Baltic Pride 2010 durchgeführt – erste Bilder – grosse Gegendemonstration und Festnahmen

TeilnehmerInnen der Schweizer Delegation an der Baltic Pride 2010. © Semjon Mader / Queeramnesty
Bilder der Baltic Pride

Bericht zur Baltic Pride 2010 (PDF, 120 kB, von Simone)

GayRadio 16.5.2010

Die Demonstration fand gut geschützt, fernab von Zuschauern und Gegegendemonstranten statt.

Vorgeschichte: Baltic Pride 2010 in Vilnius nach gerichtlichem Verbot doch wieder erlaubt

Alle Weitern Infos hier: Litauen (Lithuania): ParlamentarierInnen wollen Baltic Pride verbieten – über (Homo-)Sexualität darf öffentlich nicht mehr informiert werden.

Zur Situation:
Pride Veranstaltungen in Ostmitteleuropa und Osteuropa immer wieder gefährdet oder behindert .

15.Mai 2010: Belarus: Slavic Gay Pride 2010 in Minsk von der Polizei verhindert.

NZZ, 8.5.2010: Zehnmal grössere Gegendemonstration – Einige hundert homosexuelle Teilnehmer an der «Baltic Pride»

Die «Baltic Pride» hat am Samstag einige hundert Homosexuelle in die litauische Hauptstadt Vilnius gelockt. Die Gegendemonstration zog fast zehnmal mehr Personen an. Die Polizei war mit einem Grossaufgebot vor Ort. Unter Festgenommenen der Gegendemonstration waren auch Parlamentarier.

NB: Die Baltic Pride 2011 wird in der zweiten Juniwoche in Talinn, Estland, stattfinden.  NZZ/sda/dpaMedienlinksBericht von Queeramnesty

Zehnmal grössere Gegendemonstration – Einige hundert homosexuelle Teilnehmer an der «Baltic Pride»

Die «Baltic Pride» hat am Samstag einige hundert Homosexuelle in die litauische Hauptstadt Vilnius gelockt. Die Gegendemonstration zog fast zehnmal mehr Personen an. Die Polizei war mit einem Grossaufgebot vor Ort. Unter Festgenommenen der Gegendemonstration waren auch Parlamentarier.

(sda/dpa) Einige hundert Homosexuelle sind am Samstag gegen fast zehnmal so viele Gegendemonstranten für ihre Rechte durch Litauens Hauptstadt Vilnius gezogen. Die mit fast tausend Beamten präsente Polizei trennte die Gruppen beiderseits der durch Vilnius fliessenden Neris.

Zwischenzeitlich verboten

Der Umzug «Baltic Pride» war Mitte der Woche zeitweilig verboten, weil ein Verwaltungsgericht «Störungen der öffentlichen Ordnung» befürchtete. Ausserdem könnten die Behörden die Sicherheit der Teilnehmer nicht garantieren, hiess es weiter. Erst heftige internationale Proteste und ein höchstrichterlicher Spruch am Freitag brachte grünes Licht.

Die Veranstalter des Schwulen-Marsches erklärten, sie wollten mehr Aufmerksamkeit auf die Unterdrückung von Homo-, Trans- und Bisexuellen in Litauen lenken. Gleichzeitig riefen Gegendemonstranten Parolen wie «Tod den Schwulen» und «Litauen den Litauern.»

Auch Parlamentarier verhaftet

Neonazis und Rocker hatten vorab tätliche Angriffe gegen den ersten Umzug dieser Art im katholischen Litauen angekündigt. Die Polizei meldete zwölf Festnahmen, darunter auch von Mitgliedern des litauischen Parlaments.

Litauen hatte unter anderem durch ein gesetzliches Verbot zur «positiven Darstellung» von Homosexualität an Schulen heftige internationale Kritik ausgelöst.

APA:
Zur Unterstützung des Homosexuellen-Events, das erst am Vortag durch einen Entscheid des Verwaltungsgerichtshofs Grünes Licht bekommen hatte, waren Politiker und Aktivisten aus mehreren Ländern Europas angereist. Unter ihnen befanden sich die schwedische EU-Ministerin Birgitta Ohlsson sowie einige Europa-Abgeordnete und Repräsentanten von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International.

Unter den Teilnehmern an der Gegendemo waren laut örtlichen Medienberichten etliche litauische Politiker, wie der ehemalige Bürgermeister von Kaunas, Vytautas Sustauskas, sowie der rechtsradikale Regionalpolitiker Mindaugas Murza.

NZZ/sda/dpaMedienlinks – Bericht von Queeramnesty

Für Medien stehen Homophobie in Litauen und Gegendemonstration im Vordergrund

Umfassende Berichterstattung in Wort, Bild und Video in der litauischen Presse

Nein, die Herren Kazimieras Uoka (Bund der litauischen Nationalisten) und Petras Gražulis (Partei für Ordnung und Recht) halten wenig von der Unteilbarkeit der Menschenrechte. © delfi.lt

Unter den Teilnehmern an der Gegendemo waren laut örtlichen Medienberichten etliche litauische Politiker, wie der ehemalige Bürgermeister von Kaunas, Vytautas Sustauskas, sowie der rechtsradikale Regionalpolitiker Mindaugas Murza.

delfi.lt: Homoseksualų eitynės baigėsi P.Gražulio ir K.Uokos išvesdinimu (Litauisch, mit eindrücklichen Video-Links und Bildern. Im dritten, ca 5:55 langen, Video auf ca. 2:45-3:15 Interview mit John Dalhuisen von Amnesty International).

Baltic Pride, Gegendemo, Polizieeinsatz: DAS Thema des Tages.

Delfi-Online Titelseite 8.Mai 2010
85% der Fläche und 70% der Beiträge zum Thema des Tages (Werbung z.T. entfernt).

Übersicht ausgewählter Medienberichte (8. bis 10. Mai 2010)

NZZ/sda/dpaMedienlinksBericht von Queeramnesty

Bericht einer Teilnehmerin von Queeramnesty.

BALTIC PRIDE 2010, VILNIUS, LITAUEN

Die frohe Botschaft erreichte mich in Riga beim Warten auf meinen Anschlussflug nach Vilnius: Im letzten Moment hatte das Höhere Verwaltungsgericht in Litauen entschieden, dass die erste Baltic Pride-Parade nun doch stattfinden dürfe. Was für eine Erleichterung! Bis zum Zeitpunkt unserer Abreise hatte niemand von uns gewusst, ob der wichtigste Teil der Baltic Pride 2010 – die öffentliche Demonstration für LGBT-Rechte – noch grünes Licht erhalten würde, nachdem der Umzug zwei Tage zuvor äusserst kurzfristig verboten worden war.

In entsprechend freudiger Stimmung kam ich gegen Mitternacht im Conti Hotel an, wo sämtliche Teilnehmenden der Baltic Pride aus Sicherheitsgründen zusammen untergebracht waren. Nun war unsere dreiköpfige Schweizer Delegation vollzählig; Vera und Tobias waren bereits vor mir am Nachmittag angekommen.

Richtig mulmig wurde es mir erstmals, als es am nächsten Morgen nach dem Frühstück, bei welchem wir erste Kontakte mit anderen AktivistInnen schliessen oder im Fall von Tobias alte Bekanntschaften auffrischen konnten, zum Security Briefing ging. Wir wurden informiert, dass die Zeichen auf Alarmstufe rot stünden, in den Strassen von Vilnius teilweise zu offener Gewalt gegen uns aufgerufen würde und mit 3500 GegendemonstrantInnen zu rechnen sei. Ich fragte mich, ob die Polizei tatsächlich in der Lage sein würde, uns gegen eine solche Masse zu beschützen?…

Es wurde uns genauestens erklärt, wie wir uns zu verhalten hatten; vor allen Dingen wurde uns eingeschärft, jegliche „Provokationen“ zu unterlassen. „Ich weiss, es mag sich beleidigend für euch anhören“, entschuldigte sich der Redner von der Lithuanian Gay Leage (LGL), „aber ich muss die Paare unter euch bitten, auf Händchenhalten und Küssen zu verzichten. Es muss euch klar sein, dass die Medien nur darauf warten, solche „provokativen“ Bilder schiessen zu können, um sie dann überall auf die Titelseiten zu stellen und die Baltic Pride darauf zu reduzieren.“

Weiter forderte er uns auf, unsere Taschen so zu packen als würden wir zum Flughafen gehen: Keine spitzen Gegenstände, keine gefüllte Wasserflaschen, die als Wurfgeschosse dienen könnten. Und keinesfalls sollten wir uns auf Diskussionen mit GegendemonstrantInnen einlassen, falls wir denn mit welchen in Berührung kommen sollten. Nicht reagieren auf Beleidigungen, die wir zu hören und zu sehen bekommen würden; unsere Hauptaufgabe sei es, fröhlich zu sein und fröhlich zu bleiben. Denn, so erklärte uns der sympathische LGL-Sprecher in perfektem Englisch, „der Unterschied zwischen uns und den GegendemonstrantInnen besteht darin, dass wir fröhlich und friedlich sind, während ihnen der Hass ins Gesicht geschrieben steht.“ Lächelnd fügte er hinzu: „Und wer gewinnt am Ende? Die Liebe!“ Wir lachten und applaudierten, und mir war bereits etwas weniger mulmig zumute.

Dann wurde es ernst. Wir versammelten uns alle in der Hotel Lobby und wurden delegationenweise in Busse verfrachtet, die uns zum Schauplatz des Umzugs am Ufer des durch Vilnius fliessenden Flusses Neris brachten. Überall war Polizei. 800 Leute waren im Einsatz; mit Autos, zu Fuss, zu Pferd und auf diesen ulkigen Zweirad-Rollern, über die wir trotz der beklemmenden Situation furchtbar lachen mussten. Das Gelände um die Paradestrecke herum war weitläufig abgesperrt. Wir passierten die Absperrung in den Bussen, dann waren wir da und durften aussteigen. Die GegendemonstrantInnen sahen wir nur von Weitem, so grosszügig war das Gelände abgesperrt. Hinter den Absperrungen standen sie dicht gedrängt, ebenso auf der anderen Seite des Flusses; es waren viele. Während wir uns für den Umzug formatierten, marschierte über eine nah gelegene Brücke über den Fluss eine Gruppe von Neonazis, ausgerüstet mit Hakenkreuz-Fahnen. War ein solcher Aufzug erlaubt? Ich wunderte mich. Auf der anderen Uferseite hatte jemand ein grosses Kruzifix aufgestellt.

Es herrschte erwartungsvolle und – auf unserer Seite – fröhliche Stimmung. Unsere Regenbogenfahnen und Transparente leuchteten bunt, eine Gruppe spielte auf Trommeln. Schliesslich waren alle Busse angekommen und der Umzug ging los. 500 Teilnehmende waren wir letztendlich; ursprünglich war die Zahl auf 350 begrenzt gewesen, doch hatte die Polizei genehmigt, dass in letzter Minute hinzustossende einheimische Personen auch noch mitmarschieren durften. Ich fragte mich, wie viel mehr Leute wohl noch am Umzug teilgenommen hätten, wenn die Sicherheitslage weniger prekär und die Teilnahmebedingungen weniger restriktiv gewesen wären. Standen wohl nicht viele eigentliche SympathisantInnen nun auf der anderen Seite des Flusses und wurden fälschlicherweise zu den GegnerInnen gezählt? Wie viele der „GegendemonstrantInnen“ waren tatsächlich gegen uns und wie viele waren einfach Schaulustige, die das seit Wochen in den Medien wild diskutierte Ereignis nicht verpassen wollten?

Unser Umzug war kurz, aber unglaublich intensiv und berührend. Es war nicht nur eine Demonstration für Menschenrechte, Freiheit und Toleranz, sondern auch eine Feier. Wir feierten die Vielfältigkeit menschlichen Lebens und unseren Respekt davor, wie auch unsere Freude daran. Eigenartig fühlte es sich an, so weit weg von der Bevölkerung, den Schaulustigen und den GegendemonstrantInnen zu sein. Weder konnten die Leute lesen, was auf unseren Transparenten stand, noch hörten sie die Parolen, die wir riefen. Später wurde uns gesagt, dass die Parade live im litauischen Fernsehen übertragen worden sei, was ein kleiner Trost war; immerhin konnten die Leute so unsere Gesichter am Bildschirm sehen. Ging es denn nicht gerade darum, dass sie uns sahen, dass sie erfuhren, dass wir in erster Linie Menschen sind genau wie sie? Umgekehrt war es vielleicht gut für uns, dass wir die hassverzehrten Fratzen der GegnerInnen nicht aus der Nähe sehen mussten. Die sahen wir erst später im Fernsehen und auf Fotos, und es war erschreckend. Woher kommt dieser Hass? Das habe ich mich immer wieder gefragt. Warum begnügen sich diese Leute nicht damit, uns Queers einfach, nun ja, „queer“ zu finden, und lassen uns in Ruhe? Wieso haben sie solche Angst vor uns? Am Ende des Umzugs versammelten wir uns vor einer kleinen Bühne, von der aus diverse Gäste und OrganisatorInnen der Baltic Pride 2010 ihre ermutigenden Reden an uns richteten. Besonders deutliche Worte fand die schwedische EU-Ministerin Brigitta Ohlsson, die klarmachte, dass Homophobie in der Europäischen Union nichts verloren habe und niemals akzeptiert würde.

Anschliessend brachten uns die Busse sicher zurück ins Hotel, wo wir uns glücklich, aufgewühlt und emotional tief bewegt in der Lobby einfanden und unsere Eindrücke austauschten. Ein wichtiges Stück litauische Geschichte war geschrieben worden. Human rights are our pride!

SIMONE

Bericht zur Baltic Pride 2010 als PDF (PDF, 120 kB, von Simone)

Bilder der Baltic Pride

GayRadio 16.5.2010

Vorgeschichte: Baltic Pride 2010 in Vilnius nach gerichtlichem Verbot doch wieder erlaubt

Alle Weitern Infos hier: Litauen (Lithuania): ParlamentarierInnen wollen Baltic Pride verbieten – über (Homo-)Sexualität darf öffentlich nicht mehr informiert werden.

Zur Situation: Pride Veranstaltungen in Ostmitteleuropa und Osteuropa immer wieder gefährdet oder behindert .

NB: Die Baltic Pride 2011 wird in der zweiten Juniwoche in Talinn, Estland, stattfinden.