Der explizite Ausschluss Homosexueller vom verfassungsmässigen Recht auf Ehe ist inakzeptabel und muss verhindert werden: Amnesty International empfiehlt deshalb ein Nein in der Abstimmung zur Initiative «Heiratsstrafe abschaffen» am 28. Februar.
Die CVP-Initiative zur «Heiratsstrafe» will, dass verheiratete gegenüber unverheirateten Paaren steuerlich nicht mehr benachteiligt werden. Ein seit langem als berechtigt erkanntes Anliegen, auch wenn dank Massnahmen wie dem «Zweitverdienerabzug» oder dem Kinderbetreuungsabzug heute gemäss Bundesrat nur noch rund 80‘000 gutverdienende verheiratete Paare von der Benachteiligung betroffen sind. Daneben trifft die Heiratsstrafe allerdings auch RentnerInnen sowie einen grossen Teil der rund 13‘000 Paare, die in eingetragener Partnerschaft leben.
Gegen die Abschaffung der Heiratsstrafe wäre unter dem Blickwinkel der Menschenrechte nichts einzuwenden. Ein anderer Aspekt der Initiative hat jedoch sehr wohl mit Menschenrechten zu tun und ist alarmierend: Die Initiative will nämlich gleichzeitig die Ehe neu definieren, und zwar in einer klar diskriminierenden Weise. Die Ehe soll, so will es der Text, inskünftig ausschliesslich heterosexuellen Paaren vorbehalten sein, und dies soll explizit in der Verfassung stehen. Nun wird zwar das verfassungsmässige Recht auf Ehe gleichgeschlechtlichen Paaren in der Schweiz bisher nicht zugestanden. In der Rechtslehre wie in der Praxis ist diesbezüglich jedoch einiges in Bewegung gekommen. Dem will die Initiative nun offenbar einen Riegel schieben und damit verhindern, dass schwule und lesbische Paare dereinst die volle Gleichstellung geniessen.
Gleichbehandlung mit Ungleichberechtigung bezahlen?
Die Initiative stürzt die Stimmberechtigten damit in ein unmögliches Dilemma: Wer am 28. Februar 2016 die Ungleichbehandlung Verheirateter abschaffen will, muss gleichzeitig befürworten, dass gleichgeschlechtlichen Paaren weit in die Zukunft hinaus die volle Gleichberechtigung verweigert wird. Das widerspricht nicht nur dem Grundrecht auf Nichtdiskriminierung, sondern auch einer gesellschaftlichen Entwicklung, die längst im Gange ist. Während in vielen Staaten der westlichen Welt ein Trend in Richtung Öffnung der Ehe für alle Menschen festzustellen ist, würden in der Schweiz die Weichen im Bereich der Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben rückwärts gestellt.
Hintergrund
Gegenwärtig sagt die Schweizer Verfassung nichts darüber, ob Ehen nur zwischen Personen unterschiedlichen Geschlechts oder auch zwischen Gleichgeschlechtlichen geschlossen werden können. Das Bundesgericht und die schweizerischen Behörden gehen bisher davon aus, dass letzteres nicht möglich sei. Doch das Recht entwickelt sich: So entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mehrfach, dass das Recht auf Familienleben homosexuelle Paare mit einschliesst. Er will bisher allerdings die Mitgliedstaaten nicht generell dazu verpflichten, Schwulen und Lesben ein Recht auf Ehe zu gewähren. Im Juni 2015 hat demgegenüber in den USA der Oberste Gerichtshof in einem viel beachteten Urteil entschieden, dass die amerikanischen Gliedstaaten die gleichgeschlechtliche Ehe nicht mehr verbieten dürfen.
Der Grundsatz der Gültigkeit aller Menschenrechte – also auch des Rechts auf Ehe und Familie – für aller Menschen und der Grundsatz der Nichtdiskriminierung aufgrund persönlicher Merkmale, darunter auch das Geschlecht und die sexuelle Orientierung, ist ein zentraler Bestandteil des internationalen Menschenrechtssystems. Niemand darf aufgrund eines solchen Merkmals von Grundrechten ausgeschlossen werden. Ein Grundrecht darf höchstens dann verweigert werden, wenn ein übergeordnetes öffentliches Interesse oder der Schutz von Grundrechten Dritter auf dem Spiel steht. Weder das eine noch das andere kann in Bezug auf die Ehe in einem europäischen Land wie der Schweiz heute noch geltend gemacht werden. Eine Einschränkung des Rechts auf Eheschliessung aufgrund der sexuellen Orientierung in der Verfassung festzuschreiben, ist darum für Amnesty International absolut inakzeptabel. Jede Öffnung der Ehe, wie sie in anderen Staaten im Gange ist, würde damit eine erneute Verfassungsänderung erfordern.
Text: Amnesty International Schweiz