der Bank gehörten, sie arbeiteten zusammen. Und sie verlangten Geld. „Wir haben dich in der Hand, du verdammte Schwuchtel! Wenn du uns kein Geld bringst, kommen wir zu dir nach Hause, wir wissen, wo wir dich finden.“

Als sie mich endlich gehen liessen, ging ich sofort zur Polizei. Die sagte mir, ich solle die Angreifer auf meinem Handy anrufen, das sie behalten hatten, und ihnen sagen, ich hätte das Geld. Was ich tat. Eine Stunde später stand ich am vereinbarten Ort, starr vor Angst, und wartete auf die Bande – versteckt im Hintergrund lauerten mehrere Polizisten. Als die drei Kerle auftauchten, wurden sie nach einem kurzem Handgemenge geschnappt.

Trotz dieses Erfolgs hatte ich seit jenem Tag Angst, nach Einbruch der Dunkelheit allein das Haus zu verlassen. Noch Monate später drehte ich mich auf der Strasse um, um zu sehen, wer hinter mir war. Ein Jahr nach dem Angriff kam der Fall vor Gericht. Aber die Täter erschienen nicht, und der Richter weigerte sich, das Thema Homosexualität und Hate Crime auch nur zu erwähnen. Bis heute gibt es kein Urteil, und die Täter haben nicht einen Tag im Gefängnis verbracht.

Die Sehnsucht, Serbien für immer zu verlassen, wurde immer stärker. Ich kannte die Schweiz und Zürich von früheren Besuchen und so beschloss ich, in der Schweiz um Asyl zu bitten. Per Mail kam ich in Kontakt mit Queeramnesty. Die Organisation unterstützte und begleitete mich nach der Ankunft in der Schweiz. Doch schon nach wenigen Tagen kam die bittere Enttäuschung: Im Aslyzentrum in Basel sagten mir die Behörden in einem ersten Gespräch, dass Serbien als „sicheres Land“ gelte und ich deshalb keine Chance habe, Asyl zu erhalten. Ich hätte das Recht, darum zu bitten, aber ich würde es niemals bekommen. Sie erklärten mir, dass ich für 90 Tage in einem Camp leben müsste, und falls ich den zu erwartenden Negativentscheid erhalten würde, könnte ich für längere Zeit nicht mehr legal in die Schweiz einreisen. Dies und die Aussicht, für so lange Zeit mit möglicherweise homophoben Muslimen die gleichen Unterkunft teilen zu müssen, machte mir grosse Angst. So entschied ich mich zur Rückkehr.

Und nun bin ich wieder hier, in Serbien, ohne Job und in einem Teufelskreis ohne Zukunft. Mit vielen Ideen und Träumen, aber weiterhin gezwungen zu verstecken, wer ich wirklich bin. Einer von Tausenden Schwulen hier, denen es genauso geht.

Übersetzung: Ralf Kaminski 
Illustration: Kasia Jackowska 

KOMMENTAR QUEERAMNESTY

Serbien gilt tatsächlich als „sicheres Land“. Dennoch müssten die Asylbehörden materiell prüfen, ob ein Individuum dort gefährdet ist. Das hätten sie auch bei Nikola getan, sie haben ihn jedoch im Basler Empfangszentrum dermassen entmutigt und eingeschüchtert, dass er entschieden hat, es gar nicht erst zu versuchen.

Aus Sicht von Queeramnesty war dieses Vorgehen nicht korrekt. Zwar wurde Nikola nicht das rechtliche Gehör verwehrt, doch wurde der Ausgang des Asylverfahrens vorweg genommen. Für Asylsuchende stellen die Behörden eine Autorität dar, die nicht in Frage gestellt wird. Umso sorgfältiger sollten diese damit umgehen. In der Empfangsstelle sollten die Behörden nur die Identität und den Fluchtweg sowie den Asylgrund feststellen, es ist nicht ihre Aufgabe, die Chancen auf Asyl ohne Kenntnis der Akten zu beurteilen. Da wurde vorgegriffen und eingeschüchtert.

Nikola ist ein weiteres Beispiel dafür, dass der Ablauf eines Asylverfahrens in der Schweiz de facto eine Lotterie ist. Der Ausgang des Verfahrens bei LGBT-Asylsuchenden ist leider sehr abhängig von den involvierten Personen und deren Wissen und Einstellung zur Thematik. So wartet z.B. eine Lesbeaus Uganda mit ihrem minderjährigen Stiefsohn seit 15 Monaten auf ihr erstes Interview, derweil eine andere Lesbe aus Algerien ohne Kind innert 7 Monaten einen positiven Asylentscheid erhielt. Warum? Wir wissen es nicht.

Pascale Navarra, Focus Refugees