Die Lebensbedingungen im zentralamerikanischen Honduras sind für alle schwierig, ganz besonders aber für LGBTI*-Menschen. Wir haben mit der honduranischen Aktivistin Moro gesprochen, die Ende 2019 in der Schweiz zu Gast war und über die Arbeit ihrer Organisation Arcoiris berichtete.
Moro heisst eigentlich Esdra Sosa, aber Moro gefällt ihr besser – mit dieser Information beginnt Moro unser Gespräch. Ich treffe Moro im November letzten Jahres früh am Morgen in Zürich zu einem Gespräch über ihr Leben als LGBTI*-Aktivistin in Honduras. Es ist einer der ersten so richtig klirrend kalten Tage in Zürich, strahlend blauer Himmel, eine feine Eisschicht umhüllt die Zweige der Bäume. So anders ist es heute in Zürich als in Honduras. Dort ist es dunstig, 30 Grad warm und sehr feucht. Nicht nur das Klima ist anders in Honduras, auch Moros Realität als LGBTI*-Aktivistin in Honduras unterscheidet sich von der meinen in Zürich.
Darüber spreche ich mit Moro, über die unterschiedlichen Leben, die wir als Aktivistinnen für dieselbe Sache, dieselben Themen und Anliegen führen. Ich engagiere mich genau wie Moro seit über einem Dutzend Jahren aktiv gegen Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und/ oder Geschlechtsidentität und für den Schutz von Opfern von Homo- und Transphobie. Ich tue das in der Schweiz, mein Fokus gilt Flüchtlingen und Asylsuchenden, die ihr Heimatland aufgrund der fehlenden Rechte als LGBTI*- Person oder wegen Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen dort verlassen haben.
Moro hat einen anderen Fokus: Sie engagiert sich innerhalb ihres eigenen Landes für Einheimische, für Honduraner_innen, die unter Homo- und Transphobie leiden. Während ich das hier unter dem schützenden Schirm von Amnesty International mache, ist sie Koordinatorin des Vereins Arcoiris (Regenbogen), auf dessen Flyer steht «Hombres y mujeres luchando por la igualidad, la equidad y el respeto» (Männer und Frauen, die für Gleichstellung, Gleichberechtigung und Respekt kämpfen).
EIN EXISTENTIELLER KAMPF
Meine Motivation für die vielen ehrenamtlichen Stunden im Einsatz für Queeramnesty ist in erster Linie die Solidarität mit Menschen, die unterdrückt und benachteiligt werden. Moros Motivation ist die persönliche Betroffenheit – ihr Alltag ist ein existenzieller Kampf aufgrund eigener Erfahrungen von Entrechtung, Drohungen, Stigmatisierung und der ständigen Angst vor Gewalt und Repression.
Ich bin keine Asylsuchende, habe keine Fluchterfahrung und geniesse das grosse Privileg, in der Schweiz meine Lebensentwürfe relativ unbehelligt leben zu können. Und jedes Mal, wenn ich in diesen Jahren Aktivist_innen getroffen habe, die sich mit diesem Engagement in Lebensgefahr bringen, die ihr Privatleben, ihr Einkommen, ihre ganze Lebensgrundlage in den Dienst des Aktivismus stellen, bin ich zutiefst berührt und beeindruckt.
Ich habe mit Aktivist_innen aus vielen Ländern gesprochen und dabei Menschen getroffen, die wegen ihres Engagements ihr Land verlassen mussten, um sich in Sicherheit zu bringen. Ich habe Menschen getroffen an Konferenzen zu LGBTI*-Rechten, die nur dank dem Schutz von anderen, ausländischen NGOs überhaupt noch leben. Und ich habe Moro getroffen, die Hassbotschaften, Morddrohungen und Strafanzeigen wegsteckt, um für «die Sache» zu kämpfen.
EIN KAMPF FÜR MENSCHEN, DIE SICH NICHT WEHREN KÖNNEN
Arcoiris ist Queeramnesty und Transgendernetwork «all in one» – und vielleicht sogar ein bisschen mehr. Der Verein wurde 2003 gegründet, mit Fokus auf die Menschenrechte von LGBTI*-Personen. Er unterstützt auf ehrenamtlicher Basis Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und/oder ihrer Geschlechtsidentität Diskriminierung und Gewalt erleben, oder ihrer ökonomischen Grundlagen beraubt werden. Die Aktivist_innen machen Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, vor allem aber vertreten sie Opfer von Hassverbrechen auch rechtlich. Sie führen Gerichtsverfahren und erheben Anklage, stellvertretend für jene Menschen, die keine Strafverfahren einleiten oder sich anderweitig wehren können, weil sie ihren Job, ihre Wohnung, ihre Kinder verloren haben, bedroht oder zusammengeschlagen werden. Menschen, die weder von der Polizei noch von den staatlichen Behörden geschützt werden, weil die Homo- und Transphobie tief verankert ist in der gesellschaftlichen Moral.
Die freiwilligen Aktivist_innen von Arcoiris setzen sich zudem ein in der Prävention gegen Diskriminierung, kämpfen für Gesetzesänderungen und suchen internationale Aufmerksamkeit für ihre Anliegen. Darüber hinaus bieten sie Aktivitäten an wie Sport, Vergnügen, Aufklärung, Beratung. Sie verteilen Kondome, vernetzen mit transfreundlichen medizinischen Fachpersonen, führen Schutzunterkünfte für die, die auf der Strasse enden. Sie betreiben Fundraising und pflegen Kontakte ins Ausland, um sich selbst zu schützen.
Genau so ist Moro in die Schweiz gekommen – auf Einladung der Friedensbrigaden (siehe unten), die auch ihre Reise bezahlt haben. Ohne das Geld und die prominente Unterstützung von namhaften NGOs könnten viele lokale Menschenrechtsorganisationen nicht überleben, in Honduras oder anderswo. Sie sind angewiesen auf digitale Kommunikationsmittel, auf Geld, auf Möglichkeiten trotz strenger Visa-Bestimmungen auszureisen, wenn es wieder einmal brenzlig wird. Und dank der Friedensbrigaden konnte Moro nun in der Schweiz ihre Geschichte erzählen und über das Engagement von Arcoiris berichten.
HONDURAS: Die Republik Honduras ist ein Staat in Zentralamerika mit gut 9 Millionen Einwohner_innen. Sie grenzt an die ebenso armen Länder Nicaragua, El Salvador und Guatemala. Immer wieder gibt es Flüchtlingsmärsche in Richtung USA; Anfang 2020 haben mehr als tausend Menschen aus Honduras die Grenze zu Guatemala durchbrochen. Honduras gilt nebst Haiti als eines der ärmsten zentralamerikanischen Länder. Mit einer Analphabet_innenrate von gut 25% und gebeutelt von Wirbelstürmen, Monokulturen, Bandenkriegen und miserabler medizinischer Versorgung ist es auch für heterosexuelle Menschen nicht einfach, in Sicherheit zu leben. Deshalb entscheiden sich viele Honduraner_ innen dazu, das Land zu verlassen. Für LGBTI*-Menschen ist es noch schwieriger: Homo- und Transphobie sind weit verbreitet, ohne dass die Betroffenen Rechtsschutz seitens der Behörden erwarten können; Hassverbrechen sind an der Tagesordnung. Im Juli 2019 wurden innert weniger Tage drei Transfrauen ermordet. Bereits 2012 liefen Briefmarathons von Queeramnesty für LGBTI*-Aktivist_innen in Honduras.
DIE FRIEDENSBRIGADEN: Die Friedensbrigaden (Peace Brigades, PBI) engagieren sich für eine Welt, in der die Menschen Konflikte gewaltfrei austragen, die Menschenrechte universell geachtet und eingehalten werden und in der soziale Gerechtigkeit und interkultureller Respekt verwirklicht sind. «Making space for peace» ist ihr Leitsatz. PBI Schweiz ist seit 1983 als selbständiger Verein organisiert und zählt rund 800 Mitglieder und Spen- der_innen. Als eine von 13 Ländergruppen unterstützt er die internationale PBI und ihre Projekte mit dem Ziel, bedrohte Menschenrechtsverteidiger_innen zu schützen und Frieden zu fördern. Die Arbeit von PBI Schweiz umfasst die Bereiche Freiwilligenbetreuung, Fürsprache, Sensibilisierung und Mittelbeschaffung. In Zusammenarbeit mit der Ländergruppe in Honduras wurde die Reise von Esdra Sosa in die Schweiz organisiert, wo sie an einem öffentlichen Podium auftrat. Weitere Informationen: pbi-honduras.org/WHO-WE-ARE – peacebrigades.ch.