JEDES JAHR AM 26. OKTOBER FINDET DER INTERSEX AWARENESS DAY (IAD) STATT, MIT DEM INTER*-THEMEN MEHR SICHTBARKEIT ERHALTEN SOLLEN. QUEERAMNESTY HAT MIT AUDREY AEGERTER GESPROCHEN, PRÄSIDENTIN DES NEUEN SCHWEIZER INTER*-VEREINS INTERACTION.

Wenn Geschlechtsmerkmale – Genitalien, Keimdrüsen, Hormone oder Chromosomen – nicht den geltenden, binären Normen für «männlich» und «weiblich» entsprechen, spricht man von Intergeschlechtlichkeit oder Inter*. Das allein wäre noch kein Problem, denn fast alle inter* Menschen kommen mit völlig gesunden Körpern auf die Welt. Doch die Geschlechternormen, wie «weibliche» und «männliche» Körper auszusehen, zu sein und zu funktionieren haben, lassen die Ärzt_innen meist Operationen und Hormonbehandlungen verordnen – und machen dabei aus einem gesunden Baby einen traumatisierten, zwangsbehandelten Menschen.

Die Eltern stehen häufig unwissend, verängstigt und verunsichert daneben und müssen sich auf die norm- statt vielfaltsorientierten «Empfehlungen» der Ärzt_innen verlassen, die kaum je wertungsfreie Informationen beinhalten. Was folgt, sind irreversible Genitalverstümmelungen, meist bereits im (Kleinst)kindesalter und damit völlig fremdbestimmt, sowie Geheimnisse und Pathologisierung. Und eine grosse Unsichtbarkeit. Diese ist eines der grössten Probleme, denen die Aktivistin Audrey Aegerter in ihrer ehrenamtlichen Arbeit für InterAction begegnet, wenn es darum geht, eine Inter*-Community zu bilden. Weil inter* Körper nicht als gleichwertige Variation von Geschlecht anerkannt werden, stützt sich die Identifikation als Inter*mensch auf die widerfahrenen Diskriminierungen und Menschenrechtsverletzungen.

Darum ist eines der wichtigsten Angebote von InterAction, sichere und diskriminierungsfreie Orte der Begegnung und des Austausches zu ermöglichen. Viele inter* Menschen wissen gar nicht, dass sie inter* sind – nur dass ihr Körper nicht in Ordnung sei, wie er ist, das hat man ihnen zur Genüge gesagt. Einsamkeit, Scham und Verstecken sind somit traurige Begleiterinnen.

Anlässlich des Intersex Awareness Day beteiligt sich InterAction darum an neuen, empowernden Videos, wie sie zu den letztjährigen IADs bereits von Inter* und LGBTI*-Organisationen produziert wurden. InterAction ist auch die restlichen 364 Tage im Jahr für inter* Menschen da: Nach einer ersten Kontaktaufnahme mit dem Verein (siehe rechts) finden häufig persönliche Gespräche mit aktiven (Vorstands)Mitgliedern statt. Um die Einsamkeit zu überwinden, sind Treffen in kleinen Gruppen unter anderen inter* Menschen sehr wichtig; meist stehen dabei gesellige Aktivitäten im Vordergrund.

Ein weiteres wichtiges Aktionsfeld ist Information und Aufklärung. Für Ärzt_innen und Beratungsstellen hat InterAction bereits Weiterbildungen gegeben und tut dies auch weiterhin. Zum IAD 2018 ist eine Filmtour in grossen Schweizer Städten geplant. Die Präsenz an den Prides war dieses Jahr ein wichtiges Ereignis und soll nächstes Jahr noch ausgebaut werden. Audrey sieht die Inter*-Community denn auch als Teil der queeren Gemeinschaft, hofft aber, dass diese die Inter*-spezifischen Anliegen und Forderungen auch aufnimmt, teilt und unterstützt.

Die wichtigste ist, dass Genitalverstümmelungen an inter* Menschen (IGM) und Zwangsmedikationen sofort aufhören und unter Strafe gestellt werden – wie es Genitalverstümmelungen an Mädchen und Frauen (FGM) bereits sind. Auch verschiedene Menschenrechtsorganisationen (darunter Amnesty International), mehrere UNO-Gremien und die Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin in der Schweiz fordern, dass Regeln entwickelt werden, um IGM zu unterbinden. Letztere hat hierzu klare und von der Inter*-Community sehr begrüsste Empfehlungen an die Ärzt_innen herausgegeben – nur werden diese nicht oder nur äusserst ungenügend umgesetzt. Dies bestätigten sogar Ärzt_innen gegenüber InterAction.

Die kompetente und vielfaltsakzeptierende Beratung und Unterstützung von Eltern mit inter* Neugeborenen ist ebenso wichtig wie gesamtgesellschaftliche Aufklärung, damit inter* als gleichwertige, unproblematische und schöne Facette der Vielfalt des Lebens anerkannt wird. Der Intersex Awareness Day soll dazu beitragen.

INTERSEX AWARENESS DAY (IAD)

Erstmals wurde der IAD am 26. Oktober 1996 in Boston, USA, durchgeführt und richtete sich an einen Kinderärzt_innenkongress, um die Teilnehmenden für die Menschenrechtsverletzungen durch geschlechtsverändernde Eingriffe zu sensibilisieren. Viele Aktivitäten dauern fort bis am 8. November, dem Intersex Day of Remembrance, auch Intersex Solidarity Day genannt, einem seit 2005 eher in Europa begangenen Tag, datiert nach dem Geburtstag der Französischen Inter*-Aktivistin Herculine Barbin (1838–1868).

INTERACTION

Kontaktinformationen:

Beratung (auch auf Deutsch):

  • Für inter* Menschen:  dienstags 18-20 Uhr unter 079 596 30 27 und sonntags 17-19 Uhr unter 079 596 30 28
  • Für Eltern, Bekannte, Freund_innen von inter* Menschen: montags 14-18 Uhr unter 079 265 21 64