Was machst du neben deiner Arbeit bei Queeramnesty?
Ich bin Sozialpädagogin und arbeite in einer Institution für gewaltbetroffene Frauen und Kinder. Meine Freizeit ist mir sehr wichtig, als Ausgleich zur Arbeit und dem Ehrenamt. Ich bin viel unterwegs, wandernd, skitourend, reisend. Viel Kraft und Energie schöpfe ich aus meiner langjährigen Beziehung, meinem Garten und meinem Refugium, aus durchtanzten Nächten und schönen Freundschaften sowie aus der guten Beziehung zu meinem erwachsenen Sohn.
Was genau sind deine Aufgaben bei Queeramnesty?
Meine Hauptaufgabe besteht darin, in einem 3er-Team die rund zwanzig freiwilligen Betreuer_innen zu koordinieren und zu unterstützen. Sie begleiten Asylsuchende, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und/oder Geschlechtsidentität in die Schweiz geflüchtet sind. Daneben gibt es weitere vielfältige Tätigkeiten: Vor ein paar Tagen zum Beispiel habe ich einem schwulen Asylsuchenden aus dem Iran geholfen, sich auf die Befragung beim Staatssekretariat für Migration vorzubereiten. Es ging darum, dass er einfach sagen kann, was er will, fühlt und erlebt hat. Ihn darüber zu informieren, dass die Behörden in der Schweiz anders funktionieren als das Regime in seinem Heimatland. Dass es hier eine Schweigepflicht gibt, für die Mitarbeitenden der Behörden ebenso wie für die Dolmetschenden aus seinem Kulturkreis, dass er hier nicht à priori verurteilt wird, weil er das gleiche Geschlecht liebt. Dennoch musste ich ihn auch darauf vorbereiten, dass es unter Umständen eine stundenlange Befragung geben wird, auch über seine schmerzhafte Vergangenheit und über intime Angelegenheiten.Kurz davor habe ich eine Mailanfrage von einem Mann aus Serbien beantwortet, der uns schrieb, dass er mit dem Gedanken spielt, sich umzubringen. Seine Familie hat ihn verstossen, er verlor den Job und nun sieht er keine Zukunft mehr für sich, weil er das Gefühl hat, dass es in seiner Welt einfach keinen Platz für „einen wie ihn“ gibt. Am selben Tag ging es darum, zwei Trans*frauen aus Syrien zu unserem „Welcome Café for Queer Refugees“ zu lotsen, wo sie bei Kaffee und Kuchen andere Asylsuchende treffen konnten. Und kürzlich liess ich den alten Laptop einer Freundin neu aufsetzen, um ihn einer lesbischen Asylsuchenden aus Uganda zu schenken, damit sie mit ihrer Partnerin dort skypen und mailen kann.
Was hat dich dazu bewogen mitzumachen?
Ich bin seit 2008 bei Queeramnesty. Dabei hat mich besonders der Fokus auf die Menschenrechte von queeren Menschen angesprochen. Love is a human right – dieser Satz hat mich berührt. Dahinter stehe ich ohne Wenn und Aber. Unser Engagement ist ehrenamtlich, zudem zeitlich und emotional sehr intensiv. Ich denke, die Motivation kommt aus dem Bewusstsein, dass ich ein Riesenglück habe, mehr oder weniger unbehelligt meine sexuelle Orientierung leben zu können, und dass dieses Glück eben nicht allen Menschen vergönnt ist. Die direkte Einzelfallhilfe, die wir LGBTI-Asylsuchenden mit unserer persönlichen Unterstützung bieten, ist eine so unmittelbare und sinnvolle Arbeit, dass ich immer wieder von neuem weiss, warum ich einen guten Teil meiner Freizeit damit verbringe.
Welches war dein intensivstes Erlebnis bisher?
Ich habe in den letzten acht Jahren unzählige intensive Momente erlebt. Jedes Mal, wenn ein Mensch mir seine Geschichte von Diskriminierung und Gewalt erzählt, nur weil er oder sie das „falsche Geschlecht“ liebt, ist das unglaublich intensiv. Jedes Mal, wenn ein solcher Mensch dann doch ausgeschafft wird, trifft mich das so sehr, dass ich es kaum ertragen kann. Umso grösser ist die Freude in den seltenen Fällen, wenn er oder sie eine Aufenthaltsbewilligung bekommt. Und ein immer wiederkehrendes intensives und zu Tränen rührendes Erlebnis ist es, wenn im Juni die Gay Pride in Zürich stattfindet und so viele unserer Asylsuchenden das erste Mal erleben, dass sie nicht allein sind.
Worin siehst du die grössten Herausforderungen für Queeramnesty in nächster Zeit?
Ich erlebe eine grosse Herausforderung in meiner Arbeit mit den Asylsuchenden täglich und ganz direkt – und daran wird sich nichts ändern, solange es Menschenrechtsverletzungen aufgrund sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität gibt.